Mittwoch, 10.04.2019 / 11:10 Uhr

Problemzone Muslim Fashions

Von
Oliver M. Piecha

Das Frankfurter Museum für angewandte Kunst und seine Ausstellung zur "Contemporary Muslim Fashion"

Dass es sich um keine normale Ausstellung handelt, merkt man am Museumseingang. Da werden auf bereitgestellten Tischen mitgebrachte Taschen kontrolliert, und man muss alles Metall auspacken. Ja, so werde es während der ganzen Ausstellungsdauer bleiben, sagt der Direktor des Frankfurter Museums für Angewandte Kunst bei der Pressekonferenz, er und seine Mitarbeiter würden per Mail massiv bedroht. Die Fragestellerin, offensichtlich äußerst kritisch der Ausstellung gegenüber eingestellt, fragt, ob das eine Inszenierung sein und ob man denn etwa einen Selbstmordattentäter erwarten würde?

Richtig cool ist man aber gar nicht, das zeigt der unglaublich verkrampfte „kritische“ Teil der Ausstellung.

Auch am bundesdeutschen Feuilleton merkt man schnell, dass hier in Frankfurt weniger eine Modeausstellung, als vielmehr ein Blick in die mentalen Untiefen eines Landes eröffnet wird; man hat schon im Vorfeld gestritten, man berichtet gerne zweimal über die Ausstellung und mitunter wird es regelrecht persönlich und beleidigend. Kurz: Es geht ums „Kopftuch“ und den Islam, und da wird schnell die Projektionsmaschine angeworfen. Die einen vermuten Propaganda für die islamische Verschleierung , die andern machen sich Sorgen um Rassismus.

Hauptsache „modest“

Die im übrigen mit rund 80 Kleidungsstücken größenmäßig recht überschaubare Ausstellung Contemporary Muslim Fashion ist nach eigener Einschätzung „die weltweit erste umfassende Museumsausstellung, die sich dem Phänomen der zeitgenössischen muslimischen Mode widmet.“ Sie kommt aus San Francisco nach Frankfurt und geht weiter nach New York, angeregt von Max Hollein, dem Österreicher, der in Frankfurt Karriere gemacht hat und nun das Metropolitan Museum in New York leitet.

 

m

Jakarta 2018

 

Der Kontext der Ausstellung weist also über bundesdeutsche Kopftuchbefindlichkeiten weit hinaus, hier soll ein Phänomen international museal geadelt werden. Und um eines vorweg zu sagen: Nein, es ist keine Kopftuchausstellung, der größere Teil der Modepuppen kommt sogar ohne Kopfbedeckung aus, und eine Burqa in den Farben der Saison gibt es auch nicht zu sehen (was vermutlich interessant gewesen wäre). Und ja, wenn man will, findet man überall im Kleingedruckten Hinweise auf die Zwangssituation für Frauen im Iran oder Saudi-Arabien. Der seltsame Eindruck im Angesicht der manchmal sehr prächtigen Kleidungsstücke bleibt nur: Zwangsvorschriften zur islamischen Bekleidung  erscheinen hier wie eine Fußnote, ein bedauerlicher Aspekt, jedenfalls nicht irgendwie wesentlich für das Thema islamischer Mode.

In der Frankfurter Ausstellung treffen ganz verschiedene muslimische Kleidungsstile unvermittelt aufeinander, und was nun die junge deutsche oder österreichische Designerin von islamisch inspirierter Mode, die sich Gedanken um Nachhaltigkeit macht, mit den Haute Couture-Roben von Herrschergattinnen vom Golf, den Modevorstellungen der US-amerikanischen Sekte Nation of Islam oder der staatlich geförderten islamischen Modeindustrie in Indonesien und Malaysia genau verbindet, hätte man zumindest hinterfragen können. Man hinterfragt doch heute so gerne jede Art von Verallgemeinerung und Etikettierung, aber hier soll ein Etikett wie Muslim Fashion auf einmal für alles Mögliche einstehen können. Hauptsache „muslimisch“. Und Hauptsache „modest“. Um dieses kurze  Adjektiv drehen sich die Feuilletonbeiträge hin und her; verständnisvolle Feuilletonisten halten „maßvoll“  als Übersetzung für angemessen, man kann „modest“ natürlich auch mit züchtig oder sittsam übersetzen.

Aber das klingt ja nicht nur etwas altväterlich, es weist auch unangenehm deutlich darauf hin, dass dort, wo es züchtige und sittsame Kleidung gibt, es logischerweise auch unsittliche und unzüchtige Kleidung geben muss, sonst würde das Unterscheidungskriterium „modest“ gar keinen Sinn ergeben. Aber dann wäre man ja schon wieder halb in so einer hässlichen politischen Diskussion über den Islam, den Kopfbedeckungszwang und all das, wo man doch lieber über „Halal Mode“ als Gegensatz zur „Fast Fashion“ sprechen möchte.

