20.03.2025
»Der Leopard« als Mini-Serie und die Lehren des Gattopardismus

Die Zähmung des Leoparden aus dem Geist des neuen Gattopardismus

Die Netflix-Serie »Der Leopard« nach Giuseppe Tomasi de Lampedusas gleichnamigem Roman ist großes cineastisches Handwerk. Den Sechsteiler mit Luchino Viscontis grandioser Filmadaption zu vergleichen, wäre natürlich unfair. Dass die Serienerzählung sich aber gleich jedes politischen Kommentars enthält, sagt viel über den Stand gegenwärtiger Kulturproduktion aus.

»Der Leopard« ist ein Monolith in der italienischen Literatur- und Kulturgeschichte. Der Roman erschien unter dem Titel »Il Gattopardo« 1958, ein Jahr nach dem Tod seines Autors Giuseppe Tomasi de Lampedusa, und wurde fünf Jahre später von Luchino Visconti so grandios verfilmt, dass sich die bundesdeutschen Verleiher gezwungen sahen, das Werk dauerhaft zu verstümmeln.

Es schien, als enthielte das Buch mehr oder weniger alles, was über das Werden und die Krankheit Italiens gesagt werden kann. Zwischen einem Alten, das nie sterben, und der Hoffnung auf etwas Neues, das nie kommen kann, entsteht die korrupte und verblendete Bürgerlichkeit, die Italien an sich so hasst und der es sich so sehr ausgeliefert hat, dass alle Kunst und Kritik zum Opfergang werden muss.

Was aus der wechselseitigen Anpassung von Feudalismus und Bürgertum entsteht, zeigt Visconti noch deutlicher als Lampedusa: eine direkte Vorform des Faschismus.

Den »Leopard« kann man erzkonservativ oder revolutionär lesen, oder dialektisch, wie Visconti es getan hat. Nur als »Nationalepos« taugt er nicht. Eine historische Seifenoper ist er gleich gar nicht. Unglücklicherweise versuchen sich zwei englische Serienprofis mit einem aufwendigen sechsteiligen Projekt für Netflix nun genau an dieser Lesart.

Den Hintergrund dieses großen, aber überhaupt nicht langen Romans bildet eine umfassende Transformation, die von den Rothemden des Freiheitskämpfers und Protagonisten der italienischen Einigungsbewegung, Giuseppe Garibaldi, vollzogen wird, die aber auch, wie man so sagt, Mitte des 19. Jahrhunderts in der Luft liegt.

Zum einen ist es die Entstehung einer Nation namens Italien aus einem gewaltigen Flickenteppich von feudalen Besitztümern und Interessensgebieten, vom Vatikan bis zur Wiener k. u. k. Monarchie. Dem Bestreben des Risorgimento entspricht zum anderen aber auch eine innere Veränderung der Gesellschaft, ein großer Anlauf zur Verbürgerlichung, zum Aufstieg einer neuen herrschenden Klasse. Die Hoffnungen und Schmerzen dieser Transformation sind bis in jede Familie, in jede Ortschaft, in jede Hierarchie, in jedes Lied hinein spürbar. Und nicht zuletzt in jede Geschichte von Liebe und Verlust.

Geschichte von Liebe und Verlust

Geschichte von Liebe und Verlust

Bild:
Cr. Lucia Iuorio / Netflix © 2024

Die zentrale Figur des Geschehens, der sizilianische Fürst Fabrizio Salina, erkennt die Zeichen der Zeit, in­spiriert von seinem Neffen Tancredi, der sich auf die Seite von Garibaldi stellt: »Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern.« Dieser Satz, gefolgt von einem vielsagenden »Du verstehst schon, was ich meine«, drückt die Notwendigkeit aus, sich anzupassen und Allianzen zu schließen, und wird zum Leitmotiv der Handlung und schließlich, jenseits des Romans, zum politischen Begriff: Als gattopardismo wird seitdem in Italien eine Haltung verstanden, »die vorgibt, sich einer Erneuerung anzuschließen, um in Wahrheit den Status quo zu bewahren und die eigenen Privilegien zu erhalten«.

