Geld statt Unabhängigkeit
Wenn Gehälter stark angehoben werden, erwartet man keine Proteste der Empfänger. Doch genau dies geschieht gerade in Ungarns Justizwesen. Die Gehälter sollen in mehreren Etappen vom 1. Januar 2025 bis zum 1. Januar 2027 um 48 Prozent bei Richtern und um 100 Prozent bei sonstigen Justizbeamten steigen. Dennoch kam es in Budapest am 1. März zu Ungarns bisher erster Demonstration von mehreren Tausend Justizbeamten sowie Unterstützern.
Um Gehälter ging es dabei nicht, sondern um die richterliche Unabhängigkeit. Zwischen der Fidesz-Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán und den Justizbeamten knirscht es seit Ende des vergangenen Jahres. Dem Konflikt liegt wie so oft in Ungarn ein Versuch der autoritären Regierung zugrunde, eine weitere Institution ihrer direkten Kontrolle zu unterwerfen. Das Verfassungsgericht und der Oberste Gerichtshof sind zwar schon mit Richtern besetzt, die von Fidesz ernannt wurden, die anderen Gerichte des Landes agieren aber noch weitgehend unabhängig.
Die Institution der mobilen Richter ermöglicht es, sie bestimmte, zuvor ausgesuchte Fälle bearbeiten zu lassen. Das erinnert an Praktiken autoritärer Regimes.
Im November hatte sich die Regierung mit dem Landesweiten Richterrat (OBT), dem Landesweiten Amt für Richter (OBH), einer Behörde der Justizverwaltung, und dem Obersten Gerichtshof (Kúria) auf Reformen geeinigt. Der OBT ist eine Art Berufskammer mit 15 gewählten Mitgliedern, der die Arbeit der Richter kontrollieren soll. Er hat in diesem Fall wie eine Interessenvertretung agiert, doch im Ergebnis sehr zum Missfallen vieler Richter. Schon seit Jahren hatten die Justizbeamten über geringe und obendrein seit längerem eingefrorene Gehälter geklagt. Nun schlug die Regierung eine kräftige Gehaltserhöhung vor, allerdings im Austausch gegen Reformen. Der Vorsitzende des Richterrats, Péter Szabó, verhandelte mit der Regierung und stellte seinen Kollegen dann das Ergebnis vor, nur zwei Tage später nahm es der Rat mit nur einer Stimme Mehrheit an.
Das erregte den Missfallen sehr vieler Kollegen. Kurze Zeit später veröffentlichte die ungarische Richtervereinigung (MABIE) ihren Protest in Form eines offenen Briefs an die Regierung, den zahlreiche Richter namentlich unterzeichnet hatten. Dieser Berufsverband war es auch, die die Demonstration organisiert hat, unterstützt unter anderem von der ungarischen Lehrergewerkschaft PDSZ. Eine solche Demonstration ist in Ungarn beispiellos, weswegen wohl auch die Organisatoren betonten, dass auch Richter das Grundrecht der Redefreiheit für sich beanspruchen können.
Eindruck der Erpressung
Die Richter kritisieren, dass der Beschluss des OBT ohne Konsultation innerhalb der Richterschaft erfolgt ist. Es entstand zudem der Eindruck der Erpressung, nachdem eine interne Diskussion im OBT dem ungarischen Nachrichtenmagazin HVG bekannt geworden war. Der OBT-Vorsitzende Szabó hatte berichtet, ihm sei seitens der Regierung deutlich gemacht worden, dass die Reformen auch ohne Zustimmung des OBT kämen, dann aber ohne Gehaltserhöhung. Szabó ist wegen des Unmuts der Richter mittlerweile vom Vorsitz des OBT zurückgetreten.
Der Inhalt der beschlossenen Reformen ist brisant. Demnach wird die Institution der mobilen Richter eingeführt, auf der untersten Ebene der Amtsgerichte gelten dann keine festen Zuständigkeiten mehr. Stattdessen könnte der Richter eines Falls vorher ausgesucht werden, was an die Praxis autoritärer Regime erinnert, politische Gegner dort vor Gericht zu stellen, wo besonders loyale Richter arbeiten. Außerdem könnte man unliebsamen Richtern besonders unangenehme Fälle zuteilen.
Unliebsame Journalisten ausweisen und ausbürgern
Auch in anderen Bereichen droht erneut ein Jahr der Grundrechtsbeschränkungen und der reaktionären Gängelung. Süffisant sagte Orbán Ende Februar in seinem wöchentlichen Interview beim staatlichen Hörfunksender Kossuth Rádio, die Veranstalter der Budapest Pride sollten nicht zu viel Energie in die Vorbereitung stecken. Der Leiter der Staatskanzlei, Gergely Gulyás, kündigte auf der Pressekonferenz der Regierung an, dass die Pride nicht in gewohnter Form stattfinden könne – also nicht für alle auf der Straße zugänglich sein dürfe. Begründet wurde dies mit dem Schutz von Minderjährigen. Das hätte man zwar theoretisch auch vorher schon machen können, legte Orbán nach, doch früher sei der Botschafter der USA auf der Pride mitgelaufen; nun aber änderten sich die Verhältnisse in Richtung der Vorstellungen von Fidesz.
Am 27. Februar deutete Gulyás an, dass man Journalisten und NGO-Mitarbeiter aus Ungarn werfen möchte, die von USAID finanziert worden sind. Er deutete an, dass die Regierung sogar zum Mittel der Ausbürgerung greifen möchte, sofern die Betreffenden noch eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen. Das ist zwar bislang rechtlich in Ungarn genauso schwer zu bewerkstelligen wie in Deutschland, doch das Regierungslager besitzt im ungarischen Parlament nach wie vor eine Zweidrittelmehrheit und kann Gesetze und auch die Verfassung nach Gutdünken umschreiben. Solche Grundrechtseinschränkungen wären mit einer willfährigen Justiz dann auch in der Praxis einfacher durchzusetzen.