Der Zwang zur Verschleierung ist wie gesagt nur eine Fußnote, Frauen, die damit zu kämpfen haben, kämpfen offensichtlich den falschen Kampf.

„Modest“, so sagt das der Frankfurter Museumsdirektor Professor Wagner K, stünde in den USA, wo die Ausstellung konzeptioniert worden sei, für dezent und körperbetont, und daran solle man sich doch bitte halten. Das ist ja überhaupt die große Ungereimtheit dieser Ausstellung, dass sie qua Titel behauptet, über ein globales zeitgenössisches Phänomen zu sprechen, sich aber tatsächlich sofort, wenn es etwas schwieriger wird, auf ein ganz bestimmtes Segment der weltweiten muslimischen Umma zurückbezieht: Nämlich auf urbane muslimische Aktivistinnen der Mittel- und Oberschicht mit und ohne Gendersternchen, alles echte Kinder westlicher Sozialisation, Theoriebildung und Subkultur. Und schon ziehen wir uns alle einen bunten Hijab über, steigen aufs Skateboard und zeigen den demonstrierenden „Fürsprecherinnen eines überholten Altfeminismus“ mal wie Muslim cool aussieht.

Intersektionalistischer und postkolonialer Theorierahmen

Richtig cool ist man aber gar nicht, das zeigt der unglaublich verkrampfte „kritische“ Teil der Ausstellung. Den Kuratorinnen (Männermode oder überhaupt Männer jenseits des Museumsdirektors sind tatsächlich eine echte Fehlstelle der Ausstellung) war natürlich das Konfliktpotenzial klar, also wurde begleitend Kunst aufgehängt. Das geht immer. Da hängen nun in einer Ecke die bekannten historische Fotos der Demonstrationen gegen die Einführung der Zwangsverschleierung im Iran 1979 von Hengameh Golestan und man fragt sich, wie die nun genau mit den Designabayas kommunizieren sollen, vor denen man steht, wenn man sich wieder umdreht.

Manche der künstlerischen Arbeiten sind auf den ersten Blick auch nicht ganz so eindeutig, wie das bei Kunst ja gerne der Fall ist; etwa die Arbeit des Exilirakers Wesaam Al-Badryder, der Frauen mit Niqabs verschleiert hat, die aus bunten Schals westlichen Luxusmarken geschneidert sind. Der ästhetische Eindruck ist verblüffend, aber worauf richtet sich der Blick des Künstlers eigentlich? Politisch korrekte Journalisten haben darin zielsicher einen Ausdruck von Kritik an westlicher Okkupation islamischer Kultur erkannt, wobei die Bemerkung der Kuratorin beim Rundgang doch plausibler erscheint, der Künstler habe auf die eingeschränkte Welt der Frauen in den Golfstaaten hinweisen wollen, deren Lebensziel in Ermangelung anderer Freiheiten im Luxuskonsum bestehe.

Bisher unbeachtet geblieben ist die Grundierung der Ausstellung mit einem intersektionalistischen und postkolonialen Theorierahmen. Womöglich ist das heutzutage schon normal und selbstverständlich. Ein dreitägiges Forum mit einschlägigen Titeln und Personen („Mode und Intersektion von Race, Gender, Class und Identität“) begleitet die Ausstellung, und man wird wohl sicher sein dürfen, dass eine kritische Reflektion islamistischer Einflüsse auf die islamische Modeindustrie hierbei nicht stattfinden wird, dafür aber viel vom imperialistischen Westen, islamischer Identität und antimuslimischen Rassismus die Rede sein wird. Auch ein Blick in den Ausstellungskatalog  bestätigt leider bloß Vorurteile gegenüber einer Sichtweise, die in ihrer ideologischen Engführung  auf Kritik am westlichen „Orientalismus“ und angeblicher permanenter Benachteiligung von Muslimen unglaublich redundant ist.

Solange es den brutalen staatlichen und gesellschaftlichen Zwang zu islamischen Kleiderordnungen im großen Maßstab gibt, wird auch keine noch so hippe Kopftuchaktivistin dieses leidige Thema los.

So interessieren die britische Kulturwissenschaftlerin Reina Lewis, die auch nach Frankfurt kommen wird, in ihrem Einführungsessay nur ganz bestimmte Musliminnen: „Da muslimische Frauen heute auf der ganzen Welt mit Verboten von Kopftüchern und Gesichtsschleiern zu kämpfen haben, sollte man sich daran erinnern, dass vor nicht allzu langer Zeit Hüte für Männer und Frauen ein unverzichtbarer Bestandteil der Alltagskleidung in Ost und West waren.”

