Dienstag, 12.10.2021 / 19:31 Uhr

Im Libanon gehen die Lichter aus

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bildquelle: Piqsels

Vor einem Monat wurde vor dem Szenario gewarnt, nun ist es wie zu erwarten war eingetreten: Im Libanon sind vergangenen Freitag und Samstag die Lichter ausgegangen.

 

Die beiden Kraftwerke, die das Land mit Strom versorgen, sind wegen Kraftstoffmangels vom Netz gegangen. Strom gibt es jetzt nur noch gegen harte Währung von privaten Betreibern von Generatoren, denn das libanesische Pfund ist gerade noch 15% so viel wert wie zu Beginn der Krise vor zwei Jahren.

Zwar beteuert das Energieministerium der Blackout sei temporärer Natur und werde bald wieder behoben, nur glaubt das wohl niemand mehr so richtig in jenem Land, das seit Monaten dem Kollaps entgegen taumelt.

Bislang gab es nur nachts keinen Strom, aber es war klar, solange die Regierung keine grundlegenden Reformen durchführt, würde die Lage sich weiter verschlechtern. Das Land ist bankrott und hofft auf Unterstützung von Weltbank und westlichen Gebern, die allerdings klargestellt haben, dass diese Gelder ohne Veränderungen nicht zu haben sind.

Die völlig korrupte libanesische politische Klasse ebenso wie die Hisbollah, die im Land de facto das Sagen hat, zeigten sich allerdings bislang zu keinen Zugeständnissen bereit. Die Folgen sind verheerend, inzwischen soll die absolute Mehrheit aller Libanesinnen und Libanesen unter der Armutsgrenze leben, wer irgendwie kann, versucht das Land zu verlassen.

Jüngste, von der UN vorgelegte Zahlen über die Lebenssituation der Bevölkerung sind alarmierend:

Laut dem neuen Kurzbericht „Multidimensionale Armut im Libanon: Schmerzhafte Realität und unsichere Aussichten“ leben 82 % der Bevölkerung in multidimensionaler Armut, für deren Feststellung neben dem Einkommen auch andere Faktoren wie den Zugang zu Gesundheit, Bildung und öffentlichen Versorgungseinrichtungen berücksichtigt werden.

In einem früheren Bericht, der vor einem Jahr veröffentlicht wurde, stellte die ESCWA fest, dass die Armutsquote nach Köpfen zwischen 2019 und 2020 bereits von 28% auf 55% gestiegen ist. Laut der letzten Aktualisierung hat sich die multidimensionale Armutsquote im Libanon von 42% im Jahr 2019 auf 82% im Jahr 2021 fast verdoppelt.

Auch Initiativen etwa des Iran, den Libanon unter Verletzung bestehender Sanktionen mit Öl zu versorgen, schafften kaum Abhilfe. Nun will, arrangiert durch den jordanischen König, der in letzter Zeit offenbar eine Normalisierung mit Syrien anstrebt, Ägypten Strom via Jordanien und Syrien in den Libanon liefern. Selbst wenn dies geschehen sollte, dürfte es noch Wochen dauern, bis die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung steht.

Die herrschende Schicht klammert sich weiter an ihre Posten und zeigte keine Bereitschaft zu Veränderungen und  hält die Bevölkerung quasi als Geisel

Schnelle Abhilfe ist also nicht in Sicht, vermutlich wird sich die Lage im Libanon deshalb noch weiter verschlechtern. Denn wie soll das Leben in einer modernen Großstadt ohne Strom und mit eingeschränkter Wasserversorgung aussehen? Wie lange kann ein Land, dass de facto zusammengebrochen ist, weiter irgendwie funktionieren, ohne dass es zu massiven Unruhen und Verwerfungen kommt?

Dies sind Fragen, die sich Beobachter der Entwicklung seit Monaten stellen, aber es scheint, die Hoffnungslosigkeit der Lage hat zu einer allgemeinen Resignation geführt. Auch im Libanon hatte es bis zum Ausbruch der Covid-Pandemie Massenproteste gegeben, die allerdings folgenlos blieben.

Die herrschende Schicht klammert sich weiter an ihre Posten und zeigte keine Bereitschaft zu Veränderungen, jetzt hält sie die Bevölkerung quasi als Geisel und scheint zu hoffen, dass je katastrophaler die Lage wird, je eher westliche Geber bereit sind, Kredite ohne Bedingungen zu vergeben.

Außerdem dürfte auch die Hisbollah keinerlei Bereitschaft zeigen, ihren Griff auf das Land zu lockern und sie ist, das hat sie in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen, notfalls bereit mit äußerster Brutalität den Status Quo zu verteidigen.

So wird sich wohl kaum etwas ändern im failed state Libanon, außer dass sich die Lage weiter verschlechtert. International scheint das auch kaum jemanden zu interessieren. orbei sind offensichtlich die Zeiten, in denen der Nahe Osten im Zentrum der Weltpolitik stand. Noch vor ein paar Jahrzehnten hätten Europa und die USA wohl kaum zugeschaut, wie ein Land in dieser Region vor aller Augen und mit Ankündigung kollabiert.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch