20.02.2025
In Dresden demonstrierten Nazis zum 80. Jahrestag der Bombardierung der Stadt

80 Jahre Mythenbildung

Zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens fand am Samstag einer der größten Nazi-Aufmärsche seit Jahren statt.

Viele Straßen der Dresdner Innenstadt waren abgesperrt, überall stieß man auf Polizeikontrollen. Der Anlass: Über 2.000 Nazis zogen am Samstag durch die Stadt. Das Ganze sollte ein »Trauermarsch« sein – für die Opfer des »angloamerikanischen Bombenterrors«.

Gut doppelt so viele Menschen nahmen an Gegenprotesten teil. Das »Bündnis Dresden Wiedersetzen« hatte dazu aufgerufen, den Nazi-Aufmarsch aufzuhalten. Mehrfach wurden im Laufe des Tages an Straßenkreuzungen, an denen die Route des »Trauermarschs« vermutet wurde, Blockadeversuche unternommen. Die Polizei habe Schmerzgriffe und Pfefferspray eingesetzt, um Sitzblockaden aufzulösen, berichteten Vertreter:innen der Gruppe Antifa Against Antisemitism, die einen der Demonstrationszüge angeführt hatte.

Die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten am 13. Februar 1945 jährte sich dieses Jahr zum 80 Mal. Die Nazi-Demonstration war deutlich größer als in den Jahren zuvor, wenn auch lange nicht so groß wie beispielsweise 2009, als 6.000 Menschen teilnahmen. Diesmal waren auffallend viele junge Nazis dabei, dem Verfassungsschutz zufolge auch jene »jungen, aktionsorientierten Rechtsextremisten«, die im vergangenen Jahr gegen den Christopher Street Day in sächsischen Städten aufmarschiert waren.

»Die Bombardierung Dresdens wurde sowohl von den Nazis wie auch später von der DDR im Kalten Krieg propagandistisch genutzt.« Michael Nattke, Kulturbüro Sachsen

Angemeldet hatte die Demonstration der altbekannte Neonazi Lutz Giesen, der unter anderem an einer Initiative beteiligt war, westdeutsche Rechts­extreme zum Umzug nach Ostdeutschland zu motivieren. Er sitzt seit Juni 2024 für die Kleinstpartei Freie Sachsen im Kreistag von Mittelsachsen.

Man sei »angetreten, die Ehre der Toten unseres Volkes hochzuhalten«, sagte Giesen in seiner Eröffnungsrede. »Sie wollten uns auslöschen. Sie wollten über 500 deutsche Städte auslöschen. Sie wollten unsere Frauen und Kinder auslöschen.«

Dass anschließend auch Rechts­ex­tre­me aus Ungarn und Tschechien Reden hielten, motivierte Giesen zu lyrischen Tönen: »Es ist ein Strom, der in viele Flüsse zweigt, in Bächen und in Rinnsalen sich ausmacht. So vielgestaltig ist unsere Kultur. So vielgestaltig ist unsere Kultur unseres weißen Europas.«

Fiktionale Zahlen

Die langjährige NPD-Funktionä­rin Edda Schmidt behauptete in ihrer Rede, dass 200.000 Menschen damals in Dresden durch die Bomben gestorben seien. Diese Zahl ist eine Fiktion. Nach jahrelanger Arbeit war 2010 eine unabhängige Historikerkommission zu dem Ergebnis gekommen, dass in jener Nacht mindestens 18.000, höchstens 25.000 Menschen ums Leben gekommenen sind.

Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüros Sachsen, versuchte im Gespräch mit der Jungle World zu erklären, wieso sich dieser Mythos bis heute hält. »Die Bombardierung Dresdens wurde sowohl von den Nazis wie auch später von der DDR im Kalten Krieg propagandistisch genutzt«, so Nattke. »Die einen haben die absurd hohen Totenzahlen in die Welt gesetzt und die anderen den Mythos der unschuldigen Stadt gepflegt.«

Das offizielle Gedenken der Stadt hatte zwei Tage zuvor am 13. Februar stattgefunden, dem tatsächlichen Jahrestag der Bombardierung. Es stand unter dem Motto »Zukunft durch Erinnern«. Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erinnerte in seiner Rede an die Schilderungen der Zeitzeugen der Bombennächte und deren »Schmerz über den Verlust von Familie, Freunden und der Heimatstadt«.

