Montag, 31.08.2020 / 11:44 Uhr

Deadline, Klatsche, ausverkauft!

Von
GM
Soll bald abgerissen werden: der Jahnsportpark

Soll bald abgerissen werden: der Jahnsportpark

Bild:
Wikimedia, gemeinfrei, User Eisern2009

„Coronakontingent ausgeschöpft“: Manchmal ist es gar nicht so einfach ins Stadion zu kommen – trotz vieler freier Plätze. Anderswo führen die „Hygienekonzepte” zu seltsamen Resultaten.

Was passiert, wenn man freudig zusagt, sich am neuen Jungle-Fußball-Blog zu beteiligen und plötzlich feststellt, dass man sich intensiv mit der Regionalliga Nordost befassen muss, die man bisher nur als wohlwollend interessierter Zuschauer mit genügend Abstand beobachtet hat? Man verpasst den Saisonstart. Es ging mir also wie den beiden Aufstiegsaspiranten Chemnitzer FC und Energie Cottbus.

Bei mir begann die Saison aber wenigstens nicht mit zwei Niederlagen, sondern mit der Pressekonferenz nach dem Spiel BSG Chemie Leipzig gegen BFC Dynamo, das Chemie mit 3:1 für sich entschieden hatte. Dabei durfte ich das erste Mal herzlich lachen. Nachdem der Pressesprecher der Chemiker, wie es dort offenbar Tradition ist, mit monotonem und etwas holprigem Vortrag die bisherigen Stationen des BFC-Trainers Christian Benbennek vom Blatt gelesen hatte, fragte dieser belustigt: „Was macht ihr eigentlich, wenn hier einer mit 65 Jahren herkommt, dann dauert das ne halbe Stunde.“ Worauf der Pressesprecher zustimmend erklärte, dass sie ja normalerweise auch noch die Spielerstationen vorlesen würden und er das heute „zum Glück“ schon weglassen konnte. Na, das fing doch ganz lustig an.

Das zweite Spiel, mit dem ich mich beschäftigte, war ebenfalls eines mit Chemie-Beteiligung: Das Auswärtsspiel der Leutzscher bei Tennis Borussia Berlin. Auch hier hatte ich die Anmeldefrist für die Presse verpasst und Karten gab es auch keine mehr. Also sah ich es mir im Livestream des MDR an und freute mich, dass auch in Berlin überhaupt wieder Zuschauer zugelassen sind. Am Bildschirm sah das Mommsenstadion verhältnismäßig gut gefüllt aus. Zu sehen waren die Tebe-Fans, zu hören nur die Chemiker. Dabei waren erklärtermaßen gar keine Auswärtsfans zugelassen. Dafür waren die Chemiker aber sehr gut zu hören.

Mit dem Spielverlauf verhielt es sich ganz ähnlich. Tebe machte, zumindest über weite Strecken, das Spiel, Chemie machte die Tore. Die Leipziger fügten Tebe die zweite Saisonniederlage zu und waren nach dem zweiten Spieltag überraschend Tabellenführer. Bei Tennis Borussia herrschte nach der Freude über den Aufstieg Ernüchterung und erste Erfolgsfans wie Kevin Kühnert kehrten dem Verein den Rücken und wollen fortan nur noch mit Arminia Bielefeld gesehen werden (natürlich auch nur, bis Arminia Ende der Saison wieder absteigt. Oder TeBe wieder gewinnt, wie am folggenden Samstag geschehen).

Da ich immer noch kein Spiel im Stadion gesehen hatte, warf ich einen ersten Blick auf den Spielplan und entdeckte voller Freude eine Ansetzung, die am Dienstagnachmittag stattfinden sollte: Lichtenberg 47 zuhause in der „Hans-Zoschke-Arena“ gegen die VSG Altglienicke! Das wäre doch ein perfekter Einstand in die Liga, dachte ich mir. Ich war der felsenfesten Überzeugung, dass es da genügend Plätze geben würde, denn wer würde schon Dienstagnachmittag zu Lichtenberg 47 gehen? Ich verabredete mich mit den Kollegen vom Blog für Dienstag, kurz nach Anpfiff.

Vorher bekam ich aber noch eine Karte für das Spiel BFC Dynamo gegen die Hertha–Amateure im Jahnsportpark. Da dieses Stadion bald abgerissen werden soll, muss man jede Gelegenheit nutzen, es noch einmal zu erleben! Zwischen Bier und Fanartikeln verkaufte ein hagerer älterer Herr originale Anstecknadeln sämtlicher DDR-Oberligisten, aber auch wunderschöne Metallbuttons von Celtic bis Millwall.

