09.10.2025
Die französische Polizei geht hart gegen Proteste vor

‍Polizeigewalt in Frankreich

In Frankreich gab es im Zuge von Demonstrationen Hunderte Festnahmen und Berichte über polizeiliche Übergriffe. Das hat eine Debatte über Polizeigewalt ausgelöst.

Paris. Im Frühherbst sah Frankreich Sozialproteste mit Tausenden Teilnehmenden. Sogenannte Aktionstage fanden am 10. und 18. September sowie 2. Oktober statt. Dazu aufgerufen hatten Gewerkschaften und die Protestbewegung Bloquons tout (Lasst uns alles blockieren), die sich in den sozialen Medien gebildet und verbreitet hatte. Ursprünglich war sie im Mai im rechten Milieu entstanden, wurde aber zusehends von Linken übernommen.

Insgesamt wurden am 10. September bei den Protesten von Bloquons tout etwa 675 Menschen in ganz Frankreich festgenommen, davon 280 im Raum Paris. Am 18. September waren es landesweit 309 Festnahmen. Hingegen blieb der 2. Oktober vergleichsweise ruhig, es kam nur zu vereinzelten Festnahmen.

In der Presse hat fast allein die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde die polizeilichen Übergriffe der ersten beiden Protesttage thematisiert. Am 24. September berichtete sie unter der Überschrift »Steh‘ auf, sonst haue ich dich in Stücke« über Attacken von Polizisten beispielsweise auf an Schul­blockaden Beteiligte am Morgen des ersten Protesttags. Die Zeitung berichtete zudem, dass ein an den Protesten unbeteiligter volljähriger Schüler, der zu einer wichtigen Prüfungsvorbereitung ins Schulgebäude der Oberschule Lycée Henri IV in Paris kommen wollte, von der Polizei festgehalten und rüde behandelt worden sei. Auf Hinweise von ihm und anderen Schülern, dass er gar kein Blockierer sei, kam von Seiten der Polizei demnach nur die Antwort: »Halt’s Maul.«

Die Polizei beschloss, die Demonstration aufzulösen. »Le Parisien« zufolge gab es aber keine Lautsprecherdurchsage, wie sie erfolgen muss, bevor die Polizei zu Zwangsmitteln greifen darf.

Die Boulevardzeitung Le Parisien berichtete über einen Knüppelhieb, den ein 32jähriger Koch auf einer Demons­tration am 18. September erhielt, dessen Verletzung daraufhin im Krankenhaus mit drei Nähten geschlossen werden musste. Die Polizei hatte beschlossen, die fragliche Demonstration auf­zulösen. Journalisten von Le Parisien zufolge gab es aber keine Lautsprecherdurchsage, wie sie eigentlich dreimal erfolgen muss, bevor die Polizei zu Zwangsmitteln greifen darf.

Le Monde wiederum berichtete von einer 20jährigen, die sich bei einem polizeilichen Einsatz vor einer blockierten Schule im 20. Pariser Bezirk einen Ellenbogenbruch zugezogen hatte. Dennoch wurde sie nach kurzer Behandlung für 37 Stunden in Gewahrsam genommen und einem Haftrichter vor­geführt. Der entließ sie aus dem Gewahrsam, weil keinerlei Nachweis einer Straftat gegen sie vorlag. Le Monde ­zufolge seien solche Vorfälle »mittlerweile so häufig geworden, dass sie schon fast als gewohnt empfunden werden und keine Empörung oder Wut mehr auslösen«.

Ein anderes Beispiel für polizeiliche Exzesse im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten lieferten das Alternativmedium Rebellyon und die anarchosyndikalistische Website Infolibertaire.net. Am Freitag vergangener Woche berichteten beide über den 48stündigen Polizeigewahrsam, den ab dem 9. September ein Mitglied der Gewerkschaft der Kulturschaffenden, CGT Spectacle, im Raum Lyon über sich ergehen lassen musste. Dem Mann wurde demnach vorgeworfen, im Rahmen des Aktionstags vom 10. September eine Flasche mit brennbarer Flüssigkeit in einem Gebüsch in der Nähe eines geplanten Blockadepunkts versteckt zu haben. Im Laufe der Ermittlung erwies sich, dass es sich bei dem fraglichen Gegenstand nur um eine Flasche mit Handdesinfektionsgel handelte. Zudem wurden auf der Flasche keine Fingerabdrücke des Festgenommenen gefunden.

»Sind Sie Anarchist oder Kommunist?«

Der Vorwurf wurde denn auch gänzlich fallengelassen. Dennoch wurde gegen den Mann ein Strafverfahren eingeleitet, mit einem Gerichtstermin im kommenden Februar, weil er den Beamten das Passwort für seinen Laptop nicht gegeben hatte. Den beiden Websites zufolge war während der polizeilichen Vernehmung nur ein Bruchteil der an ihn gerichteten Fragen der Polizeibeamten auf die ihm zur Last gelegte Tat oder Tatvorbereitung bezogen. Vielmehr habe die Mehrheit der Fragen allgemein auf seine Person ­gezielt, zum Beispiel auf Mitgliedschaften in Sport- oder kulturellen Vereinigungen sowie auf seine allgemeine politische Haltung: »Was halten Sie von der Umweltpolitik der Regierung?« – »Sind Sie Anarchist oder Kommunist?« Und: »Was können Sie uns über die antifaschistische Bewegung mitteilen?«

Am 5. September machten Presse­berichte, zuerst in der sozialdemokratischen Tageszeitung Libération, bekannt, dass Innenminister Bruno ­Retailleau von der konservativen Partei Les Républicains im Hochsommer und zunächst nur intern ein neues Einsatzkonzept der Sicherheitskräfte »bei Unruhen im städtischen Raum« vorgelegt hatte. Ein entsprechendes ­Papier war am 31. Juli allen polizeilichen Führungskräften zugesandt worden. Es sieht vor, so gut wie keine ­operativen Unterschiede zwischen Krawallen in den Trabantenstädten und Aktionen des sogenannten Schwarzen Blocks zu machen.

Der Einsatz von Spezialeinheiten wie der RAID (Recherche, assistance, intervention, dissuasion) der Gendarmerie ­nationale – ein Sonderkommando, vergleichbar mit der GSG9 der deutschen Bundespolizei – ist dabei ausdrücklich vorgesehen. Vor allem aber war zunächst geplant, dass der besondere Schutz von Journalisten, wonach sie bei Unruhen nicht als Teilnehmende gewertet werden, bei Polizeieinsätzen entfallen soll, sofern das Geschehen als »innerstädtische Gewalt« eingestuft wird. Diesen Passus ließ Retailleau jedoch nach öffentlichem Druck wieder streichen.