Flucht aus Dresden

Nattke präzisierte im Gespräch mit der Jungle World die Rolle der Stadt während des Kriegs: »Dresden war eine durch und durch nationalsozialistische Stadt. Während die Schornsteine der Krematorien vieler Konzentrations- und Vernichtungslager qualmten, hat die Dresdner Bevölkerung am Abend des 13. Februar Fasching gefeiert, ist in den Zirkus und ins Theater gegangen.« Zudem ergänzte Nattke, dass Dresden ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt gewesen sei, auch für die Versorgung der Wehrmacht.

In den Tagen direkt nach dem 13. Februar hätten die letzten verbliebenen Dresdner Jüdinnen und Juden deportiert werden sollen. Der jüdische Literaturwissenschaftler Victor Klemperer beschreibt in seinen Memoiren, wie die Bombardierung ihm und anderen das Leben rettete. Die Zerstörung in der Bombennacht hätte die bereits geplante Deportation verhindert. Klemperer und seiner Frau gelang im Chaos die Flucht aus Dresden. Sie schafften es, bis Kriegsende unterzutauchen.

Am 13. Februar konnte eine »Gedenkveranstaltung« der AfD auf dem Altmarkt durch Gegenprotest verhindert werden. Am Samstag hielten die AfD und die Freien Sachsen unabhängig vom Nazi-«Trauermarsch« eigene Gedenkveranstaltungen ab. Dazu gehörte auch eine Kranzniederlegung auf dem Heidefriedhof durch die AfD. Dort wird traditionell der Opfer der Bombennacht gedacht. Bis vor einigen Jahren hatte das noch der Dresdner Oberbürgermeister übernommen. Dieses Jahr war dem MDR zufolge der Wirtschaftsbürgermeister Jan Pratzka (CDU) im Namen der Stadt auf dem Heidefriedhof.

Die Vertreter:innen von Antifa Against Antisemitism wiesen darauf hin, dass die Grenzen zwischen rechtsex­tremen Demonstrationen und bürgerlichem Gedenken zum Teil verschwimmen. »Der Mythos, Dresden sei eine unschuldige Kulturstadt gewesen, die illegitimerweise bombardiert wurde«, sei immer noch weitverbreitet und mache »rechten Geschichtsrevisionismus salonfähig«.

Den Abschluss bildeten eine Schweigeminute und das »Deutschlandlied« mit allen drei Strophen. Am Ende rief Giesen »Heil euch!« ins Mikrophon.

An der Spitze des Nazi-Marschs am Samstag trugen unter anderem die bekannten Rechtsextremen Christian Klar und Frank Haußner Trauerkränze. Im Demonstrationszug galten klare Regeln. Es herrschte Rauch- und Redeverbot. Vereinzelt wehten schwarze Fahnen. Auf einem Banner war zu lesen »Den Toten zur Ehr – 80 Jahre Feuersturm über Dresden«. Auf einem anderen mit NPD-Logo hieß es »Dresden 1945 350.000 zivile Opfer – Wir vergessen nicht« und »500.000 Tote: Ungesühnt! Dresden 1945 Bombenterror – Gegen das Vergessen!«

Zur Abschlusskundgebung wurde es zeremoniell. Die Namen von 500 bombardierten deutschen Städten wurden bei völliger Stille der Anwesenden verlesen. Anschließend folgten Gedichte und die Einspielung des aus vielen Filmen bekannten Chorsatzes »Fortuna Imperatrix Mundi« aus den 1937 uraufgeführten »Carmina Burana« von Carl Orff. Den Abschluss bildeten eine Schweigeminute und das »Deutschlandlied« mit allen drei Strophen. Am Ende rief Giesen »Heil euch!« ins Mikrophon.

Michael Nattke mahnte: »Wir haben es hier seit einigen Jahren erneut mit dem größten jährlich wiederkehrenden Neonazi-Aufmarsch in der Bundes­republik zu tun.« Die Gruppe Antifa Against Antisemitism zeigte sich zufrieden, dass zumindest »viele Tausend Menschen sich den Neonazis entgegengestellt« hätten und man mit Sitz­blockaden die Route der Nazis habe verkürzen können.