Überausbeutung in Europas Gemüsegarten
In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar verbrannte nahe Lucena del Puerto, einer Stadt in der westandalusischen Provinz Huelva, ein Tagelöhner aus Ghana in seinem Plastikverhau, der in Flammen aufgegangen war. Berichten der Feuerwehr zufolge war die Brandursache eine »schlecht kontrollierte« Feuerstelle. Der 45jährige Ata, der offiziellen Angaben zufolge seit 15 Jahren über einen legalen Aufenthaltsstatus in Spanien verfügte, war, wie 10.000 andere migrantische Landarbeiter:innen im südspanischen Andalusien, weder zu fester Anstellung noch einer richtigen Bleibe gekommen.
Stattdessen hausen die vorwiegend aus Marokko stammenden Arbeitsmigrant:innen seit Jahren in sogenannten chabolas, wie die slumartigen Plastikhüttendörfer genannt werden, die in den andalusischen Provinzen Huelva und Almeria zur dortigen industriellen Landwirtschaft untrennbar dazugehören. Die prekäre Situation in diesen Wohnsiedlungen, in denen es meist kein Strom oder fließend Wasser gibt, steht im Zentrum des Jahresberichts 2024 der andalusischen Menschenrechtsorganisation Asociación pro derechos humanos de Andalucía (APDHA), der am 25. Januar vorgestellt wurde.
Erstmals größere Aufmerksamkeit in der spanischen und auch europäischen Öffentlichkeit erlangte die desaströse Lage der Arbeitsmigrant:innen im Jahr 2000, als es zu heftigen pogromartigen Ausschreitungen gegen die migrantischen Landarbeiter:innen und ihre Familien in der südspanischen Kleinstadt El Ejido kam.
Das Gros der andalusischen Gemüse- und Obstproduktion wird in Nord- und Mitteleuropa konsumiert, deutsche Supermarktketten zählen zu den Hauptabnehmern.
Das über drei Tage andauernde Wüten eines rassistischen Mobs, bei dem Moscheen, Läden und Treffpunkte der Migrant:innen verwüstet und zwischen 1.500 und 3.000 von ihnen vertrieben wurden, warfen ein Schlaglicht auf die immensen sozialen und ökologischen Probleme in der Region. Städte wie El Ejido sind infolge der in den sechziger Jahren einsetzenden intensiven Gewächshausproduktion von Obst und Gemüse planlos angewachsen. Bis heute ist das gesamte Anbaugebiet im Süden Spaniens – vom westlich gelegenen El Ejido über Roquetas de Mar bis zu den Randgemeinden der östlich gelegenen Hafenstadt Almería – von einer weitgehenden räumlichen Segregation der spanischen und migrantischen Bevölkerung geprägt.
Den Übergriffen war jahrelange Stimmungsmache gegen die marokkanischen Migrant:innen vorausgegangen. Insbesondere der 1991 ins Amt gewählte Bürgermeister El Ejidos, Juan Enciso vom rechtskonservativen Partido Popular (PP), hatte mit seinen Hetzreden und seiner weitgehenden Kontrolle über die lokalen Medien den Boden für die Ausschreitungen bereitet. Die örtlichen Ordnungskräfte griffen damals nicht ein, erst nach zwei Tagen und nachdem spanien- und europaweit in Medien über die Übergriffe berichtet worden war, rückte die bundesstaatliche Guardia Civil an.
Der Franquismus legte den Schwerpunkt auf die Industrialisierung
Letztlich aber reichen die Ursachen für die sozialen Spannungen in der Region bis in die Zeit des Franquismus zurück. Unter Franco zählten Almería und die gleichnamige Provinz lange zu den ärmsten Gegenden des ohnehin schon armen Spaniens. 1955 lag das Durchschnittseinkommen dort 50 Prozent unter dem nationalen Durchschnitt.
Der Franquismus legte den Schwerpunkt auf die Industrialisierung des Landes und wendete zunächst wenig Mittel zur Unterstützung der Landwirtschaft auf. Gegenden wie Almería blieben lange Zeit infrastrukturell isoliert, die ländliche Bevölkerung bestand hauptsächlich aus Analphabet:innen und die stetige Abwanderung sorgte für eine schleichende Entvölkerung.
Ab den sechziger Jahren begann dann mit dem Bau der ersten Gewächshäuser in kürzester Zeit ein enormer ökonomischer Transformationsprozess. Mittlerweile erstrecken sich in der Provinz Almería Treibhäuser über eine Fläche von 30.000 Hektar und Almería zählt zu den wohlhabenderen Provinzen Spaniens.
Ermöglicht wurde dieser rasante ökonomische Aufschwung vor allem durch den Einsatz billiger Arbeitskräfte, die ab den achtziger und neunziger Jahren aus Nordafrika angeheuert wurden. Trotz aller Beteuerungen und dem Anprangern der Missstände nach den rassistischen Ausschreitungen im Jahr 2000 hat sich an den miserablen Wohn- und Arbeitsverhältnissen der Tagelöhner:innen bisher wenig verändert. Auch die Kritik der marokkanischen Regierung an den Arbeitsbedingungen der großteils undokumentiert Beschäftigten ist weitgehend verstummt. Unmittelbar nach den Ereignissen im Jahr 2000 war es zwischen Marokko und Spanien noch zu diplomatischen Spannungen gekommen.
Enge Kooperation zwischen Marokko und Spanien
Doch mittlerweile – bedingt durch die europäische Migrationspolitik – kooperieren die beiden Länder politisch und wirtschaftlich eng miteinander. Spanien hat im Jahr 2022 die marokkanische Annexion der Westsahara anerkannt und hofft im Gegenzug auf die Mitarbeit des autoritär regierten Königreichs bei der sogenannten Migrationskontrolle. Wirtschaftsabkommen, die spanische Investitionen in Marokko noch weiter erleichtern sollen, als es im Abkommen von 2012 vorgesehen war, wurden im Februar 2023 geschlossen.
Sie ermöglichen es unter anderem spanischen Agrarunternehmen, Land in Marokko aufzukaufen, um ihre Produktion dorthin auszuweiten oder ganz zu verlagern. Unternehmen winken dort Standortvorteile in Form von schwächeren arbeitsrechtlichen Auflagen und geringeren Löhnen, für die Arbeiter:innen in Almería verschärft dies die Konkurrenz und lässt eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen noch unwahrscheinlicher werden. Bauernverbände aus der Provinz haben aufgrund sinkender Preise von Obst und Gemüse bereits mehrfach die Aufhebung dieser Abkommen gefordert.
Obwohl die marokkanische Küste nun von den Behörden des Landes rigide kontrolliert wird, versuchen weiterhin Boote mit Migrant:innen aus Nordafrika, an der Küste bei Almería zu landen. Nach Beobachtungen von Menschenrechtsorganisationen sterben weiterhin Hunderte auf dieser Route, doch die Kritik von NGOs wie dem Roten Kreuz oder der APDHA sowie andalusischen linken Gruppen an der europäischen Migrationspolitik findet kaum noch Gehör. Seit 2018 haben die rechtsgerichteten Parteien im Parlament der autonomen Region Andalusien die Mehrheit. Bei den jüngsten Parlamentswahlen 2022 konnten der PP und die rechtsextreme Partei Vox weiter zulegen.
Laxe staatliche Kontrollen der Arbeitsbedingungen
Und um die Rechte derjenigen, die in Europas Gemüsegarten schuften dürfen, bleibt es schlecht bestellt. Eine gewerkschaftliche Organisierung in der Agrarwirtschaft mit ihren saisonalen Ernten, bei denen Tagelöhner:innen zum Einsatz kommen, ist schwierig. Arbeiter:innen berichten von Willkür der Arbeitgeber:innen und Bezahlung weit unter dem Mindestlohn. Immer wieder machen Todesfälle von Landarbeiter:innen Schlagzeilen, 2019 starb ein junger Marokkaner vermutlich an den Folgen einer Pestizidvergiftung. Kritiker:innen bemängeln laxe staatliche Kontrollen der Arbeitsbedingungen. Die Umstellung vieler Unternehmen auf Bio-Produkte, die die Gewinnmargen erhöhte, hat an den miserablen Arbeitsbedingungen wenig verbessert.
Die Kritik an diesen und an der Umweltzerstörung durch die intensiv betriebene Agrarindustrie, wie sie insbesondere aus Nord- und Mitteleuropa vorgebracht wird, kann in Südspanien als Doppelmoral abgetan werden: Denn das Gros der andalusischen Gemüse- und Obstproduktion wird in Nord- und Mitteleuropa konsumiert, deutsche Supermarktketten zählen zu den Hauptabnehmern.
Die Lobby der Agrarunternehmen präsentiert derweil weiterhin »Neuigkeiten aus der Welt des Grünen«, so lautet der gängige Slogan, auf Messen wie der weltweit wichtigsten Ernährungs- und Landwirtschaftsmesse Grüne Woche. Der »Place to B für die Frischfruchtbranche«, die Berliner Messe »Fruit Logistica«, das größte Branchentreffen der Welt, dauert noch bis zum 7. Februar – auf den Tag genau liegen da die pogromartigen Ausschreitungen in El Ejido 25 Jahre zurück.