Stalingrad an der Donau
Als sich am 13. Februar 1945 in Budapest die letzten in der Stadt verbliebenen Einheiten der Wehrmacht der Roten Armee ergaben, endete eine Schlacht, die von den Zeitgenossen mit der in Stalingrad verglichen wurde. 100 Tage lang kämpften deutsche und ungarische Truppen in erbitterten Häuserkämpfen gegen die Soldaten der Zweiten und Dritten Ukrainischen Front der Roten Armee. Diese nach ihrem ursprünglichen Operations- beziehungsweise Aufstellungsgebiet benannten Armeegruppen hatten im Frühjahr 1944 die südwestliche Grenze der Sowjetunion erreicht und stießen im Laufe des Sommers nach Ungarn vor. Im Oktober erreichten sie Budapest, Ende Dezember hatten sie die Stadt vollständig eingekesselt.
Ein sowjetisches Kapitulationsangebot wies das deutsche Kommando zurück, die Parlamentäre, die es überbrachten, wurden beschossen und getötet. Die »Festung Budapest« sollte um jeden Preis gehalten werden. Der Grund dafür ergab sich aus der strategischen Lage der Stadt. Zum einen blockierte sie den sowjetischen Vormarsch auf Wien und damit direkt ins Deutsche Reich. Zum anderen lagen westlich von Budapest Ölquellen, deren Ausbeute für die deutsche Kriegsmaschine unverzichtbar war. Denn deren bis dahin wichtigster Erdöllieferant, das benachbarte Rumänien, hatte bereits im August 1944 das Bündnis mit den Deutschen aufgekündigt und war auf die Seite der Sowjetunion gewechselt.
Im Januar und Anfang Februar 1945 kämpften sich die sowjetischen Truppen Haus für Haus, Straßenzug um Straßenzug ins Stadtzentrum vor. Während dieser Zeit scheiterten drei Versuche, durch Gegenangriffe von Wehrmacht und Waffen-SS aus dem Westen den Belagerungsring um Budapest aufzubrechen. Am 11. und 12. Februar schließlich versuchten 34.000 deutsche und ungarische Soldaten, aus der Umzingelung auszubrechen, ein Versuch, der im Desaster endete. Nur etwas mehr als 700 von ihnen erreichten die deutschen Linien, die meisten fielen.
Unter den von Bündnispartnern des Deutschen Reichs wie Finnland, Italien, Spanien und Rumänien gestellten Truppenkontingenten in der UdSSR galt das ungarische als eines der mörderischsten.
Nach der Eroberung der Stadt kam es seitens der sowjetischen Truppen zu zahlreichen Übergriffen gegen die Budapester Zivilbevölkerung, so dass sich ungarische Kommunisten, die die Rote Armee als Befreier begrüßt hatten, gezwungen sahen, sich bei der sowjetischen Kommandantur zu beschweren. Dass aus Sicht der sowjetischen Führung Budapest keine befreite, sondern eine eroberte feindliche Stadt war, machte diese auch offiziell deutlich. Während an Soldaten, die an den Kämpfen um Warschau, Prag oder Belgrad beteiligt waren, Medaillen »Für die Befreiung« der jeweiligen Stadt verliehen wurden, erhielten die in Budapest eingesetzten Soldaten eine Auszeichnung »Für die Einnahme«. Entsprechende Ehrenzeichen wurden anschließend auch für Wien und Berlin ausgegeben.
Dieser Umgang mit der ungarischen Hauptstadt war nicht das Resultat stalinistischer Willkür, sondern Ergebnis des Agierens Ungarns im Krieg gegen die Sowjetunion. Am Ende des Ersten Weltkriegs und des österreichisch-ungarischen Habsburgerreichs war es auch in Ungarn zum Versuch einer sozialistischen Revolution gekommen. Die ungarische Räterepublik wurde jedoch Ende 1919 von Armeeeinheiten unter dem Kommando des ehemaligen Admirals der österreichisch-ungarischen Marine, Miklós Horthy, zerschlagen. In der Folgen wurden Linke, Intellektuelle und Juden sowie Menschen, die dafür gehalten wurden, zu Tausenden ermordet.
Horthys nationalistisch-autoritäre Diktatur
Horthy hingegen stieg zum Staatsoberhaupt auf. Da Ungarn nach der Niederlage der Räterepublik formal wieder eine Monarchie war, die Habsburger aber wegen des Widerstands der Westmächte nicht auf den Thron zurückkehren konnten, trug er den Titel »Reichsverweser«. Als solcher errichtete er eine nationalistisch-autoritäre Diktatur. Ein Hauptziel seiner Politik war die Rückgewinnung der von Ungarn besiedelten Gebiete, die beim Zerfall des Habsburgerreichs unter die Hoheit der Nachbarländer geraten waren. Ab 1932 suchte er das Bündnis mit dem faschistischen Italien, dem Österreich der Dollfuß-Diktatur und schließlich mit Nazi-Deutschland.
Dies zahlte sich aus. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakischen Republik 1938 erhielt Ungarn Teile der Slowakei, später auch Rumäniens. Im Gegenzug beteiligten sich ungarische Truppen 1941 am Einmarsch in die Sowjetunion.Diese erwarben sich in ihren Operationsgebieten schnell den Ruf einer brutalen, unterschiedslos gegen die einheimische Bevölkerung vorgehenden Besatzungsmacht. Unter den von Bündnispartnern des Deutschen Reichs wie Finnland, Italien, Spanien und Rumänien gestellten Truppenkontingenten in der UdSSR galt das ungarische als eines der mörderischsten.
Die wenigen Historiker, die sich intensiver kritisch mit der ungarischen Kriegsführung in der Sowjetunion befasst haben, erklären dies mit ideologischen und praktisch-militärischen Ursachen. So seien die Soldaten vom Antikommunismus und Antisemitismus des postkonterrevolutionären Ungarns sowie von rassistischen Vorstellungen der Minderwertigkeit der slawischen Bevölkerung geprägt gewesen.
»Holocaust durch Kugeln«
Zugleich seien die Ausbildung und Ausstattung der Truppen schlecht gewesen. Insbesondere im Kampf gegen Partisanen verlegten sich kommandierende Offiziere daher auf Taktiken, die das Leben der eigenen Truppe schonten. Dazu gehörte es, Gefechte in Wäldern zu vermeiden und stattdessen Dörfern niederzubrennen und die Einwohner:innen zu ermorden, um die Logistik und Lebensmittelversorgung der Partisanen zu zerschlagen. Während in Ungarn zwar antisemitische Gesetze galten, die Regierung sich jedoch weigerte, die ungarischen Juden in die deutschen Vernichtungslager auszuliefern, beteiligten sich ungarische Truppen am »Holocaust durch Kugeln« in der besetzten Sowjetunion.
Der Roten Armee waren die ungarischen Truppen militärisch unterlegen. Im Januar 1943, während der Endphase der Kämpfe um Stalingrad, rieb eine sowjetische Offensive die westlich Stalingrads am Don stationierte Zweite Ungarische Armee fast vollständig auf, ein Ereignis, an das in Ungarn als die »Katastrophe im Donbogen« erinnert wird. Infolge des Kriegsverlaufs versuchte Horthy im Herbst 1944, einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion herbeizuführen. Dies verhinderte jedoch ein von Wehrmacht und SS unterstützter Putsch der faschistischen Pfeilkreuzler, einer kleineren rechtsextremen und aggressiv antisemitischen Partei.
Unter der kurzen Herrschaft der Pfeilkreuzler wurde nicht nur der Widerstand der ungarischen Regierung gegen die Deportation der Juden aufgegeben – Juden wurden nun auch von ungarischen Faschisten in großer Zahl getötet, so am Budapester Donauufer, wo Pfeilkreuzler mehr als 2.000 Juden erschossen. Militärisch bestimmten allerdings die Deutschen den weiteren Gang der Ereignisse, ungarische Truppen dienten nur noch als Füllmasse für die schwindenden militärischen Reserven des Reichs.
Spezifische Erinnerungspolitik
Bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Ungarn in den Machtbereich der Sowjetunion integriert. Gewissermaßen in beiderseitigem Interesse unterblieb eine intensive Aufarbeitung der ungarischen Verbrechen in der Sowjetunion wie auch der von der Roten Armee verübten Gewalttaten. Nach dem Ende des Realsozialismus in Ungarn entwickelte sich eine sehr spezifische Erinnerungspolitik, die das Leiden der Ungarn betont und ihre Verbrechen negiert.
Ein wichtiges Element dieser Erinnerungspolitik sind Veranstaltungen des reenactment, des Nachspielens von Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg, das auf Einfühlung und Identifikation mit den damaligen ungarischen Soldaten zielt. So erinnerte Mitte Januar ein vom ungarischen Verteidigungsministerium unterstützter, jährlich stattfindender Gedenkmarsch an die Schlacht im Donbogen. Gábor Böröndi, der Stabschef der ungarischen Streitkräfte, sagte aus diesem Anlass: »Ausdauer, Standhaftigkeit und Mut zeichneten die Don-Helden aus.«
Bekannter ist der jährlich am sogenannten Tag der Ehre stattfindende Marsch, der den Ausbruch aus dem belagerten Budapest nachstellen soll. Dass dieser sich zu einem Anziehungspunkt für die gesamte europäische Nazi-Szene entwickeln konnte, liegt gerade an dem Angebot der Einfühlung in die Täter des von Deutschland und seinen Verbündeten geführten Vernichtungskriegs, auf dem auch der staatstragende ungarische Gedenkdiskurs beruht.