So definiert es das Wörterbuch »Zanichelli«, und so hielten es immer einmal wieder die italienischen, nun ja, Konservativen. Was dar­aus wird und was nicht, ist immer wieder Anlass, zum »Gattopardo« zurückzukehren. Erzählt der Roman nur vom gattopardismo, oder ahnt man darin doch schon sein schreckliches Scheitern zwischen Mafia und Mussolini?

Im Übrigen steckt schon in der Übersetzung des Titels ein Missverständnis. Beim »Gattopardo« handelt es sich nicht um einen Leoparden, sondern um eine Pardelkatze, eine gemeinhin auch als Ozelot bekannte, sehr viel kleinere Raubkatze. Ebenso zwiespältig ist Don Fabrizios Charakterisierung der Sizilianer, die seiner Meinung nach gar nicht wollen, dass es besser wird: »Ihre Eitelkeit ist stärker als ihr Elend.« Aber weniger um Eitelkeit geht es als vielmehr um ein Empfinden der Vollkommenheit. Genauer gesagt: Der Fürst ist der Überzeugung, dass das Volk noch viel weniger nach einer Veränderung verlangt als er selbst.

Aber die Geschichte ist auch die vom langen Sterben des Fürsten: Seine persönliche Geschichte und die seines Standes ähneln einander darin, dass sie das Ende nur verzögern, nicht aufhalten können. Und Tancredis Aussage über Wandel und Kontinuität erweist sich dann auch als Falle. Auch er wird einen Erfolg seines Gattopardismus nicht erleben. Die Tragödie der Anpassung, die so gerne eine Komödie wäre und diesen Wunsch auch immer wieder explizit formuliert, wird zur Farce.

Fürst Fabrizio Salina erkennt die Zeichen der Zeit

Fürst Fabrizio Salina erkennt die Zeichen der Zeit

Bild:
Cr. Lucia Iuorio / Netflix © 2024

Darum steckt in »Der Leopard« etwas, das über das historische Bild und die Familiensaga hinausgeht. In diesem Roman steckt die Frage nach dem Wesen der historischen Veränderung, die sich nie auf ein lineares Geschehen reduzieren lässt – etwas Neues tritt an die Stelle von etwas Altem –, sondern immer nur auf eine dialektische Struktur beziehen kann: das Neue in der Gestalt des Alten, und das Alte in Gestalt des Neuen. In diesem Rahmen ereignet sich das Drama von Kampf, Verlust, Verblendung, Opportunismus, Opfer und Widerstand. Was aus der wechselseitigen Anpassung von Feudalismus und Bürgertum entsteht, zeigt Viscontis Film noch deutlicher als Lampedusas Roman: eine direkte Vorform des Faschismus.

Italien, wieder einmal melodramatischer als die europäischen Nachbarstaaten, steckt derzeit erneut in einer Transformation. Die Zeit der instabil-stabilen Nachkriegsdemokratie voller Wirtschaftswunder, Ungleichzeitigkeit, Tourismus und Pop­kultur ist vorüber, eine in allen Umfragen erstaunlich stabile Regierung aus diversen Rechtsextremen und -populisten beherrscht eine höchst instabile Gesellschaft. Wieder geht es um Anpassung und Kontinuität; die liberale Zivilgesellschaft richtet es sich mit einer (post)faschistischen Staatsmacht ein, und wieder tobt auch ein Kulturkampf, der Nachbarschaften und Familien zerreißt.
Der neue gattopardismo wäre nun der umgekehrte Vorgang: die Anpassung an die faschistische Reaktion in der Hoffnung, sich etwas vom liberalen Lifestyle und den zivilen Privilegien erhalten zu können. Deshalb wäre die Zeit durchaus reif für eine Neuinterpretation des Romans. Aber die kulturellen Produktionsverhältnisse, sie sind nicht so.

