Mittwoch, 05.12.2018 / 16:36 Uhr

Erdogan erklärt Inflation den "totalen Krieg"

Von
Silas Gudea, Istanbul

“Enflasyonla Topyekun Mücadele - #TürkiyeKazanacak”, so lautet die omnipräsente Kampflosung, die dem türkischen Volk dieser Tage, seitens des  plebiszitär gewaehlten “obersten Dorfvorstehers” (O-Ton R.T. Erdoğan) multimedial eingetrichtert wird. H

Hinweise auf diesen Kampf gegen unsichtbare, aber doch irgendwie stets präsente “äußere Mächte”, die an den Verbraucherpreisen zu ziehen und drehen scheinen,  werden mannigfaltig auf Warenregale geklebt, und als Poster an die Ein- und Ausgänge diverser Supermarktketten oder Einkaufsmalls montiert.

 

Ein islamistisch-nationalistischer Schlachtruf

Die wörtliche Übersetzung dieses Schlachtrufes, das sich wie viele andere Slogans in die Tradition der islamistisch-militaristisch-nationalistischen Widerstands- und Renovationsparolen der Regierungspartei AKP einreiht, ist die Ausrufung des “Totalen Krieges gegen die Inflation”, die die Verbraucher- und Produzentenpreise in der “Neuen Türkei” in die Höhe zu treiben scheint.

 

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Es sprechen die Staatsmedien, dass findige Geschäftemacher die Haupt-Delinquenten für diesen an Hochverrat grenzenden Zustand sein sollen. Diese würden die enorme Volatiliät des Euro vs. US-Dollar vs. TL-Kurses, für aberwitzige Preisaufschläge missbrauchen. Selbst auf innerländische, resp. heimische Produkte!

Dass schlaue Füchse stets einen grossen Reibach in Krisenzeiten machen, ist nicht nur in der Türkei schon immer so gewesen. Daher kann man diesen Vorwurf, den die Regierung Erdoğan macht, eher an die Groß-Unternehmen im Lande gerichtet sehen, die man auf diese Weise “auffordert”, Preiserhöhungen auf ihre Waren deutlich zu limitieren, resp. keine Preiserhöhung vorzunehmen. Ganz gleich, ob sich das für die Unternehmen rechnet, oder nicht.

 

Signale schon 2011

Erste Signale und Indizien für kulminierende Turbulenzen in der türkischen Wirtschaft, wurden bereits seit dem Jahre 2011 von der türkischen Statistikbehörde TÜİK verzeichnet. Ein monotones Wirtschaftsmanagement, das  sich zuvorderst von heissen Kapitalflüssen aus dem Ausland alimentiert hat, hatte sich in den Folgejahren zu einem mangelhaften Krisenmanagement der türkischen Wirtschaft ausgereift.

Seit Jahren protestieren hiesige Bauern- und Erzeugerverbände über die Dumpingpreise auf ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse.

Dass für den deutlichen Preisanstieg der letzten Monate, vor allem auf Lebens- und Genussmittel, das mangelhafte Handling mit dieser Situation durch die AKP-Regierung verantwortlich ist, lässt sich an etlichen exemplarischen Fällen belegen.

 

Proteste von Bauern

Schon seit Jahren protestieren hiesige Bauern- und Erzeugerverbände über die Dumpingpreise auf ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Dass in diesem Jahr ein multinationales Unternehmen, wie Ferrero, die Chuzpe besaß, zeitweise den Kilogramm-Preis auf türkische Haselnüsse zu fixieren, weil die zuständige Behörde für Agrarwirtschaftliche Produkte (TMO) nicht fähig war, einen fairen Preis festzulegen, weist auf einen mehr oder minder schweren Kontrollverlust der Regierungsverantwortung in diesem Segment hin. Starke Unwetter, u. a. in der Schwarzmeerregion Ordu, deren Haselnüsse gerne auch unter dem Brandnamen “Byzantiner Königsnüsse” vermarktet werden, wurden zuhauf vernichtet. Andere Anbaugebiete in der Region waren mehr oder weniger genau so hart betroffen.

 

Zwiebelverschwörung

Ein anderer, jedoch höchst populistisch inszenierter Fall, ist die vermeintliche Preisexplosion bei der gemeinen Speisezwiebel. Speisezwiebelhersteller und Vertreiber, werden mittels öffentlicher Denunzierung und den damit einhergehenden polizeilichen Razzien, quasi als Verschwörer gegen den türkischen Staat und die türkischen Verbraucher gebrandmarkt, da sie angeblich tonnenweise Speisezwiebel “heimtückisch” bunkern und somit den Marktpreis in die Höhe treiben würden. Diesem wirren Narrativ muss man lediglich entgegenhalten, dass es Usus ist, Agrarprodukte generell in Depots zu lagern und, je nach Bedarf, auf den Markt zu schütten. Das gilt für die Speisekartoffel, Zitronen und Orangen genauso, wie für die Speisezwiebel.

 

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Zwiebeln: Heimtückisch gebunkert?

 

Im Hinblick auf die im März 2019 stattfindende Kommunalwahl ist es jedoch passender, diesen sogenannten totalen Krieg gegen die Inflation, mit viel medialem Blendwerk und Hurra, tagesaktuell und auf allen Kanälen zu übertragen.

