10.07.2025
Die Grünen sind auf der Suche nach einem neuen Profil

Stammkneipe gesucht

Vier Monate nach der Bundestagswahl befinden sich die Grünen mal wieder in einer Selbstfindungsphase. Manche wollen die Partei deut­licher als linke Kraft profilieren. Das kollidiert jedoch mit dem Wunsch, 2026 die Landtagswahl in Baden-Württemberg zu gewinnen.

Schaut man auf die X-Accounts von führenden Grünen, dann ähneln sich die Posts: ein bisschen was zu Jens Spahn (CDU) und der Maskenaffäre, ein bisschen Klimaschutz und etwas zum Pride Month. So sieht es bei den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann aus, und auch beim Co-Parteivorsitzenden Felix Bana­szak.

Einen anderen Schwerpunkt setzt jedoch Banaszaks Amtskollegin Franziska Brantner. Sie kritisiert Friedrich Merz (CDU) dafür, nicht schon vor einem halben Jahr mit den Grünen gemeinsam Entlastungen für Unternehmen beschlossen zu haben. In einem anderen Beitrag fragt sie den Bundeskanzler mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine, mit welcher SPD er regiere, der von Ralf Stegner oder der von Boris Pistorius. Dafür hat sie extra ein Video gemacht; selbstredend steht Pistorius hier für »gut« und Stegner für »schlecht«.

Felix Banaszak will weg vom Habeck’schen Küchentisch und rein in die Eckkneipe.

Auch der Vorwurf an die Linkspartei, diese leide an einem »Moskau-Syndrom«, ist Brandner ein Video wert. Ihre Posts erinnern stark an den Wahlkampf der Partei: außenpolitisch klar an der Seite der Ukraine und wirtschaftlich ökoliberal. Das Ziel war damals ein schwarz-grünes Bündnis; in diesem sollte Robert Habeck Vizekanzler bleiben und zusammen mit Friedrich Merz eine bürgerlich-ökologische Politik durchsetzen.

Daraus ist bekanntlich nichts geworden. Die Grünen schnitten bei der Bundestagswahl mit 11,6 Prozent enttäuschend ab, in Umfragen pendeln sie seitdem zwischen zehn und zwölf Prozent, manchmal gleichauf mit der Linkspartei. Zu wenig für eine Partei, die sich selbst schon als neue Volkspartei sah und bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen Kanzlerkandidat:innen nominierte.

Statt mit Merz zu regieren, haben die Grünen nun die Linkspartei im Nacken und müssen noch in die Oppositionsrolle zurückfinden; gut die Hälfte ihrer verbliebenen 85 Bundestagsabgeordneten hat keine Oppositionserfahrung.

»Mit dir kann man ja reden«

Wie die Grünen sich neu definieren wollen? Ein Interview der Süddeutschen Zeitung mit Banaszak gibt einige Hinweise. Der Duisburger will weg vom Habeck’schen Küchentisch und rein in die Eckkneipe: »Ich gehe in meinem Wahlkreis schon an rustikale Orte. Es gibt eine großartige Kneipe an der Grenze zu Oberhausen, die ist auch Treff von Motorradfahrern, Industriearbeitern – alles kein grünes Biotop. Und klar reden wir dann über die Zukunft der deutschen Stahlindustrie. Die wollen am Ende nicht alle Mitglieder werden, aber beim Rausgehen sagte mal eine: Mit dir kann man ja reden.«

In dem ganzen Interview argumentiert Banaszak, dass die Grünen näher bei den Menschen sein müssten. Er spricht vom »Haustürwahlkampf«, davon, dass Unternehmen für Klimaschäden zahlen sollen und sich grüne Politik »am Gemeinwohl und nicht am Partikularinteresse von Branchen, Unternehmen und deren Aktionärinnen und Aktionären« orientiere. Zu links soll die Partei da lieber nicht auftreten. Das ist ihm »zu holzschnittartig«. Und so klingt er am Ende wie eine in Weichspüler gebadete Ines Schwerdtner (Linkspartei).

Am Ende klingt Banaszak wie eine in Weichspüler gebadete Ines Schwerdtner (Linkspartei).

Auch die grüne Fraktionsführung strebt in eine ähnliche Richtung. Haßelmann und Dröge haben Ende Juni ein Strategiepapier mit dem Titel »Ein Blick zurück, ein Blick nach vorne« vorgelegt. Die beiden Fraktionsvorsitzenden vermeiden darin Angriffe auf die abgetretenen Führungskräfte Habeck und Baerbock, beklagen gleichzeitig aber, dass die Regierungszeit »Vertrauen« gekostet habe.

Deutschland sei in den vergangenen Jahren zwar »klima­freundlicher, gerechter und fortschrittlicher« geworden, die Grünen selbst würden allerdings als »alltagsferne Elite-Partei« wahrgenommen. Die Menschen verbänden die Partei mit globalen Themen, aber nicht mit funktionierenden Schulklos und ausreichenden Renten. »Beim Alltag der Menschen aber denkt man weniger an uns. Das müssen wir ändern«, heißt es in dem Papier von Haßelmann und Dröge.

Inhaltlich plädieren die Fraktionsvorsitzenden dafür, sich auf Klimaschutz zu konzentrieren. Mit »Eindeutigkeit und Ehrlichkeit« sollen Menschen von der Klimapolitik überzeugt werden und auch mit einem Hauch Klassenkampfrhetorik.

Fossile Konzerne verdienten Milliarden, deswegen sei Klimapolitik auch eine Machtfrage: »Nur wer Machtfragen ausspricht, kann die Konflikte um Klimaschutz nachvollziehbar und glaubwürdig erklären.« Ihre Oppositionsrolle sehen sie nicht ganz so kämpferisch und wollen die Regierung unterstützen, »wenn sie in der Sache etwas richtig macht«.

Jette Nietzard im ACAB-Pulli

Eine Transformation der Grünen zur ökosozialistischen Klimapartei dürfte wohl auch der baden-württembergische Landesverband verhindern. Im März 2026 wird im Südwesten gewählt, und Cem Özdemir will das Erbe des seit 2011 regierenden grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann antreten, der nicht erneut kandidiert.

Am wichtigsten scheint dafür ein seriöses Auftreten zu sein. Jedenfalls legte Özdemir Jette Nietzard, der Co-Vorsitzenden der Grünen Jugend, sogleich den Parteiaustritt nahe, als rechte Medien zum Skandal aufbauschten, dass Nietzard ein Bild von sich in einem ACAB-Pulli gepostet hatte.

Damit die Grünen in Baden-Württemberg weiterregieren können, braucht Özdemir bürgerliche Wähler:innen und ein staatstragendes Image. Umverteilungsideen und eine zu krawallige Jugend schaden dabei nur.