Undercover im Hotel
An kaum einem Ort kommen sich konträre soziale Klassen so nahe wie im Luxushotel, erst recht in einer Metropole wie New York City. Während die ungelernten Arbeitskräfte, vom Zimmermädchen über den Pagen bis zur Küchenhilfe, unter widrigen Bedingungen und hohem Zeitdruck für niedrigen Lohn schuften, erwartet die wohlhabende Kundschaft eine bevorzugte Behandlung seitens des ansonsten möglichst unsichtbaren Personals.
Als »Hotel Amerika«, der Debütroman von Maria Leitner, 1930 im kommunistischen Neuen Deutschen Verlag erschien, hatte sie sich im deutschsprachigen Raum bereits als Pionierin der Undercover-Recherche einen Namen gemacht. Von 1925 bis 1928 arbeitete die österreichisch-ungarische Journalistin in den USA, wo sie Dutzende von schlechtbezahlten Tätigkeiten annahm, um in sozialkritischen Reportagen im Stile der Neuen Sachlichkeit aus den jeweiligen Milieus zu berichten.
Die Kernfrage, die Leitner unmerklich einflicht, lautet, ob eine individuelle Verbesserung überhaupt möglich oder vielmehr erstrebenswert ist, wenn sich nichts an der grundlegenden Ungerechtigkeit ändert.
Auch in ihrem Roman stellt sie die Lohnabhängigen in den Vordergrund, die auf unterschiedliche Weise versuchen, ihre Lebensumstände zu verbessern. Die Kernfrage, die Leitner unmerklich einflicht, lautet, ob eine individuelle Verbesserung überhaupt möglich oder vielmehr erstrebenswert ist, wenn sich nichts an der grundlegenden Ungerechtigkeit ändert.
Gerahmt wird »Hotel Amerika« von einer Kriminalhandlung und einer zarten Liebesgeschichte, die beide in einer pompösen Hochzeitsfeier im Hotel kulminieren. Leitners Bücher gehörten zu den ersten, die die Nationalsozialisten 1933 verboten.
Die Autorin musste nach Frankreich ins Exil gehen, von wo aus sie mehrfach inkognito ins Deutsche Reich reiste, um dort zu recherchieren. Darauf basierend erschien 1937 ihr Roman »Elisabeth, ein Hitlermädchen«. Das Buch wird demnächst in der Reclam-Reihe »Klassikerinnen« wiederaufgelegt, in der auch »Hotel Amerika« neu erschienen ist.
Maria Leitner: Hotel Amerika. Reclam, Stuttgart 2024, 255 Seiten, 25 Euro