Samstag, 09.02.2019 / 16:13 Uhr

Türkische Regierung soll von Putsch gewusst haben

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Bis heute ist weitgehend unklar, was eigentlich sich im Juli 2016 in der Putschnacht in der Türkei abgespielt hat. Steckte am Ende gar Erdogan selbst dahinter, wie viele vermuten? Wussten Geheimdienst und Regierung von den Vorbereitungen und ließen sie gewähren, nur um danach eine Legitimation zu haben, aufzuräumen? Oder war es wirklich ein Putsch, der in letzter Minute verhindert werden konnte.

Es mehren sich die Hinweise, dass die Regierung zumindest von den Vorbereitungen gewusst hat:

Jetzt hat ein exiltürkischer Journalist ein offizielles Protokoll des leitenden Staatsanwaltes in Ankara aus der Putschnacht veröffentlicht, das den Verdacht nährt, die Regierung habe von dem Staatsstreich gewusst und ihn für ihre Selbstermächtigung genutzt.

Während die türkischen Medien die Enthüllung fast komplett ignorierten, wurde sie in den sozialen Medien sofort zum Zankapfel der bis aufs Blut verfeindeten politischen Gruppen, denn der freie Journalist Ahmet Dönmez, der das brisante Papier am Montag auf seiner Webseite publizierte, schrieb früher für eine Zeitung der Gülen-Bewegung, die Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht. Obwohl es eindeutige Belege gibt, bestreitet die Gülen-Sekte jede Beteiligung am Staatsstreich. Das Dokument ist ein offizielles Protokoll der Putschnacht, das der damalige Staatsanwalt Serdar Coskun verfasste und unterzeichnete. Als Teil der Gerichtsakten steht die Echtheit des Papiers außer Frage; sie wurde inzwischen durch den bekannten Istanbuler Journalisten Nedim Sener nach Rücksprache mit Coskun bestätigt.

Der Ex-Staatsanwalt, der letztes Jahr in den obersten türkischen Berufungsgerichtshof Yargitay befördert wurde, hat sein Protokoll auf den 16. Juli ein Uhr nachts datiert, rund drei Stunden nach Beginn des Putschversuchs. Um diese Zeit wurde unter anderem auf Basis dieses Papiers damit begonnen, rund 2700 Richter und Staatsanwälte vom Dienst zu suspendieren oder festzunehmen. Diese Auswirkung sowie Datum und Uhrzeit begründen die besondere Brisanz des Protokolls. Denn Staatsanwalt Coskun listet darin neben authentischen Ereignissen andere auf, die um ein Uhr nachts noch nicht stattgefunden hatten und weitere, die überhaupt nicht eintraten. Das Ganze wirkt, als habe es einen zuvor festgelegten Ablaufplan gegeben, den Coskun kannte und aufschrieb, an den sich die Realität dann allerdings nicht in allen Punkten hielt.

Beispielsweise beschreibt er die Bombardierung des Parlaments in Ankara, die um 2:35 Uhr und 3:24 Uhr morgens stattfand, also frühestens anderthalb Stunden nach Abfassung des Protokolls; dort gab es jedoch keine Toten, wie Coskun fälschlich darlegt. Ohne Zeitangabe schreibt er: „Soldaten umzingelten das Hauptquartier des Nationalen Geheimdienstes (MIT) in Ankara“ und: „Die Geheimdienstabteilung der Polizei wurde bombardiert.“. Diese Vorfälle gab es nicht. Falsch sind auch Coskuns Notizen über die Ereignisse am Präsidentenpalast. So schreibt er, die riesige Residenz sei von Putschisten belagert worden. Doch nur 13 Soldaten begaben sich in der Putschnacht zu Erdogans Amtssitz. Auch wurde anders als im Protokoll verzeichnet, keine Bombe auf den Komplex abgeworfen, sondern lediglich ein Parkplatz und eine Straßenkreuzung in der Nähe bombardiert – um 6:19 Uhr, fünf Stunden nach Protokollende. Ebenfalls nie stattgefunden hat die Ernennung neuer Befehlshaber der Armee durch die Putschisten, die Coskun vermerkt.