Montag, 13.01.2020 / 19:27 Uhr

Der Sultan ist tot; es lebe der Sultan!

Von
Oliver M. Piecha

Fast fünfzig Jahre hat Sultan Qabus den Oman vergleichsweise mild regiert. Die Regelung der Nachfolge verlief erstaunlich glatt, die Herausforderungen bleiben aber groß.

 

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(Sultan Qabus, Quelle: Wikimedia)

 

Der am Freitag verstorbene Sultan Qabus bin Said Al Said hat den Oman 49 Jahre lang regiert. Nicht nur wegen dieser langen Herrschaftszeit war er für das Land eine Art Übervater, er hat den Oman, so wie wir ihn heute kennen, im Grunde genommen erst als Staat geschaffen. Und dass man so wenig vom Oman hört, zumal keine Krisennachrichten, ist der politischen Linie zu verdanken, die Qabus konsequent eingehalten hat. Sein Ziel war immer, den Oman weitab der regionalen Konfrontationslinien zu halten, ein nicht ganz leichtes Unterfangen bei der geographischen Lage dieses Landes mit seinen Grenzen zum Jemen, zu Saudi-Arabien und den vereinigten Arabischen Emiraten, sowie der Nähe zum Iran.

Weihrauch und Toleranzislam

Berichterstattung über den Oman findet meist nur in der Form praktisch immergleicher Reisereportagen statt, da ist dann die Rede vom Weihrauch, der hier geerntet wird, und den man im Bazar als Mitbringsel einkauft, oder es geht um die beliebten Nächte unter dem Wüstenhimmel im Luxuszelt. Für Kreuzfahrtschiffe ist der Oman ein wichtiges Ziel in einer Weltgegend, in der vor lauter Krisen, Terror und Kriegen das unbeschwerte Urlauberglück doch gelitten hat. Aus diesem Blickwinkel bietet der Oman Bilderbucharabien: Alles ist nicht so groß und so protzig wie am Golf, dafür erscheint es authentischer und trotzdem stimmt die moderne Infrastruktur.

Der Oman ist ein Produkt des britischen Empires, eine Zwischenstation auf dem Weg nach Indien

Die meisten Omanis sind Ibaditen, eine kleine muslimische Sekte, die schiitische und sunnitische Elemente aufweist, und von radikalen Strömungen wie den Wahhabiten Saudi Arabiens angefeindet wird. Offiziell wird vom Oman ein programmatischer Toleranzislam propagiert – Zielgruppe sind hier offensichtlich nicht zuletzt westliche Touristen –, der in Nischen tatsächlich Freiraum bietet. Für die südindischen Gastarbeiter, christliche Kirchen und in den Touristenressorts gibt es beispielsweise Alkohol. Es gibt sogar, wenn man weiß wo, an Hotels angeschlossene Kneipen, in der neben Indern auch ein paar Omanis vor ihrem Bier sitzen. Der Sultan hat in der Hauptstadt Maskat nicht nur eine große Moschee gebaut, sondern auch ein ebenso prächtiges Opernhaus. Und auch wenn ein Dolch zur omanischen Männertracht gehört, verglichen etwa mit dem benachbarten Jemen ist der Oman eher ein bisschen langweilig und brav.

Ein unblutiger Putsch

Der Beginn der Herrschaft von Qabus bin Said Al Said hat nicht unbedingt nahegelegt, dass der Oman diese Entwicklung nehmen würde. Sein Vater hielt nichts von der Moderne, und bis zu dem unblutigen Putsch, mit dem Qabus 1970 die Macht übernahm, blieben Radios verboten und selbst Brillen waren dem Herrscher von Maskat suspekt. Qabus‘ Vorfahren waren nämlich nur die Sultane von Maskat, deren Herrschaftsbereich sich auf die Küstenebene beschränkte.

Im Binnenland herrschten ibaditische Imame, und die Kontrolle über die Berge und Wüsten errangen die Sultane erst im 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Briten. Die Engländer waren es auch, die den Oman in den Auseinandersetzungen mit Saudi-Arabien Mitte des 20. Jahrhunderts stützten, das wiederum die USA hinter sich wusste.

Ein Freund Großbritanniens

Überhaupt ist der Oman ein Produkt des britischen Empires, eine Zwischenstation auf dem Weg nach Indien, und das historisch enge Verhältnis zwischen der omanischen Herrscherfamilie und England ist bis heute deutlich sichtbar geblieben. Sultan Quabus besuchte die Militärakademie in Sandhurst und diente ein halbes Jahr lang als Offizier der britischen Rheinarmee. (Auch die Beziehung Qabus zu Deutschland blieb, während seiner Krebsbehandlung hielt er sich allein für ein Dreivierteljahr in der Nähe Heidelbergs auf.)

