Nicht vom Strick reden
»Auf dem hinter Glas inszenierten Schreibtisch liegen die Spuren angestrengter Arbeit, als wäre der Philosoph nur kurz ins nahegelegene Restaurant Sturm und Drang gegangen. Was würde er mir sagen, fragte ich mich, wenn er jetzt hier säße?« A. Dirk Moses. Adorno-Denkmal auf dem Theodor-W.-Adorno-Platz, Campus Westend der Goethe-Universität, Frankfurt am Main, 22. November 2023
»Erziehung nach Gaza« – mit einer solchen Verballhornung war in diesen Tagen zu rechnen. Dass es der australische Historiker A. Dirk Moses ist, der einen Essay mit der Überschrift »Erziehung nach Gaza nach der Erziehung nach Auschwitz« verfasst hat, verwundert kaum; erschienen ist er am 2. Oktober in der Berlin Review.
2021 löste er den sogenannten Historikerstreit 2.0 aus, als er die deutsche Erinnerungspolitik als Katechismus bezeichnete, der einem nationalen Erlösungsnarrativ folge, ohne dass er die zugrundeliegenden Mechanismen der nationalen Selbstberuhigung dabei erkannt hätte.
Nun hat Moses seinen zweimonatigen Aufenthalt als Fellow am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main dazu genutzt, Theodor W. Adornos kanonisch gewordenen Radiovortrag »Erziehung nach Auschwitz« (1966) im Lichte des Gaza-Kriegs umzudeuten. Dies geschieht vermittels einer Melange aus dumpfem Geraune und schrillen Thesen.
Die von der deutschen Presse »dämonisierte« Aktivistin Greta Thunberg sei eine »hochpopuläre Ikone« gewesen, »bis sie die materiellen Zusammenhänge zwischen deutscher Industrie, Klimakrise und Palästina benannte«. Die Berliner Polizei, »die sich durch willkürliche Brutalität« gegen »friedliche Demonstranten« hervortue, werde durch »eine staatlich zentrierte, selbstzufriedene Geschichtspolitik legitimiert«.
Während die Kritische Theorie sich weigert, alles menschliche Leid unterschiedslos in ein Panorama der Gewalt einzugliedern, in dem die spezifischen Unterschiede verschwinden, sieht Moses eine solche »Position im Dienst einer deutschen Ideologie der Holocaust-Singularität«.
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