20.03.2025
Nach jahrzehntelanger Flucht haben sich zwei deutsche Linksradikale gestellt

Dreißig Jahre sind genug

In Berlin hat der Prozess gegen zwei Linksradikale begonnen, die sich nach jahrzehntelanger Flucht gestellt haben. Ihnen wurde ein versuchter Anschlag der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. zur Last gelegt.

Im Saal 145a des Berliner Kammergerichts in der Elßholzstraße finden die Prozesse statt, bei denen verschärfte Sicherheitsvorschriften gelten. Häufig geht es um Mord, Spionage, Entführung. Den beiden über 60jährigen Herren, gegen die am Montag dort die Anklage verlesen wurde, wird nichts dergleichen vorgeworfen. Dass sie sich hier wiederfinden, hat damit zu tun, dass sie den deutschen Sicherheitsbehörden als zumindest ehemalige Terroristen gelten, als Mitglieder einer militanten Gruppierung, die Mitte der neunziger Jahre unter dem Namen K.O.M.I.T.E.E. für kurze Zeit aktiv war.

Die beiden Angeklagten, Peter Krauth und Thomas Walter, hatten sich erst Mittwoch vergangener Woche am Flughafen Berlin-Brandenburg den deutschen Strafverfolgungsbehörden gestellt. Diesen Montag kamen sie nach dem ersten Verhandlungstag frei – sie müssen nicht in Untersuchungshaft, während das Verfahren weitergeht. Mit einem Urteil wird Anfang April gerechnet, voraussichtlich wird es auf eine Bewährungsstrafe hinauslaufen.

Ein wichtiges Merkmal der Autonomen war ihre Bereitschaft zur Militanz. Anders als bei der Roten Armee Fraktion hieß das jedoch nicht, im Untergrund mit militärischen Mitteln Politik zu machen.

Mit diesem unspektakulären Verfahren endet die Geschichte einer 30 Jahre währenden Flucht, die in den Nachwendejahren in Berlin begonnen hatte. Die frühen neunziger Jahre in der wiedervereinigten Stadt, die nicht mehr Hauptstadt der DDR und noch nicht Bundeshauptstadt war, gelten heutigen Linken oft als Zeit, »als noch was ging«.

Aus Sicht vieler Zeitge­noss:in­nen handelte es sich jedoch um eine Phase des Niedergangs der radikalen Linken. Die in den späten Siebzigern entstandene autonome Szene, die in den achtziger Jahren unter anderem in der Hausbesetzer- und Anti-AKW-Bewegung eine wichtige Rolle spielte, hatte ihren Höhepunkt überschritten und begann zu zerfallen.

Ein wichtiges Merkmal der Autonomen war ihre Bereitschaft zur Militanz. Anders als bei der Roten Armee Fraktion (RAF) hieß das jedoch nicht, als Guerilla-Kader im Untergrund mit militärischen Mitteln Politik zu machen – Militanz sollte vielmehr Teil eines widerständigen Lebensstils sein. Es war eine für diese Szene typische Aktion, als im Oktober 1994 im brandenburgischen Bad Freienwalde ein Brandanschlag auf eine Bundeswehrkaserne stattfand und »das K.O.M.I.T.E.E.« sich dazu bekannte, diesen aus Protest gegen die militärische Unterstützung Deutschlands für den Kampf der Türkei gegen die Kurden verübt zu haben.

Propaganda der Tat

Untypisch hingen war, dass unter demselben Namen am 11. April 1995 ein Sprengstoffanschlag auf ein Gefängnis in Berlin-Grünau, das gerade zu einer Abschiebehaftanstalt umgebaut wurde, versucht wurde. Die Tat könnte von der RAF inspiriert gewesen sein, die zwei Jahre zuvor erfolgreich einen Gefängnisneubau im hessischen Weiterstadt in die Luft gejagt hatte. Im Gegensatz zu den tödlichen RAF-Anschlägen der achtziger Jahre war diese Aktion in weiten Teilen der radikalen Linken auf Sympathie gestoßen.

Die Entscheidung, unter einem festen Namen als identifizierbare Gruppe aufzutreten, erklärte das K.O.M.I.T.E.E. in seiner Auflösungserklärung im Herbst 1995 so: Als »der kontinuierliche Diskussionsfaden durch die zu beobachtende Rückzugsbewegung der Linken abgerissen war und gemeinsam erarbeitete Handlungsgrundlagen sich aufzulösen begannen«, seien sie zu dem Schluss gekommen, »dass es nötig ist, sich als Gruppe in den Kontext einer kontinuierlichen und öffentlich nachvollziehbaren Politik zu stellen«. Sie hätten gehofft, dass dergestalt »konsequente militante Praxis« ein Mittel sei, »den Kreislauf der Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach ­außen und Mutlosigkeit und Anpassung nach innen zu durchbrechen«.

Doch die Hoffnung, durch die Propaganda der Tat der kriselnden radikalen Linken neues Leben einzuhauchen, erfüllte sich nicht. Der Anschlag auf den Abschiebeknast scheiterte. Eine zufällig vorbeikommende Polizeistreife entdeckte zwei Autos, in einem den Sprengsatz mit einem Bekennerschreiben und im anderen Ausweisdokumente, ausgestellt auf die Namen Bernhard Heidbreder, Thomas Krauth und Thomas Walther. Die drei tauchten sofort unter.

