Sonntag, 26.01.2020 / 00:04 Uhr

Angriff auf irakische Protesbewegung in Bagdad und dem Südirak

Von
Thomas von der Osten-Sacken

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(Bildquelle; Ziyad Matti, Rudaw)

 

Nachdem Muqtada al Sadr gestern zu einem Millionen-Mann-Marsch gegen die USA aufgerufen hatte, der bei der Protestbewegung gar nicht gut ankam, dafür aber die volle Unterstützung aller anderen Milizen und schiitischer Parteien hatte, entzog er heute den Demonstranten seine Unterstützung.

Mit dem Schwenk Sadrs verschwindet der letzte wichtige irakische Akteur, der noch hätte zwischen dem Establishment und der Protestbewegung hätte vermitteln können.

Dieser Schritt, offenbar abgesprochen mit der "Schutzmacht" Iran und dem regierenden Establishment war wohl Auslöser einer konzertierten Aktion irakischer Sicherheitskräfte, die sowohl in Bagdad als auch in den südirakischen Städten Basra und Nassiriyah brutal gegen die Protestierenden vorgingen und versuchten, seit Monaten besetze Plätze zu räumen:

Iraqi security forces fired bullets and tear gas on Saturday in raids on protest camps in Baghdad and southern cities, killing four people and wounding dozens more, police and medical sources said.

The new push to end the sit-in protests and restore order came hours after populist cleric Moqtada al-Sadr, who has millions of supporters in Baghdad and the south, said he would end his involvement in anti-government unrest. 

Sadr’s supporters, who had bolstered the protesters and sometimes helped shield them from attacks by security forces and unidentified gunmen, began withdrawing from sit-in camps early on Saturday after his announcement. 

Clashes erupted later in the day as authorities removed concrete barriers near Baghdad’s Tahrir Square, where demonstrators have camped out for months, and across at least one main bridge over the Tigris River, Reuters reporters said

Zwar gelang es den Demonstranten vorerst, den symbolischen Tahrir Platz in Bagdad zu verteidigen, aber trotzdem wird der 25. Januar als wichtiger Tag in die irakische Geschichte eingehen, denn Sadr hatte sich bislang als irakischer Patriot inszeniert, versucht eine gewisse Distanz zum Iran zu wahren und war ein Wahlbündnis mit den Kommunisten eingegangen.

Eigentlich wollte er die Stimme der unzufriedenen Jugend im Irak sein und hielt deshalb immer eine deutliche Distanz zu vom Iran gesteuerten Milizen und Parteien. Dies scheint sich nun geändert zu haben, jedenfalls aus Sicht der Protestierenden, für die er seit heute Teil jenes Systems ist, gegen das sie  auf die Straße gehen.

Kein Zufall also, dass heute auf dem Tahrir-Platz erstmalig auch Parolen gegen Sadr skandiert wurden.

 

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Entsetzt und enttäuscht über diese Kehrtwende Sadrs, die ihnen als Verrat erscheint, zeigten sich viele junge Demonstranten. Das irakisch-kurdische Nachrichtenportal Rudaw lässt einige zu Wort kommen:

“Sadr is busy working for Iranian interests to be achieved in Iraq by expelling US troops. He has no intention of saving the protests in Iraq if they are a threat to Iran.”

Aber auch Anhänger des Predigers, die sich mit der Protestbewegung solidarisieren, gaben ihrem Unmut Ausdruck:

“I regret that I went all the way to Baghdad to participate in Sadr’s demonstration against the US troops, as he clearly used us for his own interests,” Luay told Rudaw English on Saturday.

 



(Muqtada al Sadr vor einigen Jahren, Quelle: Ezidpress)

 

“Sadr betrayed everyone and now all he does is serve Iranian interests in Iraq,” (...)

“It is weird to see Sadr is pro-Iran now, while he was the man who invented the “Iran out, out” slogans back in 2018, in [former prime minister Haider al-] Abadi’s days,” 

Mit dem Schwenk Sadrs verschwindet der letzte wichtige irakische Akteur, der noch hätte zwischen dem Establishment und der Protestbewegung hätte vermitteln können. Nun stehen die Demonstranten alleine dar, bislang noch stützt sie halbherzig der Klerus in Najaf und Kerbala.

Sollte sich Teheran allerdings entschieden haben, die Protesbewegung  nieder zu walzen, sind blutige Tage im Irak zu erwarten. Denn ohne massive Gegenwehr wird die Protesbewegung die Straßen irakischer Städte nicht räumen.

Sie stehen alleine da. Zumindest mit irgendwelcher namhaften internationalen Solidarität brauchen sie nicht zu rechnen.

Und was ihnen blüht, sollten die Milizen gewaltsam die Macht übernehmen, wissen sie eh, nicht nur weil es schon jetzt fast täglich zu Verhaftungen kommt und, neben hunderten von Toten über Zehntausend bisher verletzt wurden, sondern weil die Führer und Anhänger dieser Milizen Vergeltung üben werden.

Ganz im Jargon des alten Nahen Ostens, der gerade überall um sein Überleben kämpft, äußerte sich jüngst Ali Al-Husseini, Sprecher der so genannten Volksmobilisierungskräfte sehr deutlich:

„Jeden Tag höre ich euch [die Demonstranten] sagen, dass bestimmte Menschen widerlich sind. [Aber] ihr seid diejenigen, die widerlich sind! Eure Familien sind widerlich – widerlich; Ihr seid die Widerlichen! Eure Familien sind widerlich. Ihr wurdet im Schmutz erzogen.“ „Ihr wurdet von der Baath-Partei, von ihren weiblichen Kameraden und von den schmutzigen und verfluchten Saddam-Baathisten auf den Straßen erzogen“, fuhr Husseini fort. „Inshallah [so Gott will], wenn Millionen von uns auf die Plätze gehen, um zu demonstrieren, werden wir all dies beenden.“

So Gott es will, werden wir die Plätze [der Anti-Regierungs-Proteste) für Prostitution, Demütigung, Joker, Spione, Skandal und Erniedrigung schließen. Unser Platz ist der Platz des Widerstands, der Helden, der Mudschaheddin [Dschihadisten] und der Ablehnung der Besatzer. Inshallah, wir werden sie beseitigen und aus dem Irak vertreiben, durch die Kraft Gottes, der Familie des Propheten, der Mudschaheddin und d Achse des Widerstands.“

Fast wie eine Antwort des "neuen Nahen Ostens" klang dagegen, was heute eine junge Irakerin dem  Sender Al Jazeera sagte:

"I just arrived to Tahrir Square with my friends and everyone is telling us to go back because the situation is getting dangerous," Qamar Imad, a 17-year-old girl told Al Jazeera. "But we won't leave Tahrir because it is ours. The sound of bullets will only strengthen our resolve."

Sicher allerdings ist: Sie werden die Plätze im Irak, die sie besetzt halten, nicht ohne Gegenwehr räumen. Es wird blutig werden. Und sie stehen alleine da. Zumindest mit irgendwelcher namhaften internationalen Solidarität brauchen sie nicht zu rechnen.