Der Zwang zur Verschleierung ist wie gesagt nur eine Fußnote, Frauen, die damit zu kämpfen haben, kämpfen offensichtlich den falschen Kampf. Das ideologisch korrekte Problem sind die angeblichen Hindernisse, die ein rassistischer, von orientalistischen Phantasien umnebelter Westen emanzipierten Musliminnen beim Selbstbedecken in den Weg stellt. Lewis schreibt allen Ernstes: „Designer, Influencer in den sozialen Medien und Verbraucher teilen das Ideal, die Entscheidungen anderer Frauen zu respektieren, die sich verschleiern, die Verschleierung ablegen oder nicht verschleiern wollen. Diesem Grundsatz zufolge ist es genauso falsch, dass staatliches und regionales Recht eine Frau in Frankreich, Quebec oder Deutschland zwingt, sich zu entschleiern, wie es falsch ist, sie in Saudi-Arabien, im Iran oder in von ISIS kontrollierten Gebieten zu zwingen, sich zu verschleiern.”

Zynismus? Nein, das ist genauso intellektuell entwaffnend wie es wohl ehrlich gemeint ist. Ein angebliches Verschleierungsverbot in Deutschland ist in dieser Weltsicht dasselbe wie ein Leben im Kalifat. Angehörige intellektueller westlicher Eliten schreiben so mit leichter Hand über ermordete, verstümmelte, vergewaltigte Menschen hinweg, so wie es ihnen ideologisch in den Kram passt. Kommt einem das nicht bekannt vor? Paradoxerweise bestätigt sich dieser vermeintliche Minderheitenblick im Umkehrschluss als sehr westliche Nabelschau. Nur dass diese Arroganz und Ignoranz jetzt partout nicht mehr „weiß“ sein will.

Bloß keine verstörenden Fragen

Die tatsächlich spannenden Fragen nach der Identitätssuche von Musliminnen in der westlichen Welt und dem Einfluß, den das auf muslimisch geprägte Länder haben könnte, oder die Auswirkungen der Popularisierung muslimischer Mode auf traditionelle und islamistische Lebenswelten können aus dieser engen Perspektive heraus gar nicht gestellt werden. Die reale Welt von vielen Millionen Muslimen und Musliminnen liegt jenseits der eigenen ideologischen Filterblase, liegt jenseits von Uniseminaren und dem hübsch globalen Universum der intersektionalistischen Aktivistinnen. Hat die Hamas nicht schon modische Formen der Verschleierung empört verboten? Und was bedeutet es eigentlich für Jugendkultur im Nahen Osten, wenn bestimmte  Kopftuchformen global mit „Sexyness“ aufgeladen werden? Ach was, klagen wir doch lieber weiter über die gefühlte eigene Benachteiligung.

Eins macht diese Ausstellung in ihrem fast rührend hilflosen Umgang mit den Realitäten der muslimischen Welt jenseits von Fashion, Style und Internetmodebloggerei wieder einmal überdeutlich: Solange es den brutalen staatlichen und gesellschaftlichen Zwang zu islamischen Kleiderordnungen im großen Maßstab gibt, wird auch keine noch so hippe Kopftuchaktivistin dieses leidige Thema los. Und das liegt nicht etwa an einem antimuslimischen Rassismus oder der bösartigen Verstocktheit westlicher Gesellschaften, sondern daran, dass der politische Islam die weibliche Kopfbedeckung zu seinem großen politischen Symbol erkoren hat – endgültig mit der iranischen Revolution von 1979.

Und solange es eine relevante Bewegung des politischen Islam geben wird, kann es zugleich keine islamische Modeausstellung ohne Blick auf den häßlichen Zwang geben. Da hilft keine Wortklauberei, wie man nun „modest“ am korrektesten zu übersetzen hat.  Was der Ausstellung und ihrem programmatischen Nebeneinander von „zahlreiche(n) Kunst-, Dokumentar- und Mode-Fotografien, die die ausgestellten Kleidungsstücke kontextualisieren“ schlicht fehlt, ist das Zeigen so eines typischen Propagandabilds wie sie etwa im Iran plakatiert werden: Da sieht man einen verpackten und einen unverpackten Lolli. Und auf welchem sitzen die Fliegen, na? So kann man die Vorzüge von „modest fashion“ nämlich auch erklären. Das wäre aber wohl zuviel verstörender „Kontext“ gewesen. Wenn die Ausstellungsmacherinnen den Mut gehabt hätten, auch so etwas zu zeigen, dann wäre es eine wirklich interessante Ausstellung geworden.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch.