Mittwoch, 20.10.2021 / 13:45 Uhr

Der Ruf des Muezzins

Von
Amed Sherwan

Mosche in Suleymaniah, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

In Köln soll der Muezzin künftig einmal pro Woche öffentlich zum Gebet rufen. Das ist kein Zeichen einer drohenden Islamisierung.

 

Der Ruf des Muezzins weckt in mir unangenehme Erinnerungen. Daher verstehe ich den Impuls vieler Ex-Muslim*innen, gegen die Entscheidung der Stadt Köln zu wettern. Trotzdem ärgert mich diese Debatte. Denn statt notwendiger inhaltlicher Kritik an Islamverbänden zu formulieren, werden pauschale Angst und Ressentiments geschürt.

In der Debatte führen einige an, muslimischen Gemeinden sollte der Ruf schon deshalb nicht gewährt werden, weil Andersgläubige in vielen muslimischen Ländern verfolgt werden. Ich sehe es umgekehrt. Weil in Deutschland – anders als in Saudi-Arabien oder Iran - Religionsfreiheit herrscht, sollte hier gleiches Recht für alle gelten.

Aufgrund meiner eigenen negativen Erfahrungen bin ich mit dem Abfall vom Glauben nicht nur Ex-Muslim, sondern auch Anti-Muslim geworden.

41 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland gehört keiner Religion an und muss das ständige Glockenläuten der christlichen Kirchen trotzdem ertragen. Die Stadt Köln erlaubt den Moscheen den Ruf einmal wöchentlich für maximal fünf Minuten. Wer hierin eine drohende Islamisierung sieht, misst mit zweierlei Maß.

Ja, da wird gerufen, dass es keinen Gott gibt, außer »Allah«. Allah ist aber der arabische Begriff für »den einen Gott« und wird im arabischsprachigen Raum auch von christlichen und jüdischen Menschen für Gott genutzt. Und inhaltlich unterscheidet sich der muslimische Ruf nicht von dem, was auch in anderen monotheistischen Religionen behauptet wird.

Ich finde alle Religionen mit einem Wahrheitsanspruch potenziell gefährlich. In den Händen der Mächtigen wird eine solcher Glaube zu einem Instrument gegen alles, was angeblich »falsch« ist. Die Vorstellung von einer »wahren« Weltanschauung erstickt die Vielfalt und führt zu Unterdrückung, Ausgrenzung, Gewalt und Krieg.

Aufgrund meiner eigenen negativen Erfahrungen bin ich mit dem Abfall vom Glauben nicht nur Ex-Muslim, sondern auch Anti-Muslim geworden. Aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass gelebte Vielfalt das beste Mittel gegen Wahrheitsverwalter ist. Und daher nehme ich Religionsfreiheit sehr ernst.

Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der alle Menschen sich mit ihrer Weltanschauung zuhause und sicher fühlen. Menschen muslimischen Glaubens genauso wie andere Gläubige und Nichtgläubige. Ich kann ertragen, dass Glocken läuten und Leute zum Gebet rufen, weil ich meine Weltanschauung auch offen zur Schau stellen darf.

Ich weiß aus eigener Erfahrung wie es sich anfühlt, als fremd und unerwünscht betrachtet zu werden. Ich glaube, dass es wichtig für das Zusammenleben ist, wenn alle Menschen sich willkommen fühlen und ihre Traditionen mit denselben Maßstäben beurteilt werden. Daher lasst die Muezzins rufen oder verbietet Kirchenglocken gleich mit.

Gerade weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wegen meiner Weltanschauung als Verbrecher behandelt zu werden, möchte ich das Verhalten anderer nicht nur deswegen kritisieren, weil es muslimisch ist. So wie die Aufregung damals, als einige Moscheen in Deutschland die Eidgebete vernünftigerweise aus Infektionsschutzgründen auf Parkplätze abgehalten haben.

Empörungswellen und pauschale Kritik gegen alles Muslimische führen nur zu gegenseitigem Misstrauen und Hass und verhindern aus meiner Sicht die notwendige Auseinandersetzung damit, wo Zusammenleben in Vielfalt tatsächlich bedroht wird, zum Beispiel dadurch, dass Moscheen in Deutschland von menschenfeindlichen Regimes bezahlt werden.