Sonntag, 03.09.2017 / 02:46 Uhr

Bunker, Berge und Birrari: Ein Stalinist mit Trotzkis Browning

Von
Jörn Schulz

„Fuck the Police“ - das war die Reaktion einiger junger Albanerinnen und Albaner auf den Abbruch des – übrigens sehr guten – Konzerts von Sunday Stories auf polizeiliche Anweisung. Nicht einmal mehr einen Song durfte die Band noch spielen, und es war noch nicht einmal 23 Uhr. Einige Bier später wurden wir auf dem Rückweg aus unbekannter Quelle in einem Park mit über hunderte Meter zu hörender schlechter Musik beschallt – also, nicht nur wir, sondern ein ganzer Stadtteil. Schwer zu glauben, dass der Polizei diese Schallquelle entgangen ist. Nein, gerecht geht es hier wirklich nicht zu.

An sich wirken die Polizisten hier, jedenfalls die für die Bewachung von Botschaften und ähnlichen Institutionen eingesetzten, recht harmlos. Es sind überwiegend Herren in meinem Alter, also deutliche jenseits der 50, zumeist mit einer weit umfangreicheren Wampe, als ich sie vor mir hertrage. Für rasante Verfolgungsjagden oder Kämpfe mit Terroristen eher nicht geeignet. Haben die schon unter Hoxha gedient? Müsste man noch herausfinden. Ebenso, ob Hoxha die Browning, die ihm im Nationalmuseum als die seine zugeschrieben wird, im Partisanenkrieg gegen italienische Faschisten und deutsche Nazis tatsächlich benutzt hat.

Aber die stalinistische Mythologie („Enver Hoxha`s cool-headedness, courage, Marxist-Leninist maturity, firm reliance on the people and unshakeable confidence in victory stood out strongly during the months of the enemy`s biggest and most ferocious offensive“) einmal außer Acht gelassen: die Albanerinnen und Albaner haben sich damals selbst befreit – with a little help from friends, Brownings haben die Briten tatsächlich abgeworfen (warum einer der britischen Offiziere, der mit den Partisanen zusammenarbeitete, den Spitznamen Trotzki erhielt, müsste man auch mal herausfinden), aber ohne Unterstützung alliierter Truppen. Die Jüdinnen und Juden in Albanien und viele jüdische Flüchtlinge wurden von der Bevölkerung geschützt.

Wenn Sie Tirana einen Besuch abstatten, schauen Sie sich das Nationalmuseum an. Es hätte eine bessere Museumsdidaktik und mehr englischsprachige Erklärungen verdient, aber es hat einen eigenwilligen Stil, den Sie anderswo nicht finden. Für Waffen haben viele Albaner offenbar ein Faible. In der Partisanenabteilung haben sie ja ihre Berechtigung, sie finden sich jedoch auch in den Ausstellungsräumen über andere Epochen überreichlich. Aber Sie finden dort auch die Säge, mit der 1943 die Telefonleitungen der italienischen Faschisten in Tirana gekappt wurden, und eine Taschenuhr eines Partisanen mit Einschussspuren, überhaupt viele persönliche Gegenstände aus dem Besitz diverser Protagonisten des albanischen Geschichte. Viele Namen, die dazugehörigen Geschichten kennt außerhalb des Landes kaum jemand. In Albanien lernt man vielleicht etwas darüber in der Schule, aber nach allem, was ich über das hiesige Bildungssystem gehört habe, zweifle ich daran. Präsent ist auch noch einiges von der stalinistischen Dekoration – heroische Wandgemälde und Statuen. In der National Arts Gallery können Sie sehen, dass einige Künstler sich bemüht haben, im gegebenen stalinistischen Rahmen doch so etwas wie Kunst zu produzieren – oft mit Erfolg. Das hier war dann aber doch zu gewagt. Nicht zu beneiden ist auch der Künstler, der gerade ein Monumentalgemälde Mehmet Shehus im Partisanenkrieg fertiggestellt hatte, der Premierminister geworden war, aber 1981 unter dubiosen Umständen starb, so dass das Gemälde unter Verschluss gehalten wurde.

Es erscheint aus heutiger Perspektive ja befremdlich, dass so viele durchaus kluge Leute Stalinisten geworden sind. Allzuviele andere Möglichkeiten, für eine bessere Welt – und später gegen die faschistische Barbarei – zu kämpfen, gab es gerade in Ländern wie Albanien aber nicht. Als anderswo in Europa die Zeit der Monarchie zu Ende ging, kam in Albanien ein König an die Macht. Zuvor hatten die europäischen Mächte allen Ernstes versucht, einen deutschen Adligen, Wilhelm zu Wied, der natürlich weder Land noch Sprache kannte, zum König von Albanien zu machen. Er hielt sich sechs Monate. Sein Wappen, der Pfau im Adler, entfaltet eine unfreiwillige Komik, die Seiner Hoheit wohl entgangen ist, aber als treffendes Symbol seiner kurzen Herrschaft gelten kann. Das war der damalige „Westen“. In einem noch fast durchgehend analphabetischen Land mit extremer Armut treten dann entschlossene Leute auf, die überzeugend darlegen, wie man das alles ändern kann. Später sind sie diejenigen, die im Kampf gegen die faschistische Barbarei ungleich mehr auf die Beine stellen als alle anderen. Was hätten Sie getan? Einmal dabei, ist es spätestens nach der Machtübernahme bei den Stalinisten wie bei der Mafia. Wer sich gegen die Familie wendet, kann vor dem Erschießungskommando nur noch „Fuck the Sigurimi“ rufen.