Samstag, 11.04.2020 / 20:44 Uhr

Libanon: Schlag für die Protestbewegung

Von
Hannah Wettig

Im Libanon rehabilitiert Corona korrupte Politiker und erstickt die Protestbewegung, die eine tiefgreifende Reform des politischen Systems gefordert hatte.

 

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(Beirut, Bildquelle: Wallpaper)

 

Kaum ein Land der Welt reagierte so schnell und besonnen auf die Corona-Pandemie wie der Libanon. Das scheint erstaunlich. Denn das Land zeichnete sich in den vergangenen Jahren durch weitgehendes Staatsversagen aus. Doch die Regierung hat gute Gründe ausnahmsweise mal geeint zu handeln – die Ausgangssperre könnte ihre Köpfe retten. Denn mit Corona endeten auch die Massendemonstrationen gegen das politische System.

Fast einen Monat bevor viele europäische Länder landesweite Maßnahmen verhängten, verfügte der libanesische Bildungsminister die Schließung aller Bildungseinrichtungen. Das war am 28. Februar – fünf Tage zuvor hatte Italien erst angefangen, einzelne Gemeinden abzuriegeln. Dabei gab es im Libanon zu dem Zeitpunkt erst vier bestätigte Corona-Fälle.

So manchem erschien das als Überreaktion. Einige Universitäten protestierten. Aber wer die Nachrichten in der Region verfolgte und nicht den offiziellen Verlautbarungen glaubte, konnte die Katastrophe heranrollen sehen – und wissen, dass diese zuerst die Länder treffen würde, die enge Beziehungen zum Iran unterhielten.

Eng mit dem Iran verbandelt

Offiziell war zwar noch nicht klar, dass der Iran nach Ostasien der zweite große Krisenherd werden würde. Erst am 20. Februar gab die Regierung dort bekannt, dass bei zwei Todesfällen in der heiligen Stadt Qom das Corona-Virus nachgewiesen worden war. Doch die iranische Opposition spielte schon seit drei Wochen Informationen in die sozialen Medien, dass sich Corona im Iran ausbreite. Vier Tage später bestritt der iranische Gesundheitsminister eine Krise, hustend und unter Schweißausbrüchen – er war längst erkrankt.

Der eng mit dem iranischen Regime verbandelten Regierung im Libanon war wohl sofort klar, dass dort im größten Maße vertuscht wurde. Anfang März verfügte sie sukzessive die Schließung von Kinos, Sportstätten, Clubs und Restaurants. Seitdem gilt eine nächtliche Ausgangssperre, tagsüber darf nur eingekauft werden, Helikopter fliegen über den Städten und fordern die Menschen auf, in ihren Wohnungen zu bleiben.

Die Regierung hatte gute Gründe für solch umfassende und frühe Maßnahmen. Die Schiiten im Libanon, rund ein Drittel der Bevölkerung, unterhalten traditionell enge Beziehungen zum Iran. Die erste libanesische Corona-Infizierte war eine Pilgerin, die aus Qom zurückkehrte. Politisch ist der Libanon, seit die Hisbollah in der Regierung sitzt, immer mehr zum Satelliten des Iran geworden.

Gesundheitssystem desolat

Eine Ausbreitung des Virus hätte im Libanon verheerende Folgen. Das öffentliche Gesundheitssystem ist wie alle staatlichen Leistungen desolat. Seit Jahren funktionieren nicht einmal mehr Stromversorgung und Müllabfuhr. Nur ein einziges öffentliches Krankenhaus hat das Equipment, um Covid19-Fälle zu behandeln.

Die Bevölkerung ist im Vergleich zur Region relativ alt mit einer deutlich höheren Lebenserwartung und sinkender Kinderzahl.

Geld um aufzurüsten hat der Staat nicht. Seit Monaten entwertet eine galoppierende Inflation täglich die libanesische Lira. Der Staat kann seit Anfang März seine Schulden nicht mehr bedienen und erklärte damit de-facto den Staatsbankrott.

Zudem ist die Bevölkerung im Vergleich zur Region relativ alt mit einer deutlich höheren Lebenserwartung und sinkender Kinderzahl. Größte Sorge bereitet die Angst vor einem Corona-Ausbruch in den Flüchtlingslagern. Mindestens 1,5 Millionen Flüchtlinge kamen in den vergangenen Jahren aus Syrien. Eine halbe Million Palästinenser leben schon in der vierten Generation in Lagern, ohne Anrecht auf reguläre Arbeit.

Ob es dort nicht schon längst zum Ausbruch gekommen ist, weiß man nicht. Viele syrische Flüchtlinge sind nicht registriert. Sie haben Angst abgeschoben zu werden. Geschichten kursieren, dass das Regime in Syrien Rückkehrer sofort inhaftiert und zu Tode foltert. Das Risiko an Covid19 zu sterben erscheint da kleiner, also lassen sie sich nicht testen.

Harter Schlag für die Protestbewegung

Nach dem, was man weiß, steht der Libanon bisher gut da. Es gab erst 20 Todesfälle. Nicht nur die Regierung hat sich zusammengerafft, um endlich mal zu handeln. Auch die libanesische Zivilgesellschaft mobilisiert enorme Kräfte, um dem Virus etwas entgegenzusetzen.

Die letzten Demonstrationen im Februar fanden schon vor den Maßnahmen mit Mundschutz und zwei Meter Abstand statt.

Das libanesische Rote Kreuz ist mit 12.000 ehrenamtlichen Helfern rund um die Uhr im Einsatz. Eine Textilfabrik begann sofort mit dem Nähen von Mundschutzmasken. Mehrere Firmen arbeiten an der Entwicklung von Beatmungsgeräten. Menschenrechtsaktivisten organisieren Spendensammlungen und Lebensmittelverteilung an die Armen. 

Gerade die Protestbewegung reagierte besonnen. Die letzten Demonstrationen im Februar fanden schon vor den Maßnahmen mit Mundschutz und zwei Meter Abstand statt. Seitdem mahnen Aktivisten in sozialen Medien zu Hause zu bleiben.

Doch die Ausgangssperre ist ein harter Rückschlag für die Bewegung, die in den letzten Monaten nicht weniger forderte als den Rücktritt aller Politiker und die Abschaffung von Taifiah, dem Konfessionalismus.

Im Libanon werden Ämter nach Religionszugehörigkeit vergeben und Abgeordnete entsprechend ins Parlament gewählt. Dafür gibt es einen festgelegten Schlüssel, der alle offiziell anerkannten 19 Religionen bzw. Konfessionen nach Größe berücksichtigt. Das Wahlsystem führt dazu, dass Parteien in erster Linie Politik für ihre Religionsgemeinschaft machen. Mandatsträger verteilen Pfründen an ihre Klientel, statt das Wohl des Landes im Auge zu haben, denn Anhänger über ihre Glaubensbrüder und -schwestern hinaus können sie kaum gewinnen.

Parteien, die sich überkonfessionell ausrichten, wie etwa die Kommunisten oder diverse Bürgerparteien, die in den vergangenen Jahren antraten, haben keine Chance. So erhielt die Liste Beirut Madinati (Beirut, meine Stadt), die sich Demokratie- und Umweltthemen verschrieben hat, zwar in der Kommunalwahl 2016 beirutweit 30 Prozent der Stimmen und in bürgerlichen Stadtteilen sogar 60 Prozent, erhielt aber keinen einzigen Sitz im Kommunalrat.

Gegen ein Staudammprojekt

In den vergangenen 15 Jahren gab es immer wieder Massenproteste, die so manche Regierung zum Rücktritt zwangen. Aber nie zuvor ging es dabei um das System als Ganzes. Die Proteste, die im September vergangenen Jahres begangen, forderten hingegen erstmals die Revolution. Konfessions- und schichtenübergreifend gingen Millionen Menschen in allen Städten des Landes auf die Straße – über Monate. Prominente schlossen sich an. Die Medien berichteten freundlich.

Doch dann kam Corona. Viele Aktivistengruppen versprachen, ihre politische Arbeit online fortzusetzen, aber inzwischen sind viele Websites eingeschlafen. Die Facebook-Seite Thawra TV (Revolutionsfernsehen) postet noch regelmäßig. Ein wichtiges Thema ist gerade das Staudamm-Projekt im Bisri-Tal. Mit 600 Millionen Dollar unterstützt die Weltbank die Flutung einer der wenigen unberührten Naturgebiete des Libanon. Das beliebte Ausflugsziel beheimatet alte Klöster, Tempel und eine römische Brücke.

Nebenbei verschafft die Ausgangssperre den Politikern eine Atempause in der Bankenkrise.

Dieses Tal zu fluten, wäre nicht nur ein unverzeihlicher Verlust, sondern erscheint auch unsinnig in einem Land mit unzähligen Flüssen und massiven Regenfällen im Winter – weit mehr Wasser als in Deutschland kommt in der Küstenregion vom Himmel. Der Libanon hat Wasser im Überschuss. Dass der Staat es nicht schafft, seine Bevölkerung damit zu versorgen, ist Staatsversagen, das ein Staudamm nicht reparieren würde.

Die Umwelt-Aktivisten beschuldigen die Regierung, das Millionenprojekt zu nutzen, um Haufenweise Geld für sich selbst abzuzweigen – wahrscheinlich zu Recht. Sie fürchten, dass mit den Arbeiten im Bisri-Tal begonnen wird, während der Protest durch die Ausgangssperre lahmgelegt ist.

Regierung profitiert

Ein Rückschlag für die Revolutionsbewegung ist auch die massive Präsenz der konfessionellen Parteien in der Corona-Krise. Allen voran die Hisbollah haben die alten Parteien Helfer-Teams zusammengestellt, die Essensrationen verteilen und die Ausgangssperre kontrollieren. Während alle anderen in ihren Wohnungen oder auf ihren Balkonen sitzen, fahren mit Parteifahnen beflaggte Pick-Up-Trucks durch die Straßen und agitieren durch Lautsprecher die Anwohner.

Nebenbei verschafft die Ausgangssperre den Politikern eine Atempause in der Bankenkrise: Die Banken dürfen nur noch zwei Stunden am Tag öffnen und damit ist das Abheben von Dollar vor dem Zusammenbruch stark eingeschränkt. 

Der eingesperrten Bevölkerung bleibt nur das Aufdrehen der Stereoanlangen auf ihren Balkonen – davon machen sie wie die Italiener reichlich Gebrauch – ganze Straßenzüge singen gemeinsam. Den Ruf nach Revolution hört man nur noch selten. Auf Twitter überwiegen nun die Stimmen, die der Regierung applaudieren und besonders dem Gesundheitsminister Hamad Hassan, der für die Hisbollah im Kabinett sitzt.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch