Mit Atomstrom zur KI-Supermacht
Die EU ist derzeit schwer damit beschäftigt, allenthalben ihre weltpolitische Bedeutung und ökonomische Konkurrenzfähigkeit zu behaupten. Auch bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) ist man verzweifelt bemüht, nicht abgehängt zu erscheinen. So ließ das französische Außenministerium mitteilen, Paris habe sich in der zweiten Februarwoche in die »globale Hauptstadt der Künstlichen Intelligenz« verwandelt.
Gemeint war damit ein sogenannter KI-Aktionsgipfel, den Frankreich in Zusammenarbeit mit Indien ausrichtete; de facto handelte es sich um eine Messe, auf der mehr oder weniger bedeutende Unternehmen ihre Produkte präsentierten und Schaufensterreden gehalten wurden. Es war der dritte internationale KI-Gipfel; 2024 war er von Südkorea und 2023 von Großbritannien ausgerichtet worden. 1.500 Besucher aus etwa 100 Ländern, darunter viele Politiker, nahmen teil. Um eines gleich vorwegzunehmen: Einschlägige Armgesten von hochmögenden Persönlichkeiten aus der IT-Branche blieben hier aus.
Der innenpolitisch umstrittene französische Präsident Emmanuel Macron nutzte den Gipfel, um Frankreich und sich selbst im Glanz des Fortschritts zu präsentieren. Deutsche Medien sprangen ihm bei: »Europa startet Aufholjagd«, »Macron macht echtes Leadership«.
Dem »Wall Street Journal« zufolge plant die französische Regierung, ein Gigawatt Atomstrom für ein KI-Projekt zur Verfügung zu stellen, für ein anderes sind bis 2026 weitere 250 Megawatt eingeplant.
Aber was gab das Treffen tatsächlich her? Die Antwort lautet: Geld, Geld und noch mehr Geld, um die KI zu füttern. Nachdem die USA ein 500 Milliarden Dollar schweres KI-Projekt namens Stargate angekündigt und kurz darauf die chinesische Firma Deepseek mit ihrem neuen KI-Modell für einen »disruptiven Schock« gesorgt hat, versucht die EU, dem KI-Boom hinterherzustolpern.
»Auch wenn seine Augen leuchten und seine Stimme vor Hoffnung vibriert, fällt es Emmanuel Macron schwer, die Panik zu verbergen, die ihn seit einigen Monaten erfasst hat«, spottete das Satire-Magazin Charlie Hebdo. In einem Interview mit dem Sender France2, das auch im indischen Fernsehen ausgestrahlt wurde, verkündete Macron am Vorabend des Gipfels, er habe 109 Milliarden Euro akquiriert, die Frankreich in KI investieren wolle.
Darin enthalten sind Beiträge von Investmentfonds und Unternehmen aus den USA, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kanada. Die EU-Kommission nahm den Gipfel zum Anlass, ihrerseits Investitionen in Höhe von 200 Milliarden Euro anzukündigen. Zusätzlich sollen 20 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt für sogenannte Gigafabriken – leistungsstarke Rechenzentren, die Entwicklerunternehmen zur Verfügung stehen sollen – aufgewendet werden.
Folgeabschätzungen unerwünscht
Stolz auf die eingeworbene Summe reklamierte Macron eine französische Führungsrolle in Europa bei der KI-Entwicklung und war sichtlich bemüht, in einer eher gleichgültigen Öffentlichkeit Begeisterung dafür zu entfachen. Im Interview mit France2 wurde Macron gleich zu Beginn gefragt, ob die KI nicht auch Gefahren des Missbrauchs und der Manipulation berge.
Macron hält von solchen Vorbehalten nichts: Bevor man solche Überlegungen anstelle, müsse man erst einmal in die KI-Entwicklung einsteigen, mittun, konkurrenzfähig werden. Technische, soziale oder ökologische Folgeabschätzungen sind offenbar unerwünscht – um die kann man sich kümmern, wenn die Folgen eingetreten sind.
Macron beschwor die technologisch-wissenschaftliche Revolution, die mit KI einhergehe und der Menschheit eine »fast beispiellose Chance« beschere. KI werde »uns ermöglichen, besser zu leben, besser zu lernen, besser zu arbeiten, besser zu heilen«. Als verlockendes Beispiel nannte er KI-gestützte Auswertungen von MRT-Aufnahmen in der medizinischen Diagnostik. Mit entsprechender Rechenleistung sei die KI in der Lage, neue MRT-Bilder blitzschnell mit riesigen Datenbeständen zu vergleichen, Krebszellen zu identifizieren und Bereiche für eine operative Entfernung vorzuschlagen. »Keine Sorge, alles wird verantwortungsvoll von der Wissenschaft durchgeführt«, versicherte der Präsident.
»Plug, baby, plug«
Vor allem wollte er damit betonen, dass die Datenbestände exponentiell wachsen müssten und mit ihnen die verfügbare Rechenleistung sowie die dafür erforderliche elektrische Energie. Damit war der Präsident in seinem Element. In Anspielung auf den von Donald Trump popularisierten Spruch »Drill, baby, drill«, bewarb Macron seine KI-Pläne mit einer ähnlich schlichten Parole: »Plug, baby, plug«. Stecker rein und einschalten, die Devise ist aus der Hochzeit der Atomenergie bekannt. Damals hieß es: Der Strom kommt aus der Steckdose, um den Rest braucht ihr euch nicht zu kümmern.
Dank Atomstrom, so Macron, werde Frankreich nicht wie die USA Öl- und Gaskraftwerke brauchen, um die neuen KI-Fabriken zu versorgen. Dem Wall Street Journal zufolge plant die französische Regierung, ein Gigawatt Atomstrom für ein KI-Projekt zur Verfügung zu stellen, für ein anderes sind bis 2026 weitere 250 Megawatt eingeplant.
Schaltstelle für den Datenverkehr zwischen Europa und dem Nahen Osten
Zum Vergleich: Im Rahmen von Stargate, dem US-amerikanischen Infrastrukturprojekt für KI, soll der erste Campus in Texas, der sich bereits in Bau befindet, zunächst mit 200 Megawatt Strom versorgt werden. Schätzungen von KI-Forschern zufolge wurden die fortschrittlichsten KI-Modelle mit 30 Megawatt trainiert. Demnach könnten die fortschrittlichsten Modelle in Zukunft gar bis zu fünf Gigawatt an Leistung benötigen. Energieintensiv sind KI-Anwendungen und insbesondere das Training der KI wegen der riesigen Mengen an Daten, die dabei benötigt werden, und vor allem wegen der Kühlung der Server in den Rechenzentren.
Macron will hier also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: sich als zukünftige KI-Supermacht aufspielen und der französischen Nuklearindustrie Aufträge besorgen. Schon vor eineinhalb Jahren war er daher vorgeprescht. Plänen zufolge soll im industriellen Ballungsgebiet von Fos-sur-Mer, 40 Kilometer westlich von Marseille, ein Atomkraftwerk errichtet werden, um die dort ansässigen Chemie- und Stahlunternehmen mit Energie zu versorgen.
Davon könnte auch das in Marseille geplante KI-Rechenzentrum profitieren. Wie Frankfurt am Main für die Ost-West-Ströme des Datenverkehrs, besitzt Marseille für die Datenströme in den Nahen Osten und auf den afrikanischen Kontinent eine Schlüsselstellung. An beiden Standorten betreibt Interxion, ein ursprünglich niederländisches Unternehmen, das mittlerweile dem US-Konzern Digital Realty gehört, große Rechenzentren. So erklärt sich auch das tatkräftige finanzielle Investment der Vereinigten Arabischen Emirate in die »nächste französische Revolution«, speziell in Marseille. An der Schaltstelle für den Datenverkehr zwischen Europa und dem Nahen Osten möchte man gern beteiligt sein. Künstliche Intelligenz ist ein wunderbarer Titel für so ein Projekt.
Dass KI, abhängig von ihrem Anwender, nicht unbedingt Intelligentes schafft, bewies Macron selbst, als er den KI-Gipfel mit einem eher peinlichen als einfallsreichen Deepfake-Video zu bewerben versuchte.
Dass KI, abhängig von ihrem Anwender, nicht unbedingt Intelligentes schafft, bewies Macron selbst, als er den KI-Gipfel mit einem eher peinlichen als einfallsreichen Deepfake-Video zu bewerben versuchte, das diverse Kino- und Popstars mit seinen Gesichtszügen zeigt. Unterboten wurde dies nur noch durch das von Donald Trump kommentarlos geteilte Deepfake-Video, das offenbar seine Phantasien über die Zukunft des Gaza-Streifens veranschaulicht – mit Hotels am Strand, Elon Musk in einem Geldregen und vielen goldenen Trump-Statuen.
Nicht zuletzt äußert Charlie Hebdo Zweifel an dem kreativen Potential von KI. »Macron führt uns mit seiner KI-Obsession geradewegs zu einer Abkehr vom individuellen Wissen«, zitiert das Magazin den Mitgründer des Videoportals Dailymotion, Benjamin Bejbaum. Auch Pierre-Yves Gosset, ehemaliger Direktor des Vereins Framasoft, der sich für digitale Selbstbestimmung und Open-Source-Kultur einsetzt, kritisiert die von Macron unternommene Initiative: »Der richtige Weg wäre eher gewesen, Unternehmen und Bürger zu zwingen, Projekte mit einer gemeinsamen Governance zu schaffen, wie Wikipedia oder Openstreetmap«.