Dienstag, 11.07.2017 / 18:00 Uhr

Profis und Protestszene

Von
Oliver Tolmein

Die Ereignisse bei den Protesten gegen den G20-Gipfel haben das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschädigt.

Der Protest in Hamburg würde den G20-Gipfel nicht ernsthaft stören oder verhindern können, so viel war klar. Dass am Ende der Demonstrationen und Aktionen aber nicht die Lage der Welt und die Taten oder Untaten der mächtigsten Weltenlenker im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit standen, sondern Wohl und Wehe des von etwa 8 000 Menschen bewohnten Schanzenviertels, muss als eklatanter Misserfolg des so lange vorbereiteten Protests verbucht werden. Ein Misserfolg, der nicht dadurch leichter hinzunehmen ist, dass Polizei und Politik rechtlich fragwürdig vorgegangen sind. Was noch Ende der vorangegangenen Woche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, ist nach »Hamburg räumt auf«, dem Lob des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) für den »heldenhaften Einsatz« der Polizei und dem Gespräch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) mit Bewohnern des Schanzenviertels lediglich eine Randnotiz wert.

Es geht um viel, wenn die Innenbehörde in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht über allgemeine Demontrationsverbote in der Hamburger Innenstadt während des Gipfels den Klägern unter anderem vorhält, ihre Anwälte seien Mitglieder im Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). Hier soll der Rechtsstreit nicht mehr durch rechtliche Argumente und Auseinandersetzung mit dem Prozessgegenstand entschieden werden. Der Staat als Partei versucht den Kläger schon dadurch ins Unrecht zu setzen, dass er auf die vermeintlich gefährliche Gesinnung von dessen Prozessbevollmächtigten verweist. Damit wird die freie Anwaltswahl und in der Konsequenz das Recht auf parteiliche Anwälte in Frage gestellt. Dass der Hamburger Justizsenator Till Steffen (Grüne) zu diesem Vorgang schweigt, verleiht dem Vorgang ­einen noch faderen Beigeschmack.

HH0607

Die Polizei setzte während des Gipfels einerseits gezielt auf eine Demonstration der Stärke, als    beispielsweise vermummte Beamte in Demonstrationszüge eindrangen, um vermummte Teilnehmer herauszuholen. Andererseits blieb sie, als das Schanzenviertel von enthemmten Marodeuren zerlegt wurde, so lange untätig, bis am Ende scheinbar nur noch schwerstbewaffnete Spezialeinheiten die Lage unter Kontrolle bekamen. Wie auch immer man das Vorgehen der Polizeikräfte bewertet: Sie konnten den G20-Gipfel so gut beschützen, dass selbst US-Präsident Donald Trump der Hamburger Linie Respekt zollte, zugleich aber überließen sie die Szeneviertel der Stadt lange Zeit sich selbst und denen, die darin randalieren wollten.

Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes wurde so beschädigt: zum einen durch die Zerstörungswut von Teilen der Protestszene, die jedes Maß und Ziel ver­loren haben – und denen nicht nur vorzuwerfen ist, dass sie am falschen Ort gewütet hätten. Zum anderen aber, und das weitaus gravierender, durch den Anteil der Polizei und der Hamburger Politik an dem Geschehen – denn hier waren gut ausgebildete, in großer Zahl herbeigeholte Profis am Werk, von denen man genau die Voraussicht erwarten sollte, die so deutlich sichtbar fehlte. Klingt es nämlich schon wenig überzeugend, wenn das Abfackeln von Autos durch Leute aus der Protestszene mit der verfehlten Einsatz­taktik der Polizei begründet wird, so ist es doch erst recht nicht akzeptabel, wenn Beamte sich zur Rechtfertigung einer unverhältnismäßigen Einsatztaktik ihrerseits auf die Verfehlungen der Demonstranten berufen, deren Gewalttätigkeit so nicht vorhersehbar gewesen sein soll.

Demonstranten haben sich an Gesetze zu halten, die Polizei hat aber einen viel weiter gefassten Auftrag: Sie soll die Einhaltung der Gesetze sicherstellen und die Grundrechte wahren – und zwar alle. Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und das auf Meinungsfreiheit gehören in besonderem Maße dazu.