Zwei scheinbar äußerliche Elemente der Netflix-Serie »Der Leopard« sind bei näherem Hinsehen signifikant: Es handelt sich ganz offensichtlich um das, was man eine Prestigeproduktion nennt. Der finanzielle und organisatorische Aufwand ist enorm, es ist ganz direkt eine Feier des analogen Überflusses. Massenszenen wurden mit richtigen Menschen gedreht, und Sizilien wird durch Sizilien dargestellt.

Der Reichtum ist materiell, die Ausstattung triumphalistisch, alles atmet Opulenz. An mehr als 100 Drehtagen wurde mit bis zu 5.000 Komparsen gearbeitet. Bei den Kampfszenen, etwa Garibaldis Einzug in Palermo, standen fast 1.300 Menschen als Soldaten vor den Kameras. 300 Techniker waren pro Tag am Set.

Neun Drehtage wurden allein für die großen Ball- und Tanzszenen veranschlagt. So bekommt man es von der Produktion zu hören. Mit dem etwas zweifelhaften Effekt, dass man sich beim Betrachten von erst mal überwältigenden Bildern dabei ertappt, hauptsächlich das Geld zu sehen, das ihre Herstellung gekostet hat.

Statt Bildern der Macht entsteht eine Macht der Bilder

Vom Verfall, der in Viscontis Film überall spürbar ist, bleiben nur Dekors: die Behauptung einer gewissen »Morbidität« oder Melancholie. So materiell echt alles ist, so auffällig hingetan und arrangiert wirkt es auch. Statt Bildern der Macht entsteht eine Macht der Bilder. Eros wird durch Nacktheit ausgedrückt, Leiden durch Blut. Und, porca miseria, Kultur durch Kitsch.

Eine zweite Äußerlichkeit: Anders als bei Visconti spielen in der Net­flix-Serie ausschließlich italienische Schauspielerinnen und Schauspieler. Es ist, als wolle man auch so den metaphorischen Stoff renationalisieren. Für die Produktion dagegen hat man sich bei britischen Serienprofis Hilfe geholt, beim Regisseur Thomas Shankland (bekannt durch »House of Cards«) und Script-Lieferanten Richard Warlow (»Ripper Street«), die mit Giuseppe Capotondi (neben Werbefilmen für BMW und Costa-Kreuzfahrten eine Folge von »Der junge Inspektor Morse« im Portfolio) und Laura Luchetti (»Der schöne Sommer«) arbeiteten. So sollte, könnte man vermuten, ein nationales Bild für einen internationalen Markt entstehen, italianità in der Optik der britischen Kostümserien. Die sizilianische Tourismusbehörde hat sich denn auch fleißig beteiligt. Das Kulturministerium aus Rom ist über die Direzione generale Cinema e audiovisivo ebenso beteiligt wie die Sicilia Film Commission.

Aus dem Zusammentreffen von politischem und ökonomischem Interesse ergibt sich eine ästhetische Haltung: Der Roman wird wie ein nationales Heiligtum, aber nicht wie ein aufregendes Literaturstück verfilmt. Das Produkt soll staunen machen, aber nicht wehtun. Es ist, zugegeben, unfair, eine solche Serie mit einem Film von Luchino Visconti zu vergleichen. Es gibt allerdings immer wieder direkte Zitate oder Hommagen, die so einen Vergleich dann doch provozieren. Allerdings erscheint hier alles »neuer«, sauberer und aufbereitet. Es ist, als schwelge man wie in Serien à la »Bridgerton« in einer Kostümwelt, direkt aus dem Fundus.

Nur gibt es im Gegensatz zu »Bridgerton« in »Der Leopard« keine eigenwillig-diversen Rollenbesetzungen, und was es schon gar nicht gibt, sind irgendwelche Brechungen oder Abweichungen von »ordentlichen« Erzählweisen; alle Grundordnungen der sozialen Repräsentationen bleiben so gewahrt, wie es dem Postfaschismus genehm ist. Und wenn die Figuren reden, so scheint es auch, dass unsere Zeitgenossen in den Kostümen stecken, und nicht, als höre man Menschen aus dem 19. Jahrhundert.

