20.03.2025
Besuch bei einer Beratungsstelle für drogenabhängige Obdachlose in Berlin

Die Menschen stehen Schlange

Die Zahl der Drogentoten in Berlin hat im vorvergangenen Jahr einen Höchststand erreicht, Obdachlosigkeit nimmt zu. Viele Hilfseinrichtungen kommen mit dem Andrang kaum zurecht. Ein Ortsbesuch am Nollendorfplatz.

Neben einem schicken Geschäft für Kronleuchter hängt ein großes Banner in Regenbogenfarben. Meterlang ist dort zu lesen: »Drogennotdienst Bülow-Eck«. So heißt die Hilfseinrichtung in dem schmucklosen Nachkriegsbau am Nollendorfplatz, im Herzen Westberlins.

Statt kristallbehangener Kronleuchter wird dort das Allernötigste angeboten: Essen, eine Dusche, ein kurzes Gespräch. Glamourös geht es hier nicht zu. Aber oft gebe es hier lange Schlangen, erzählt der Sozialarbeiter Anton Kastner vom Bülow-Eck der Jungle World. Deshalb müsse der Einlass »gemanagt« werden, sonst könne es passieren, dass das Personal drinnen überlastet wird oder Konflikte entstehen. Ein:e Mitarbeiter:in sei deshalb fast ausschließlich für den Einlass zuständig. Irgendwie schaffe man es aber immer, alle zu versorgen.

Seit etwas über zwei Jahren gibt es das »Kontaktcafé« des Drogennotdiensts am Nollendorfplatz. Als eines der wenigen Angebote dieser Art richtet es sich speziell an wohnungslose Menschen, die illegale Drogen konsumieren. Die Sozialarbeiter:innen praktizieren dort, was man in der Fachsprache einen akzeptierenden Umgang mit Drogenkonsum und Wohnungslosigkeit nennt. Die Besuch­er:innen erhalten warme Mahlzeiten, Getränke sowie die Möglichkeit, ihre Kleidung zu waschen und zu duschen – viele Fragen werden dabei nicht gestellt.

Eigentlich sollte es auch noch eine individuelle Beratung geben, erklärt Kastner. Aber wegen des hohen Andrangs seien er und seine Mitarbeiter:innen überwiegend mit der Basisversorgung beschäftigt. Ursprünglich sei eine tägliche Versorgung und Betreuung von rund 20 Personen geplant gewesen – inzwischen besuchen jeden Tag bis zu 100 Personen das Kontaktcafé. Eine richtige Beratung und Unterstützung sei da kaum zu leisten.

So viele Drogentote wie lange nicht mehr

271 Drogentote gab es 2023 in Berlin (Alkohol und Tabak nicht eingerechnet), so viele wie seit Jahren nicht; für 2024 liegen noch keine Zahlen vor. Auch die Zahl der Obdachlosen habe zugenommen, berichten Beratungsstellen. Unterdessen wurde im Zuge der Sparmaßnahmen im Landeshaushalt vielen solcher Einrichtungen die Mittel gekürzt.

Das Bülow-Eck müsste eigentlich vergrößert werden, um die Nachfrage zu bedienen, so Kastner, doch für weiteres Personal gebe es kein Geld. Die Probleme der Menschen, die zu ihnen kommen, seien gewaltig. Die meisten hätten keine deutsche Staatsbürgerschaft, seien oft erst seit kurzem in Deutschland. Viele hätten keine Aufenthaltserlaubnis, dürften nicht legal arbeiten, seien nirgendwo gemeldet. Das alles stelle eine riesige Hürde für für die Lebensführung dar und mache es noch schwerer, sich aus der Drogenabhängigkeit zu befreien.

Besucher:innen können sich anhand ausliegender Broschüren über Inhaltsstoffe und Konzentration von gerade im Umlauf befindlichen Substanzen informieren. 

Das Team vom Bülow-Eck geht auch direkt auf die Straße – ausgerüstet mit Kaffee, Isomatten, Snacks und mit Material, das Drogenabhängige für den Konsum brauchen. Die Sozialarbeiter:innen sprechen auf der Straße Menschen an: Brauchen Sie Hilfe? Etwas zu essen oder saubere Spritzen?

Der Nollendorfkiez gilt als das Herz der queeren Szene Berlins, der naheliegende Kurfürstenkiez wiederum ist vor allem für einen Straßenstrich bekannt. Im Bülow-Eck gibt es deshalb einen speziellen Bedarf: Anders als in anderen Bezirken werde hier besonders viel Crystal Meth konsumiert, erzählt Kastner. Besucher:innen können sich anhand ausliegender Broschüren über Inhaltsstoffe und Konzentration von gerade im Umlauf befindlichen Substanzen informieren. 

Die Hoffnung ist, dass dadurch das Risiko einer Überdosis verringert wird. Vor allem aber versuche man, den Menschen zu helfen, indem man saubere Konsummaterialien verteilt und sie über Gesundheitsrisiken aufklärt, sagt Kastner. Von den Pfeifen, die fürs Rauchen von Crystal Meth genutzt werden, gäben sie pro Tag bis zu 35 aus.