 

Kreditzinsen erhöht

Eine weitere, vermeintlich totalitär und entschlossen geführte konsumfördernde und inflation-deflatierende Massnahme, soll der von der Bankenaufsicht BDDK aktualisierte Entwurf zur Kreditvergabe und Kreditamortisierung auf Kreditkarteneinkäufe sei. Demnach soll die Amortisierung von Kreditkarteneinkäufen von Flugreisen, Urlaubsbuchungen und diverser anderer innerländischer Dienst- und Sachleistungen, von sechs, auf neun Monatsraten flexibilisiert werden. Das bedeutet für die, an diesem Zahlungsverfahren teilnehmenden Verbraucher einerseits, dass sich der Kreditbetrag auf mehrere kleinere  Rückzahlungen reduzieren lässt, jedoch die Endsumme des Kredites höher liegen wird.

Laut Angaben der Germany Trade & Invest (GTAİ), gehen die türkischen Warenimporte seit Mitte 2018 deutlich zurück.

Private Banken haben indes die Kreditzinsen auf Konsumentenkredite erhöht, um das Konsumbegehren zu bremsen, wohingegen staatlich dominierte Banken ihre Kreditzinsen reduziert oder auf einen relativ überschaubaren Rückzahlungszins fixiert haben. Dass sich diese staatlich geförderte Massnahme im Fiskaljahr 2019 deutlich als Malus in den Büchern der teilnehmenden Banken niederschlagen wird, sagen etliche Finanzexpertinnen und Experten schon jetzt voraus. Autark arbeitende Banken haben indes ihre finanzielle Aktiva deutlich erhöht, denn wie sagt der (marktwirtschaftliche) Volksmund:”In guten Zeiten, soll man sich auf schlechte Zeiten vorbereiten.

 

Zweistellige Inflationsrate

Nach Einschätzung der OECD, die vor kurzem den zweiten Teil ihres Berichtes zur Weltwirtschaft im Jahre 2018 veröffentlicht hat, muss die türkische Wirtschaft weiterhin an einer soliden Sparpolitik festhalten, damit sich die Inflation des Landes bis zum Jahre 2020 allmählich wieder abflaut. Es wird jedoch weiterhin eine zweistellige Inflationsrate prognostiziert.  Eine immanent wichtige Voraussetzung jedoch, ist die Unabhängigkeit der Türkischen Zentralbank (TCMB) in ihren finanz-fiskalischen Entscheidungen. Eine Einmischung aus dem Regierungspalast in Ankara, ist für die internationale Finanzwelt weiterhin indiskutabel. Man muss daher die repetitiven Bekenntnisse des türkischen Regierungschefs, wonach die Türkische Zentralbank in ihren Entscheidungen frei sei, mit Argwohn betrachten, da er im Nachsatz immer wieder betont, dass er “hohe Kreditzinsen nicht gut heiße”.

Viele existenziell bedrohte Betriebe und Unternehmen müssten nach Aufhebung des Ausnahmezustandes gar keine Insolvenz anmelden, sondern direkt pleite gehen.

In der Zwischenzeit schlagen sich der hohe Kreditzins, gepaart mit der hohen Inflation und dem derzeit stabilen, aber dennoch viel zu grossen Wertverfall der türkischen Lira, positiv in die ansonsten recht negative Außenhandelsbilanz der Türkei nieder. Laut Angaben der Germany Trade & Invest (GTAİ), gehen die türkischen Warenimporte seit Mitte 2018 deutlich zurück: monatlich im Schnitt um 20 Prozent, jeweils im Vergleich zum Vormonat. Die steigende Anzahl türkischer LKW, die aus dem Ausland leer ins Land zurückkommen, führen diese Entwicklung plastisch vor Augen.

 

Insolvenzen werden sich vervielfachen

Es wird einige Zeit brauchen, bis die internationale Finanzwelt verlorengegangenes Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Türkei wiedererlangt haben wird. Bis dahin werden sich die Insolvenzen in der Türkei vervielfacht haben. Sehr zum Unmut der Banken, die auf ihren potenziell faulen Krediten sitzenbleiben werden. Dass die flottierende Zahl der Insolvenzen seit der Aufhebung des mehrfach verlängerten Ausnahmezustandes scheinbar “explodiert” ist, ist der Tatsache geschuldet, dass die türkische Regierung per Dekret vom 31. Juli 2016, die Insolvenzanmeldung für Unternehmen untersagt hatte.

Es liegt der Verdacht der staatlich abgesegneten und legitimierten Insolvenzverschleppung im Raume!

Nach Meinung von Finanzexpertinnen und  Experten hätten viele existenziell bedrohte Betriebe und Unternehmen nach Aufhebung des Ausnahmezustandes und der damit einhergehenden Erlöschung des obigen Dekretes, gar keine Insolvenz anmelden, sondern direkt pleite gehen müssen. Mit der dreimonatigen Aufschiebung einer Firmenpleite, mittels einer Insolvenzanmeldung, unternimmt die türkische Regierung also wieder nur das, was sie für den positiven Ausgang einer Wahl benötigt: Zeit gewinnen und täglich neue Durchhalteparolen schwingen!