Früher war mehr Militanz. Eine Broschüre aus dem Jahr 1999 zum gescheiterten ­Anschlag des K.O.M.I.T.E.E. und den Folgen

Früher war mehr Militanz. Eine Broschüre aus dem Jahr 1999 zum gescheiterten ­Anschlag des K.O.M.I.T.E.E. und den Folgen

Bild:
Archiv 2. Juni

Zwei Monate später holte die Generalbundesanwaltschaft zum großen Schlag gegen die militante Szene aus. Bundesweit wurden 50 Objekte durchsucht. Die Razzien richteten sich vorrangig gegen die Infrastruktur der klandestin erscheinenden Zeitschrift Radikal, des zentralen Debattenorgans der militanten Linken.

Die Ermittlungsbehörden unterstellten dessen Herausgeber:innen Verbindungen zur RAF, zu den Antiimperialistischen Zellen (AIZ) – einer Zwei-Mann-Gruppe, die sich positiv auf den »Islam als revolutionäre Waffe« bezog und deren Mitglieder sich nach ihrer Verhaftung im Februar 1996 dem fundamentalistischen Islam zuwandten – und eben zum K.O.M.I.T.E.E. Wenig später erklärte Letzteres seine Selbstauflösung.

Zwar vertonte die Berliner Szene­kapelle Tod und Mordschlag kurz darauf zum Jubel des Publikums einen »Aufruf zur Gewalt« gegen das Abschiebesystem, in dem es hieß, »die Terroristen sind nicht die, die im Bau befindliche Abschiebeknäste in die Luft sprengen wollen, sondern die, die sie bauen lassen!« Doch tatsächlich befolgt wurde dieser Aufruf in den folgenden Jahren kaum noch. Den Kampf gegen die staatliche Flüchtlingspolitik führten Autonome immer weniger mit militanten Aktionen, stattdessen unterstützte man vermehrt die von dieser Politik Betroffenen. Für viele bedeutete das den Weg in NGOs und die Sozialarbeit.

Asyl in Venezuela

Nur der ebenfalls von Tod und Mordschlag geäußerte Wunsch, »auf dass sie Euch niemals erwischen mögen, sondern sich totsuchen« schien sich zu erfüllen. Von den nach dem Anschlagsversuch Abgetauchten hörte man jahrelang nichts mehr. Doch die Ermittlungsbehörden ließen nicht locker. 20 Jahre später, im Sommer 2014, spürten Zielfahnder des BKA Heidbreder in Venezuela auf.

Dass zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch eine Strafverfolgung möglich war, verdankte sich einem juristischen Manöver. Die Tatbestände, wegen denen ursprünglich nach ihnen gefahndet wurde, wie die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, sind inzwischen verjährt. Stattdessen verfolgte die Generalbundesanwaltschaft die drei wegen Verabredung zu einem Sprengstoffverbrechen. Dafür gilt eine Verjährungsfrist von 40 Jahren. Mit internationalem Haftbefehl wurde weltweit nach ihnen gesucht.

Heidbreder wurde schließlich 2014 in Venezuela festgenommen. Eine Soli­daritätskampagne in Deutschland und Venezuela setzte sich damals dafür ein, seine Auslieferung nach Deutschland zu verhindern. Nach gut einem Jahr entschied der Oberste Gerichtshof des Landes, ihn aus der Haft zu entlassen, weil die Delikte nach venezolanischem Recht verjährt seien. Heidbreder stellte einen Asylantrag. Krauth und Walter, die sich ebenfalls in Venezuela versteckt hielten, taten es ihm nach. Alle drei Anträge wurden schließlich 2022 bewilligt – zu spät für Heidbreder, der 2021 an einem Hirn­tumor gestorben war.

Die Anliegen des K.O.M.I.T.E.E. – insbesondere die Abschottung Deutschlands gegen Flüchtlinge nicht hinzunehmen – sind heute womöglich noch relevanter als damals.

Nun haben Krauth und Walter entschieden, sich nach all den Jahren der erfolgreichen Flucht den deutschen Behörden zu stellen. Sie wollen offenbar nicht weitere zehn Jahre bis zur vollständigen Verjährung warten, um Freund:in­nen und Angehörige in Deutschland wiederzusehen.

Zudem scheint die Bundesanwaltschaft, die lange auf einer Haftstrafe für die Exilanten bestand, mittler­weile eingelenkt zu haben. Vor Gericht am Montag bot der Richter eine sogenannte Verständigung an, die offenbar vorher schon ausgehandelt worden war. Im Tausch gegen ein Geständnis, das sie dann auch ablegten, können die beiden mit einer Bewährungsstrafe von rechnen.

Die Anliegen des K.O.M.I.T.E.E. – insbesondere die Abschottung Deutschlands gegen Flüchtlinge nicht hinzunehmen – sind heute womöglich noch relevanter als damals. Für Linke könnte der Gerichtsprozess deshalb auch ein Anlass sein, die Entwicklungen in den vergangenen 30 Jahren selbstkritisch zu reflektieren.