Auch beim BFC gab es ein aufwändig erarbeitetes Hygienekonzept, das rigoros und penibel umgesetzt wurde. Nur jeder dritte Platz und jede zweite Reihe durften besetzt werden. So waren etwa zwei Blocks und die Tribüne gut ausgelastet. Bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, solch komplexe Konzepte mit begrenztem Personal umzusetzen, wirkte es dennoch ziemlich absurd, trotz des Mindestabstands mit so vielen Menschen in einen kleinen Block „gepfercht“ zu werden und die ganze Zeit auf tausende leere Sitze zu schauen, auf denen man entspannt und ohne jedes Infektionsrisiko hätte sitzen können. Im Land der Idioten darf man nicht auf Eigenverantwortung hoffen.

Gehofft hatte ich aber, dass es auch zum Hygienekonzept gehört, nicht mehr als zwei Lieder nacheinander singen zu dürfen. Doch leider begannen die 20 Ultras, die immer bei Dynamo in der Ultraecke stehen, mit ihrem Ultraprogramm. Dass der Rest der Fans sie dabei so konsequent ignoriert, war mir beim BFC irgendwie schon immer sympathisch.

Nach einem Totalausfall der Heimabwehr ging Hertha mit dem ersten Angriff des Spiels in Führung. Ich dachte gerade an Begriffe wie „Klatsche“, als der BFC im Gegenangriff den Ausgleich erzielte. Ein paar mal sang der ganze Block daraufhin das bekannte „Ein Schuss, ein Tor, Dynamo!“ Nach einem ausgeglichenen Spiel machte Hertha aber doch noch das zweite Tor und ließ die Glorreichen nicht wieder ins Spiel kommen. Ein Fußballfest zum Saisonauftakt geht anders.

Überhaupt startet diese Saison genau entgegen der Vorhersagen: Die Favoriten stehen am Tabellenende, es hagelt Überraschungen. Wunderbare Voraussetzungen für den entspannten Fußballnachmittag in Lichtenberg, Kurz vor Spielbeginn riefen die Blog-Kollegen an und erzählten etwas von einer riesigen Schlange und dass sie froh wären, wenn sie noch hinein kämen. Als ich das Stadion an der Normannenstraße erreichte, wurden die Tore gerade geschlossen. Absolut ausverkauft bzw: „Coronakontingent ausgeschöpft“, wie es der Chefordner formulierte. Ich versuchte alles, gab mich nacheinander als Sportjournalist, Lichtenberg-Ultra und Vegan-Koch aus – keine Chance. Enttäuscht streifte ich eine Runde um Stadion.

Auf einer Mauer stand ein Typ und hielt sich an einem Baum fest, ich setzte mich neben ihn. Hier hatte man einen Blick auf einen großen Ausschnitt des Spielfeldes und fast alle Zuschauerränge. Was man nicht sah, waren die beiden Tore. Vieles, was ich zu sehen bekam, verdiente Szenenapplaus, die Stimmung im Stadion war gut, soweit ich das von draußen beurteilen konnte. Mit 0:0 ging es in die Pause, die Kollegen von drin versorgten mich mit interessanten Details, z.B. dass sich offensichtlich Fans mehrerer Ostberliner Vereine vor Ort befanden und in friedlicher Eintracht Lichtenberg guckten. Ich blieb noch auf meiner Mauer, bis das 1:0 für Lichtenberg fiel, denn ich wollte wissen, wie laut der Torschrei ist. Mein Urteil: L47 muss sich nicht verstecken! Als ich mich von der Mauer schwingen wollte, brach Jubel im Block von Altglienicke aus. Ich machte mich auf den Weg, denn irgend etwas fehlte dann doch, wenn man beide Tore nicht sehen kann. Aus der Ferne hörte ich noch den Stadionsprecher kleinlaut das 1:2 verkünden.

Auf dem Heimweg sah ich zufällig noch das Testspiel einer BFC-Jugendmannschaft gegen den Frohnauer SC. Eine sehr migrantisch geprägte Dynamoelf mit einer Handvoll enthusiastischer Eltern am Rand kickte munter drauflos und machte bald ein schönes Tor. Ich machte noch ein paar Bilder von der Heimstätte des DDR-Rekordmeisters im Dornröschenschlaf und fuhr heim. Wie das Spiel in Lichtenberg ausgegangen ist, weiß ich nicht, es steht aber im Text der Kollegen. Ich weiß aber eins: Die Saison hat noch Steigerungspotential.