Wenn auch unsere Welt gerade dabei ist unterzugehen, mangelt diesem Untergang doch die morbide Pracht, die in »Der Leopard« über sechs Folgen zu bewundern ist.

Genauso wenig aber gibt es Hinweise auf eine Überzeitlichkeit, auf ein Lehrstück vielleicht. Dem entspricht ein Schauspielstil, der einem mittleren Level angemessen ist: Hier gibt es viel Routine (aber auch ein paar Totalausfälle); niemand ist hier bigger than life, wie es Burt Lancaster, Alain Delon und Claudia Cardinale waren. Aber schlimmer noch: Auch die Schauspieler agieren, als wäre ihre Umwelt nur Dekoration, wie in einem Fotoromanzo. Als wäre, nur zum Beispiel, ein Kleidungsstück nur Kostüm und nicht auch Code und Gefängnis, als wären nicht auch Luxusobjekte Waffen der Macht und der Disziplin. Kurzum: Die Figuren verlieren, außer durch ihre Allerweltssprache, auch durch die Unfähigkeit zur schauspielerischen Objektsensibilität (muss ja nicht jeder gleich ein Robert De Niro sein) die enge Beziehung zu ihrer politischen Geschichte. Sie spielen Gefühle, aber nicht, wie sie entstehen. Es ist schon eine negative Meisterleistung, den Stoff ausgerechnet in diesen Jahren der globalen ebenso wie der nationalen Krisen so fundamental zu entpolitisieren.

Das Prestigeobjekt kommt in einer Zeit, da es der italienischen Filmkultur, drangsaliert von der vulgären, kulturkämpferischen und neoliberalen Politik der Regierung Meloni, denkbar schlecht geht. Appelle von Filmemacherinnen und Kinovermittlern gehen ins Leere, vom sozialen Feuer von einst sind nur kleine Schönheiten der Verletzung und der Depression geblieben. Neben dem Cinema Panettone, dem süßen und sattmachenden Unterhaltungsfilm für geringe Ansprüche, hat man das Prestigefilmen vor allem in Fernsehen und Streaming, besonders gern in aufwendigen Historismus wie »Romulus« oder »Die Medici«, verlagert.

Reicht nicht ganz an Alain Delons Interpretation heran. Saul Nanni in der Rolle des verwegenen ­Tancredi, der sich Garibaldis »Rot­hemden« anschließt

Reicht nicht ganz an Alain Delons Interpretation heran. Saul Nanni in der Rolle des verwegenen ­Tancredi, der sich Garibaldis »Rot­hemden« anschließt

Bild:
Cr. Lucia Iuorio / Netflix © 2024

Man wird nun nicht gleich »Der Leo­pard« als melonistische Propaganda ansehen müssen, aber die Zähmung dieses widerspenstigen Stoffs entspricht doch einem neuen kulturpolitischen Mainstream: Förderung von prestigeträchtigen Großprojekten, Kürzungen bei unabhängigen und eigenwilligen Szenen. Und da wird ziemlich deutlich: Das Geld, das man in »Der Leopard« sieht, fehlt woanders.

Der Plot, der mit minimal abweichenden Formulierungen überall verbreitet wird, in den Worten des Portals Filmstarts: »Don Fabrizio Corbera (Kim Rossi Stuart), Fürst von Salina, führt ein Leben geprägt von Schönheit und Privilegien. Doch mit der bevorstehenden Gründung des italienischen Staates gerät die alte aristokratische Ordnung ins Wanken, und auch die Zukunft seiner Familie steht auf dem Spiel. Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche sieht sich Don Fabrizio gezwungen, Bündnisse einzugehen, die seine Prinzipien herausfordern.

Vor einer schwierigen Entscheidung stehend erkennt er, dass die Verbindung seines Neffen Tancredi (Saul Nanni) mit der wohlhabenden Bürgerlichen Angelica (Deva Cassel) die finanzielle Sicherheit der Familie gewährleisten könnte. Doch diese Heirat birgt einen hohen Preis: Sie würde das Herz seiner Tochter Concetta (Benedetta Porcaroli) brechen.«

Erklärtes Ziel der Produzenten war es, die Frauenrollen auszubauen. Hört sich erst mal gut an, wie auch ein Versprechen des Regisseurs Shank­land: »Wir wollten unser eigenes Ding machen und die Geschichte für eine neue Generation erzählen.« Vielleicht klingt so cineastischer gattopardismo.

Mischung aus Überschwang, Opportunismus und Korruption

Die versprochene »maßvolle Modernisierung« hat indes ihre Tücken. Vom Sprachrhythmus des Originals bleibt wenig übrig, als hätten wir uns auf eine Einheitssprechweise des psychologischen Realismus geeinigt und als wäre ein Roman nichts anderes als eine wohlfeile Plot-Lieferung. Und die dramaturgische Aufwertung der Frauenrollen führt schlicht zu einer historischen Lüge. Es ist eine der Verfälschungen, die aus einem Versuch über Verhaltenscodes und Machtverhältnisse ein Melodram über miese Charaktere und ihre Opfer macht. Als habe der Autor nicht genug auf die »Stummheit« und »Taubheit« der Frauen hingewiesen, die, wenn auch unterschiedlich, in beiden Welten, der feudalen wie der bürgerlichen, erzeugt werden.

Im Film des »kommunistischen Grafen« Visconti steckt eine tiefe Verzweiflung: Die alte Herrschaftsschicht macht die Tore auf für eine Schicht der bürgerlichen Nationalisten, in deren Mischung aus Überschwang, Opportunismus und Korruption Visconti schon eine Tendenz der Faschisierung sich ankündigen sieht. Die Nationalisierung und Verbürgerlichung Italiens ist für ihn eine Tragödie (er versagt sich die Auflösung zur Komödie, die es als Sehnsucht im Roman gibt).

Mit der Gegenwart und der Bannung des Todes, vermittelt durch das Beten eines Rosenkranzes, beginnt der Roman; mit dem Sterben des Fürsten endet er. Wie Thomas Mann im Roman »Buddenbrooks« (der vergleichbare cineastische Schändungen erleben musste) erzählt auch Lampedusa aus eigener Anschauung, die Gegenwart des Autors in seinem Text würde nach einer cineastischen Entsprechung verlangen. Man kann es ganz einfach eine »Haltung« nennen.

Manchmal hat man den Eindruck, als hätten die Autoren, ihrer Beteuerungen zum Trotz, nicht den Roman, sondern eine »Reader’s Digest«-Fassung gelesen.

Die Serie gestattet sich nicht nur in den Dialogen und in der Gestaltung der weiblichen Rollen ihre Freiheiten, um dem Publikumsgeschmack zu entsprechen. Manchmal sind es auch verräterische Kleinigkeiten, die erkennen lassen, wie weit man sich vom Inneren einer literarischen Vorlage entfernt. Lampedusa selbst hat in seiner ironischen Art darauf hingewiesen dass die »lackschwarze« Dogge Bendicò die eigentliche Hauptfigur des Romans sei. Tatsächlich bietet sie ein Zentrum, mal »betrübt über ihren Ausschluss«, dann wieder nach »freudigem Drängen« hereingelassen, und am Ende wird das, »was von Bendicò übriggeblieben war, in eine Ecke des Hofes geworfen, an der allmorgendlich der Müllmann vorbeikam«.

Bendicòs Leben und Sterben konterkariert die Verhaltensweisen von Don Fabrizio, der glaubte, sich anpassen zu können, indem er auch seine Töchter opfert. Tatsächlich ist dieses Opfer ebenso wie das Scheitern des Fürsten daran, seine engere Familie zu bewahren, das fundamental Falsche an der Anpassungsleistung. Er glaubt, die »Rothemden« (wie ihre Nachfolger vielleicht, die »Schwarzhemden«) mit den Mitteln von Kultur, mit der freudigen Unterwerfung eines Hundes, der zugleich stolz bleiben will, gewinnen zu können.

Bendicò jedenfalls ist die fundamentalste Fehlbesetzung in dieser Serie, nicht nur weil man statt einer schwarzen Dogge einen beigegrauen Irischen Wolfshund einsetzt, sondern weil er von einer zentralen Metapher zu einem »netten« Beiwerk wird. Manchmal hat man den Eindruck, als hätten die Autoren, ihrer Beteuerungen zum Trotz, nicht den Roman, sondern eine Reader’s Digest-Fassung gelesen.

Was bleibt, ist eine prächtige Leere

Der Sündenfall von Don Fabrizio ist die Verbandelung seines Neffen Tancredi mit Angelica, der Tochter des Bürgermeisters von Salina, Don Calogero, der in allem das schiere Gegenteil des Fürsten scheint, korrupt bis in die Knochen, Beginn einer neuen, mafiosen Ordnung, so wenig gebunden an feudale Kultur wie an seine Klasse. Es ist wirklich schwer, bei dieser Figur nicht an ein paar prominente Typen auf der derzeitigen politischen Bühne zu denken.

Vielleicht ist es ja ein besonders tiefsinniger Scherz, den man nur nicht versteht, die Rolle mit einem Schauspieler (Francesco Colella) zu besetzen, der entweder vollkommen unfähig oder von der Regie total alleingelassen ist. Es ist ein Teufelspakt, gleichgültig, ob man ihn von der konservativen Seite ansieht oder von der progressistischen, und um das zu begreifen, müssten die Schauspieler ein wenig ins Innere ihrer Figuren schauen lassen, dahin, wo’s kompliziert wird. Aber offensichtlich ist da drin nicht viel los.

Was bleibt, ist eine prächtige Leere. Lampedusa und Visconti haben die komplexen und schmerzhaften Prozesse einer großen Transformation beschrieben und in jedem Satz beziehungsweise jeder Einstellung gespiegelt. Die Netflix-Serie zelebriert nur einen melancholischen Abschied. Das ist schon schön anzuschauen, das guckt sich angenehm weg, das versetzt in wollüstig nostalgische Stimmung, und das ist schon was anderes als schon wieder Donald-Trump-Auftritte, Kopfschmerzwerbung oder Handelskriegsnachrichten: Wenn auch unsere Welt gerade dabei ist unterzugehen, mangelt diesem Untergang doch die morbide Pracht, die in der Serie über sechs Folgen zu bewundern ist. »Der Leopard«, das ist die (falsche) Erinnerung an eine Zeit, als selbst das Untergehen noch stilvoll und sinnlich erregend war.

»Der Leopard«, das ist die (falsche) Erinnerung an eine Zeit, als selbst das Untergehen noch stilvoll und sinnlich erregend war.

Dann gibt es natürlich die Schauwerte, die freilich mit der Hauptsache wenig zu tun haben. Ein rauschender Ball ist halt eine audiovisuelle Droge. Sizilien ist nun mal eine verdammt schöne Kulisse, und hier scheint es gelegentlich ideales Setting für eine Art Spät-Italowestern zu sein, der aber doch immer wieder von einer Familiengeschichte verschluckt wird. Schauspielerinnen und Schauspielern bei der Arbeit zuzusehen, denen Raum und Zeit im Überfluss zur Verfügung gestellt wird, lässt die Vorzüge des Serienformats hervortreten.

Man kann darin sogar Dinge wie die Farbpalette einer Bildgestaltung, die Arbeit eines Beleuchtungsteams und natürlich die Leistungen historisierender Schneiderkunst bewundern. Handwerk eben, das man bekanntlich nie verachten sollte.

Nur ist es eben keine Kunst. Und der hätte es bedurft, um zu erkennen, wie schneidend aktuell eigentlich »Der Leopard« ist. Nun bleibt der Stoff eben das, was sein Protagonist einmal sarkastisch herbeizitiert: die »Freude eines Lebens jenseits der Geschichte«.

«Der Leopard« (I/UK 2025) kann bei Net­flix gestreamt werden.