Modestück und Werbefläche
Das Fußballtrikot, das farblich klarmacht, zu welchen der beiden Teams ein Spieler gehört, blickt auf eine über 150jährige Geschichte zurück. In einem offiziellen Spiel wurden Fußballtrikots erstmals im Jahr 1872 verwendet, beim ersten internationalen Match zwischen Schottland und England. Damals trugen die Spieler einfache Hemden in verschiedenen Farben. Da sich der Fußball in Deutschland etwas später durchsetzte als in seinem Ursprungsland England, ist die Geschichte des Fußballtrikots hierzulande entsprechend kürzer.
In den vergangenen 125 Jahren hat sich das Fußballtrikot stark gewandelt: von den langärmligen, schweren und wenig atmungsaktiven Baumwollhemden der frühen Jahre über die Jerseys mit geschnürtem Ausschnitt bis hin zu den enger gehaltenen Trikots der siebziger Jahre. Mit der Zeit bestanden Trikots nicht mehr aus Baumwolle, sondern aus neuartigen Hightech-Materialien, vor allem atmungsaktivem Polyester, das den Schweiß effektiv ableitet und gleichzeitig Elastizität bietet.
Finanziell bedeutend für die Proficlubs sind die Einnahmen durch Sponsoren, die ihre Logos auf den Trikots platzieren. Der Ärmelsponsor von Eintracht Frankfurt zahlt dafür 2,5 Millionen Euro pro Jahr.
Heutzutage wird nicht nur die Leistung der Trikots betont, sondern auch ihre ökologischen Eigenschaften – viele bestehen mittlerweile zum Teil aus recycelten Plastikflaschen. Seit den fünfziger Jahren erhielten die Trikots Rückennummern, um die einzelnen Spieler besser unterscheiden zu können. Ab den neunziger Jahren, in Deutschland mit der Saison 1995/1996, kamen im Profibereich die Spielernamen hinzu ebenso wie die Pflicht, dass eine Rückennummer einem Spieler fest über die ganze Saison zugeordnet bleiben muss.
Wer sich Fußballtrikots aus der Perspektive der Sport-, Mode- und Gesellschaftsgeschichte anschauen möchte, ist bei den Trikot-Büchern des Verlags »Die Werkstatt« gut aufgehoben. Zuletzt erschien dort »Das Eintracht-Frankfurt-Trikot – Von 1899 bis heute« der Autoren Stefan Appenowitz, Boris Möller und Stephan Reich. In diesem schön bebilderten Buch sind unter anderem Schnürkragentrikots mit Kordel zu sehen, die mittlerweile wegen der Verletzungsgefahr verboten sind. Auch Trikots mit durchgehender Knopfleiste und langen Ärmeln werden gezeigt, die nach unserem heutigen modischen Verständnis eher wie Hemden als wie Trikots wirken. So sah beispielsweise das Meistertrikot von Eintracht Frankfurt im Jahr 1959 aus, als der Verein im Finale um die Deutsche Meisterschaft – damals wurde der Titel noch nicht im Ligasystem ausgespielt – den Lokalrivalen Kickers Offenbach mit 5:3 bezwang.
Trikots in Sportgeschäften gekauft
Auch die Art und Weise, wie die Trikots damals zu den Spielern kamen, ist nicht vergleichbar mit heute. Bevor die großen Ausstatter wie Adidas, Puma und später Nike die erfolgreichen Bundesligisten mit gutdotierten Ausrüsterverträgen versorgten, hatten die Vereine ihre Trikots selbst in Sportgeschäften gekauft. Manchmal wurden Trikotsätze auch von Gönnern oder Sportgeschäften gespendet.