Es hat seinen historischen Sinn, dass der letzte öffentliche Auftritt von Qabus im Dezember dem Empfang von Prince William galt. Es waren auch britische Offiziere, die den unblutigen Putsch planten, der Qabus – von seinem Vater unter Hausarrest gehalten – schließlich an die Macht brachte. In London befürchtete man, dass dem alten Sultan die Kontrolle über das Land zu entgleiten drohte. Das lag nicht nur an seiner störrischen Ablehnung aller Reformen, vor allem wurde der Aufstand in Dhofar, ganz im Westen des Landes an der Grenze zum Jemen, immer gefährlicher. Die Guerillakämpfer wurden von der Revolutionsregierung des Südjemen unterstützt und kontrollierten schließlich weite Gebiete der Provinz, die geographisch und kulturell weit von Maskat entfernt liegt. Bis Mitte der siebziger Jahre 1975 gelang es dem Sultan mit massiver militärischer Unterstützung der Briten, aber auch jordanischer und schließlich vor allem iranischer Truppen, den Aufstand niederzuschlagen. Qabus setzte nach dem Ende der Kämpfe aber tatsächlich nicht auf Terror und Unterdrückung, sondern band die ehemaligen Aufständischen ein. Das hob ihn von anderen Herrschern der Ära und der Region deutlich ab.

Sein gutes Verhältnis zum Iran änderte sich nach dem Sturz des Schahs nicht grundlegend

Das galt und gilt ebenso für die Außenpolitik des Oman; Qabus trat immer wieder als Vermittler auf und bot den Oman als Ort für Verhandlungen an. Sein gutes Verhältnis zum Iran änderte sich nach dem Sturz des Schahs nicht grundlegend, der Oman brach auch während des iranisch-irakischen Krieges den Kontakt zu Teheran nicht ab. Bei der Anbahnung der Verhandlungen über ein Atomabkommen zwischen der Obama-Administration und der Islamischen Republik spielte Qabus mit seinen exzellenten Kontakten zu beiden Seiten eine zentrale Rolle. Qabus schaffte es zugleich, trotz seiner guten Beziehung zum Iran und trotz seiner deutlichen Zurückweisung der saudischen Versuche, den Golfkooperationsrat zu einem Befehlsempfänger Riads zu machen, nicht in eine direkte Frontstellung gegenüber Saudi-Arabien zu kommen, wie etwa Qatar.

In Bezug auf Israel war die Haltung des Sultans wiederum von einer weitreichenden Offenheit geprägt. 1994 besuchte Jitzchak Rabin als erster israelischer Staatschef mit dem Oman einen Golfstaat, 2018 kam Benjamin Netanjahu nach Maskat – ein Schritt, den die anderen Golfstaaten bisher noch gescheut haben.

Langsame Reformen kamen ins Stocken

Sultan Qabus führte ein sehr zurückgezogenes Privatleben, das gilt auch für seine vermutliche Homosexualität, die ein mehr oder minder offenes, aber unansprechbares Geheimnis war. Bei allem Faible für Militäruniformen im englischen Stil und seinen engen Bindungen nach London wurde er zur erfolgreichen Gründungsfigur des omanischen Nationalismus, die beispielhaft in der Nationaltracht mit dem Turban beziehungsweise einem bestickten Käppchen symbolisiert wird, die omanische Jungen in der Schule oder Staatsbedienstete tragen müssen. Er dirigierte durch fünf Jahrzehnte den institutionellen Aufbau des Staates, den sein Vater noch in ganz vormoderner Weise regiert hatte.

Der Staat gehört letztlich der Herrscherfamilie

Dabei begann er auch Schritt für Schritt mit der Integration demokratischer Elemente in den absolutistischen Staat. Seit den neunziger Jahren gab es eine beratende Versammlung, für die Wahlen stattfanden, und eine Art Grundgesetz als Verfassungsersatz. Die Entwicklung verlor allerdings nach der Jahrtausendwende an Elan und stagnierte. Nach wie vor sind politische Parteien nicht erlaubt und wird mit Dekreten regiert. Umso größer war der Schock, als beim Arabischen Frühling 2011 der Oman plötzlich Demonstrationen und Streiks sah, die sich vor allem an der wirtschaftlichen Situation entzündeten.

Auch im Oman gibt es Korruption, Vetternwirtschaft und politische Einflussnahme über gesetzliche Bestimmungen hinweg – der Staat gehört eben letztlich der Herrscherfamilie. Und der gepriesene Islam omanischer Prägung legitimiert weibliche Genitalverstümmlung, die in den meisten Landesteilen praktiziert wird. Dagegen effektiv aufzutreten hat der omanische Staat bisher gescheut, aber hier gab es jüngst eine positive Entwicklung. Oppositionelle müssen mit gesellschaftlichen Druck und Ausgrenzung rechnen, der sich bis zur Verfolgung durch den Geheimdienst steigern kann. Der Oman ist und bleibt eine absolutistische Monarchie, hier stößt das Entwicklungs- wie Reformpotenzial an eine Grenze. Allerdings bietet sich das alles im Oman unbestritten in einer viel milderen Variante dar als in den anderen Staaten der Region.

