Sonntag, 14.07.2019 / 09:35 Uhr

"Mein Kampf" in Istanbul

Von
Silas Gudea, Istanbul

Es liegt bereits einige Jahre zurück, als ich mit zwei Freunden der Kunstgeschichte bei den Antiquitäten- und Trödelhändlern Kadiköys, zum Schnuppern, Entdecken und auch zum Erwerb von schöner Nostalgia und Memorabilia unterwegs war. Vintage- und knallig bunter Retrokitsch aus den rock and rollin Sixties, inmitten von stümperhaft plagiierten byzantinischen Kupfermünzen und gefälschten amerikanischen Silberdollars.

Je tiefer ich in die Auslagen der Antiquare und auf die rollenden Ablagen der mobilen Trödelhändler sah, umso mehr fragte ich mich, wozu wir Menschen all dieses Gedöns überhaupt produziert hatten? Fragende Gesichter unter meinen Begleitern und ein nichtssagender Blick des Bazaris. Trotz dieser Feststellung, ging die Suche nach Interessantem weiter. Unter vielen harmlosen Dingen stechen mir plötzlich die mannigfaltigen Nazimemorabilia, die dort zum Verkauf angeboten werden, direkt in die Pupillen.

 

Hitlers “Mein Kampf” (türk. “Kavgam”), ist dort in mehrfach verschieden aufgelegten Versionen genauso vorhanden, wie diverse NSDAP-Postkarten oder auch ausgemusterte Fotos aus den Archiven des Deutschen Archäologischen Instituts Istanbul, die, abgestempelt und nummeriert mit dem Nazi-Reichsadler, über irgendwelche Umwege auf dem Bazari-Trödel gelandet sind. Wie sich jedoch qualitativ gute, auf modernen Druckmaschinen hergestellte  Faksimile und Nachdrucke von klassischer Nazipropaganda auf den Ablagen und Auslagen einiger Händler wiederfinden können, sollte mir, auf direkte Nachfrage, ein Bazari beantworten.

Laut seiner Auskunft werden diese in Druckereien der iranischen Hauptstadt Teheran produziert und auf Istanbuler Strassen, ganz ohne Bedenken und Beanstandungen der dortigen Ordnungsämter, verkauft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass junge, pubertierende türkische Jugendliche in den Bann dieses nachgedruckten Schundes verfallen, wollen viele doch vermeintlicherweise wissen, dass Adolf Hitler eigentlich kein schlechter Mann gewesen sei, und ja, die Juden, die er im Rahmen des Holocausts mittels seiner Mordmaschinerie hat töten lassen, heutzutage auch keine reine Weste hätten.

Zeitgenössische Ansichten von Menschen, die man an einem Ort, wie Kadiköy, antraf und ansprach!