In München ist überliefert, dass das Sporthaus Münzinger sowohl den FC Bayern München als auch den Lokalrivalen TSV 1860 München belieferte. Münzinger war eines der am längsten existierenden Sportkaufhäuser der Welt. Die Pandemiejahre und den ausbleibenden Tourismus hat das Familiengeschäft jedoch nicht überlebt. In Mönchengladbach war es das Kaufhaus Sport Erdweg, dessen Inhaber bei der Meisterschaftsfeier 1977 selbstverständlich auf dem Doppeldeckerbus bei der Mannschaft mitfahren durfte.
Bei Eintracht Frankfurt wechselten über die Jahrzehnte hinweg die Sportgeschäfte, die die Trikots bereitstellten. Diese Geschäfte erhielten im Gegenzug eine Anzeige in der Vereinszeitung. So kann heute für die fünfziger und sechziger Jahre anhand der archivierten Vereinszeitungen nachvollzogen werden, welches Sportgeschäft den jeweiligen Trikotsatz den damals schon großen Vereinen zur Verfügung stellte. Oft gehörten diese Geschäfte ehemaligen bedeutenden Spielern. Obwohl die Vereine schon damals viele Anhänger hatten, waren die Wirtschaftskreisläufe des Sports übersichtlich und persönlich.
Unterschiedliche Zielgruppen bedienen
Vor rund 50 Jahren kam der Fanshop hinzu. Einer der ersten war das im April 1975 eröffnete das Sporthaus Bernd Nickel von Eintracht Frankfurt. Neben Trikots gab es beim Frankfurter Vereinshelden (Spitzname: Doktor Hammer) 50 weitere Produkte wie Eintrittskarten oder Feuerzeuge der Eintracht, aber auch Trikots anderer Spitzenvereine konnten erworben werden.
In den Jahren davor sieht Stefan Appenowitz, der auch zwei weitere Büchern über Fußballtrikots verfasst hat, die Entwicklung des Fußballtrikots als »Business-Produkt« beginnen: »Die Einführung der Trikotwerbung Anfang der siebziger Jahre oder die ersten Fantrikots für Kinder von Admiral in England und Erima in Deutschland, ebenfalls Anfang der Siebziger, waren Vorboten von dem, was wir heute sehen«, sagt er der Jungle World.
»Seit einigen Jahren tun die Sportartikelhersteller und Vereine ja auch einiges dafür, dass ihre Trikots unterschiedliche Zielgruppen bedienen«, erklärt Appenowitz weiter. »Das Heimshirt wird meist im Sinne der traditionellen Fans gestaltet, mit einfachen Designs, die an die Geschichte des Vereins angelehnt sind. Die Auswärtstrikots enthalten dann meist schon kreativere Elemente, und beim dritten Trikot kann man sich als Trikotdesigner so richtig austoben.« Hinzu kommen weitere Sondertrikots, wie Karnevalstrikots in den Hochburgen der sogenannten närrischen Jahreszeit oder das Oktoberfesttrikot von Bayern München. Dazu gibt es noch Sondertrikots, mit denen Vereine wie Eintracht Frankfurt einen gesellschaftspolitischen (in diesem Fall antirassistischen) Anspruch dokumentieren wollen.
Ein Plagiat des Trikots von Drittligist FC Erzgebirge Aue wird eher selten im Strandurlaub zu erwerben sein.
Zur ökonomischen Bedeutung des Trikotverkaufs für die Fußballclubs gibt es verschiedene Einschätzungen. Für die Bundesliga nennt die Fachzeitschrift Absatzwirtschaft 2,7 Millionen verkaufte Trikots bei Preisen zwischen 75 und 100 Euro. Spieler wie Cristiano Ronaldo, als er zu Real Madrid wechselte, oder Lionel Messi sollen allein durch den Trikotverkauf mit ihren Namen Teile der horrenden Ablösesummen oder zumindest ihre absurd hohen Gehälter wieder eingespielt haben.
Absatzwirtschaft merkt allerdings an: »Bei den Vereinen verbleibt, je nachdem, ob das Trikot über den eigenen Fanshop oder den Sportfachhandel abgesetzt wird, nur ein Anteil von sechs bis zehn Prozent.« Der Anteil des Merchandising an den Gesamteinnahmen im deutschen Profifußball liege nur im mittleren einstelligen Prozentbereich. 23,5 Millionen Euro nahm Eintracht Frankfurt in der Saison 2023/2024 mit Trikotverkäufen ein, bei einem Gesamtumsatz von 363,6 Millionen Euro.
23,5 Millionen Euro sind viel Geld – und gleichzeitig wenig, wenn man diese Summe mit den Einnahmen durch andere Vermarktungsrechte wie Medienverträge oder Sponsoring vergleicht, die in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen sind.
Gerade bei Trikots von global bekannten Kickern wie Messi, Harry Kane oder Kylian Mbappé werden viele Fälschungen an Straßenständen verkauft. Ein Plagiat des Trikots von Drittligist FC Erzgebirge Aue wird dagegen vermutlich eher selten im Strandurlaub zu erwerben sein.
In der Disko von Männern angesprochen
Bedeutend für die Kassen der Proficlubs sind die Einnahmen durch Sponsoren, die ihre Logos auf den Trikots platzieren dürfen. Bei Eintracht Frankfurt haben sich die Einnahmen aus dieser Quelle innerhalb von sechs erfolgreichen Saisons von 5,5 Millionen Euro auf mittlerweile zehn bis zwölf Millionen Euro verdoppelt – allein für Brust und Rücken. Beim Ärmel stiegen die Einnahmen im selben Zeitraum von 385 000 Euro auf 2,5 Millionen Euro.
Spätestens mit der Vermarktungsstrategie von Adidas für das »Deutschland-Auswärtstrikot« zur vorigen Europameisterschaft, als das Model Lena Gercke im Kampagnenclip mit der Aussage »Fashionpiece? Eher ein Fashionstatement« auftrat, wurde deutlich, dass nun neben aktiven Sportlern und Fußballfans auch allgemein modebewusste junge Menschen angesprochen werden sollen. Und zwar explizit auch solche, die das Trikot nur noch als Modestück tragen.
Julian Krischker, ein Berliner Werbefachmann und Trikot-Aficionado, erklärt der Jungle World, wie das Trikot modisch funktioniert. »Mein Fußballtrikot vom FC Florenz (lila, weiß, rot – sehr chic) lässt mich sehr sportlich aussehen«, so Krischker. »Außerdem sorgt es dafür, dass ich in der Disko von Männern angesprochen werde, mit denen ich sonst wohl nie ins Gespräch käme.«
»Wer sich mal die Website des FC Venedig anschaut, merkt schnell: Das hat mit Fußball nicht mehr viel zu tun.« Julian Krischker, Berliner Werbefachmann und Trikot-Aficionado
Die Trikots des FC Venedig, eines Abstiegskandidaten der ersten italienischen Liga, seien bei Berlins Hipstern besonders beliebt. »Wer sich mal die Website des FC Venedig anschaut, merkt schnell: Das hat mit Fußball nicht mehr viel zu tun«, meint Krischker und fügt hinzu: »Vielleicht bekomme ich für diesen Satz Ärger, aber für mich ist das in erster Linie eine Lifestyle-Marke – und eine besonders schöne dazu.« Das Vereinsbranding wurde vom renommierten Bureau Borsche neu entworfen, das auch die Edelmarke Balenciaga im Portfolio hat.
In Italien ist die Entkoppelung der Marke Fußballverein von der jeweiligen Heimatstadt weiter vorangeschritten als in Deutschland. So findet sich in der Hauptstadt Rom ein »Juventus Store« des Turiner Spitzenclubs in prominenter Innenstadtlage, obwohl die Stadt mit Lazio und AS Rom zwei große Traditionsclubs zu bieten hat. Noch hat Bayern München zwar neun eigene Fanshops in München und im bayerischen Umland, aber keinen nördlich des Mains.