Die Stagnation über die letzte Dekade, die von dem Erschrecken über die Proteste während des Arabischen Frühlings und von der langen Zeit der schweren Krebserkrankung des Sultans geprägt war, hat die Frage nach der Weiterentwicklung des Landes aufgeworfen. Die desolate ökonomische Perspektive des Oman ist dabei wohl das zentrale Problem. Einige Jahrzehnte lang konnte das Land mit vergleichsweise bescheidenen Ölexporten seine Entwicklung finanzieren, das reicht aber nicht mehr. Qabus begann Ende der achtziger Jahre mit der „Omanisierung“ der Wirtschaft, die bis heute allerdings weiter von Gastarbeitern abhängig ist. Der Ölboom hat hier, wie in der ganzen Region, die Erwartungen nach oben geschraubt, wobei die Arbeitsauffassung vieler Omanis nicht unbedingt globalen kapitalistischen Standards oder gar der protestantischen Ethik nach Max Weber entspricht.

Rasche Nachfolgewahl

Die Nachfolge ist überraschend schnell geregelt worden. Wenige Stunden nach dem Tod von Qabus wurde bereits sein Cousin Sayyid Haitham zum Nachfolger erklärt. Das Verfahren der Nachfolgeregelung war etwas speziell, einen designierten Thronfolger gab es all die Jahre nicht. Qabus selbst hatte in den neunziger Jahren verfügt, dass nach seinem Tod die Familie drei Tage Zeit habe, die Nachfolge zu regeln. Falls sie sich nicht einigen könnte, sollte ein Brief mit dem Namen seines Wunschnachfolgers geöffnet werden, der in zweifacher Ausfertigung an geheimen Plätzen aufbewahrt wurde.

Das klingt sehr exotisch und romantisch, ist aber als Nachfolgeregelung für einen Staat in der Moderne eher zweifelhaft. Wenn man in den vergangenen Jahren mit Omanis sprach, war die Unsicherheit über die Folgen dieser Regelung ein wichtiger Kritikpunkt. Zumal es ja keine öffentliche Diskussion über Nachfolgekandidaten gab, sondern nur Gerüchte und kryptische Hinweise, oder Gemunkel, das jedenfalls als solche gelesen wurde.

Der Ernstfall ging nun aber ganz ohne Störungen vonstatten, die Familie verzichtete auf eine eigene Wahl und Bedenkzeit und ließ im Beisein von Militär und Notabeln bereits am nächsten Morgen den Brief des toten Sultans öffnen. Das war ein Signal und Bekenntnis nach außen wie nach innen: So wurden mögliche Beeinflussungsversuche des Berufungsprozesses von Seiten interessierter Nachbarländer unterbunden – dass man sich so demonstrativ an den Willen von Qabus hielt, war zugleich ein Bekenntnis zur Kontinuität.

Der Neue hat die alten Probleme

Dafür steht auch der neuen Sultan Haitham; er sieht seinem Cousin nicht nur etwas ähnlich und soll enge Kontakte zum englischen Königshaus besitzen, er hat seine politischen Erfahrungen im Außenministerium gesammelt, kümmert sich um die Bewahrung des kulturellen Erbes –  das ist auch ein Steckenpferd von Qabus gewesen und zugleich wichtiger Teil seines Nation Building, das z.B. die Restaurierungen der imposanten Lehmfestungen beinhaltete – und hat die Planungen für die weitere Entwicklung des Landes beaufsichtigt.

Im Oman wird Zukunftsfähigkeit mehr erfordern als eine hübsche Nationaltracht und die Erinnerung an einen einigermaßen gütigen und populären Herrscher.

Dazu kommt, dass er keinen militärischen Hintergrund hat. Auch sein schon etwas vorgerücktes Alter spielt eine Rolle – so hebt sich die Nachfolgeentscheidung deutlich vom Trend in den anderen Golfstaaten ab, wo jüngere, vor Ambitionen nur so strotzende Machtnaturen wie der saudische Kronprinz das Regiment übernehmen.

Im Oman dagegen, das ist die Botschaft, soll alles so weiterlaufen wie bisher. Ob das ausreichen  wird, ist eine andere Frage, dabei wird es sehr auf die Persönlichkeit des neuen Sultans ankommen. Denn das bleibt ein grundsätzliches Problem, ob im Oman oder in anderen Ländern der Region: Die Zukunft erscheint in diesen Autokratien tendenziell immer prekär, die Autorität der Regierung ist an Persönlichkeiten und Machtkonstellationen gebunden, der Staat an sich ist schwach. Im Oman wird Zukunftsfähigkeit mehr erfordern als eine hübsche Nationaltracht und die Erinnerung an einen einigermaßen gütigen und populären Herrscher. Die Umbrüche in der Region werden sich auch hier noch deutlich spürbar machen.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch