Angst um die Karriere
Überrascht hatte es damals niemanden, dass die Preisverleihung der Golden Globes am 9. Januar 2017 genutzt wurde, um gegen Donald Trump Position zu beziehen, der wenige Tage später seine erste Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika antrat. Aber die wenigsten rechneten wohl damit, dass Meryl Streep, die grande dame Hollywoods, ihre Dankesrede für den Golden Globe für ihr Lebenswerk nutzen würde, um den designierten Präsidenten dafür zu kritisieren, dass er den behinderten Reporter Serge F. Kovaleski der New York Times verspottet hatte: »Es brach mir das Herz, als ich es sah. Ich bekomme es immer noch nicht aus meinem Kopf.« Zugleich war ihre knapp fünfminütige Rede ein Plädoyer für die Verfassung und die durch sie garantierte Pressefreiheit, die es zu verteidigen gelte.
Streep war der umjubelte Star des Abends. Hollywood, so schien es, hatte einmal mehr den Aktivismus, speziell jenen gegen Trump, für sich entdeckt. Auch in den Jahren danach wurden die Golden Globe Awards, die im Gegensatz zur Oscar-Verleihung für ihre lockere und alkoholgetränkte Stimmung bekannt sind, für politische Verlautbarungen genutzt. Black Lives Matter oder Abtreibungsrechte wurden auf der Bühne ebenso thematisiert wie die globalen Flüchtlingsbewegungen. 2023, nachdem die Preisverleihung wegen des Vorwurfs mangelnder Diversität zwei Jahre in einer veritablen Krise gesteckt hatte, wurde gar Wolodymyr Selenskyj für eine Rede aus der Ukraine zugeschaltet.
Die Unterhaltungsindustrie scheint sich in einer Art Schockzustand zu befinden. Das Branchenblatt »The Hollywood Reporter« vermutet, dass viele noch damit beschäftigt seien, ihre Wunden zu lecken.
Und in diesem Jahr? Nachdem Donald Trump erneut zum Präsidenten gewählt wurde und die Aussichten auf seine zweite Amtszeit um einiges düsterer aussehen als vor acht Jahren, wäre zu vermuten gewesen, dass sich die Größen der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie einmal mehr entschieden gegen Trump und den faschistoiden Größenwahn seiner Maga-Bewegung positionieren. Schließlich waren die Golden Globe Awards am 6. Januar die erste große Galashow der gegenwärtigen award season nach dessen Wahlsieg.
Doch es war kaum ein Laut zu hören. Nur die Komikerin Nikki Glaser, die die Gala eröffnete, machte eine kleine Randbemerkung. Sie mokierte sich darüber, dass die versammelten Prominenten nicht in der Lage gewesen seien, die Rückkehr von Trump zu verhindern. »Das ist in Ordnung«, sagte sie. »Nächstes Mal kriegt ihr ihn – falls es ein nächstes Mal gibt.« Sie lächelte und fügte hinzu: »Ich habe Angst«, bevor sie das Thema zu etwas Aufbauenderem wechselte: zum Sexleben von Ben Affleck.
Die Unterhaltungsindustrie der Vereinigten Staaten scheint sich in einer Art Schockzustand zu befinden. Das Branchenblatt The Hollywood Reporter vermutet, dass viele noch damit beschäftigt seien, ihre Wunden zu lecken. Schließlich unterstützte ein Großteil der Branche Kamala Harris. Doch Superstars wie die Schauspieler George Clooney, Harrison Ford und Leonardo DiCaprio oder die Musikerinnen Taylor Swift und Beyoncé konnten Harris’ Niederlage nicht verhindern. Viele, so heißt es, seien erschüttert über die Wirkungslosigkeit ihrer Aussagen – oder es fehle ihnen zumindest eine Vorstellung, wie sie der gegenwärtigen politischen Situation entgegentreten könnten.
»Menschlicher Abschaum«
Diese Niedergeschlagenheit und Zurückhaltung dürfte auch mit etwas anderem zusammenhängen: der Angst um die eigene Karriere. Dafür spricht der Umgang mit Ali Abbasis Film »The Apprentice« über den jungen Donald Trump, der zeigt, wie er zu jenem durchtriebenen Geschäftsmann und Politiker wurde, der er heutzutage ist.
Obwohl der Film bei seiner Premiere in Cannes großen Beifall erhielt und von der Kritik wohlwollend aufgenommen wurde, tat er sich schwer, in den USA überhaupt einen Verleih zu finden. Trump, der die Beteiligten des Films als »menschlichen Abschaum« bezeichnete, trat eine regelrechte Hasskampagne gegen die Produktion los.
Ende November berichtete Sebastian Stan, der die Hauptrolle in »The Apprentice« spielt, dass andere Schauspieler in Hollywood zu viel Angst hätten, mit ihm den Film zu bewerben. So habe er keinen einzigen Kollegen gefunden, der ihm in der beliebten Reihe »Actors on Actors« des Branchenmagazins Variety gegenübertreten würde, in der sich die wichtigsten Anwärter der award season gegenseitig befragen.
Sylvester Stallone, Mel Gibson und Jon Voight als Sonderbotschafter
Ebenfalls im November sah sich die Schauspielerin Rachel Zegler (»West Side Story«, »Snow White«) gezwungen, sich öffentlich zu entschuldigen, nachdem sie auf Instagram ihren Unmut über den Ausgang der Wahl geäußert hatte und es zu einer heftigen Reaktion aus dem Trump-Lager gekommen war.
Derweil schickt sich Donald Trump an, neben den IT-Oligarchen auch Hollywood auf Linie zu bringen. Nur wenige Tage vor seiner Amtseinführung verkündete er auf seinem eigenen Microblogging-Dienst Truth Social, dass er Sylvester Stallone, Mel Gibson und Jon Voight zu Gesandten für Hollywood ernannt habe.
Die drei Schauspieler »werden mir als Sonderbotschafter zur Verfügung stehen, um Hollywood, das in den letzten vier Jahren viel Geschäft an das Ausland verloren hat, zurückzuholen – größer, besser und stärker als jemals zuvor!« So begründete er die Entscheidung in seiner üblichen Art – der letzte Teil des Postings war komplett in Großbuchstaben geschrieben worden.
Pandemie, Streaming-Dienste und Streiks
Tatsächlich kämpft die US-amerikanische Kinobranche seit der Covid-19-Pandemie mit sinkenden Einnahmen und rückläufigen Besucherzahlen. Der Umsatz im vergangenen Jahr fiel um fast ein Viertel geringer aus als noch 2019. Das liegt jedoch vor allem an der gewachsenen Konkurrenz durch US-amerikanische Streaming-Dienste und nicht am »Ausland«. Auch die Auswirkungen des Schauspieler- und Autorenstreiks von 2023 waren noch deutlich zu spüren. Dass Trumps Hollywood-Buddys eine Trendwende herbeiführen, darf bezweifelt werden.
Während die einen noch in Lethargie verharren, passen sich die anderen bereitwillig der regressiven Stoßrichtung von rechts an. Disney, das seine Diversitäts- und Sensibilitätsbemühungen zuletzt am offensivsten verfolgt und propagiert hatte, verkündete im Dezember, dass eine Transgender-Storyline aus der neuen Pixar-Serie »Win or Lose« gestrichen wird.
Die Begründung hierfür mag nicht so entlarvend formuliert sein wie jene, mit der Mark Zuckerberg die Abschaffung von Faktenchecks und Inhaltsbeschränkungen auf den Plattformen seines Konzerns Meta rechtfertigte. Dennoch lässt sich auch hier ein Kuschen vor der neuen Regierung Trump ablesen. So rechtfertigte Bob Iger, der CEO von Disney, die Überarbeitung des Drehbuchs für »Win or Lose« damit, dass es die Hauptaufgabe seiner Firma sei, zu unterhalten, »sie sollte nicht von einer Agenda bestimmt sein«.
Disney ist ein Musterbeispiel dafür, wie gerne mehr Diversität und Sensibilität aus Marketinggründen verwirklicht, aber ebenso schnell wieder fallengelassen wird, je nachdem, was gerade den Profitinteressen dienlich ist.
Warner Bros. Discovery, Amazon und Netflix
Igers Kollege David Zaslav, Präsident von Warner Bros. Discovery, sprach kürzlich ganz offen aus, dass er unter Trump bessere wirtschaftliche Rahmenbindungen erwarte. Wie die Financial Times berichtete, waren ihm und seinen Geschäftspartnern vor allem jene Regulierungen Joe Bidens ein Dorn im Auge, die Unternehmensfusionen und somit Monopolbildungen verhindern sollten. Zaslavs Ansicht stehe »im Einklang mit allen CEOs in der Branche«, wird ein Hollywood-Agent zitiert.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis weitere Großkonzerne der Unterhaltungsindustrie folgen. Die Amazon MGM Studios dürften als nächstes dran sein. 2021 verabschiedete das Unternehmen noch umfangreiche Diversity-Richtlinien, die mehr Vielfalt in den eigenen Produktionen gewährleisten sollten. Jetzt, da der Mutterkonzern Amazon seine Richtlinien für den Schutz von Minderheiten gestrichen hat und dessen Gründer und Verwaltungsratsvorsitzender Jeff Bezos neben seinen IT-Kumpanen Trumps Amtseinführung willfährig beiwohnte, dürfte auch das hauseigene Filmstudio seine Selbstverpflichtungen demnächst streichen.
Ein Konkurrent von Amazon stellte bereits die Weichen, als die Präsidentschaftswahl noch in weiter Ferne lag: Netflix unterzeichnete im Januar 2024 für fünf Milliarden US-Dollar einen Zehnjahresvertrag mit WWE, der professionellen Wrestling-Liga, die eng mit Trump verbandelt ist. Trumps designierte Bildungsministerin Linda McMahon war Mitgründerin und langjährige CEO der WWE.
Es gibt sie noch, diejenigen in der Unterhaltungsbranche, die nach wie vor den Mund aufmachen. Zu finden sind sie unter den Gastgebern der großen Late Night Shows, die am Abend von Trumps Amtsantritt in ihren Sendungen Stellung bezogen.
Am 6. Januar, als sich Hollywood bei den Golden Globes selbst feierte, wurde zum ersten Mal seit mehr als 30 Jahren die beliebte WWE-Wrestlingsendung »Monday Night Raw« mit dem dauergebräunten und -gebleichten Hulk Hogan nicht im linearen Fernsehen, sondern auf Netflix ausgestrahlt. »Ich hatte immer das Gefühl, dass sich Hollywood an sich selbst verkauft«, sagte Nick Khan, der Präsident der WWE und ehemaliger Agent bei CAA, Hollywoods größter Künstleragentur, bei einer Präsentation mit Netflix im Dezember. »Wir versuchen, die WWE in allen 50 Bundesstaaten und in allen Ländern der Welt bekannt zu machen. Wir denken, dass Netflix das Gleiche tut.«
Aber es gibt sie noch, diejenigen in der Unterhaltungsbranche, die nach wie vor den Mund aufmachen. Zu finden sind sie unter den Gastgebern der großen Late Night Shows, die am Abend des Amtsantritts in ihren Sendungen Stellung bezogen. Jimmy Fallon, Moderator der »Tonight Show« auf NBC, kam es vor, als ob »wir irgendwie das erste Squid Game überlebt und uns dann wieder für ein zweites angemeldet haben«.
Was passiert bei der Oscar-Verleihung?
Auch sein Kollege Jimmy Kimmel von ABC sprach ohne Umschweife: »Trump verkauft das Land an den Höchstbietenden.« Seth Meyers (NBC) beschrieb Trumps Antrittsrede als »beängstigende Vision eines autoritären Regimes« und sprach von einem »bedrohlichen Faschismus«, bevor er konsterniert festhielt: »Es wird nicht wie in Trumps erster Amtszeit sein, es wird schlimmer.«
Man darf gespannt sein, ob sich Hollywood bei der diesjährigen Verleihung der Academy Awards Anfang März ebenso still verhält wie bei den Golden Globes. Doch schon die Vergabe eines Oscars würde reichen, um der Veranstaltung politische Brisanz zu geben: »The Apprentice«, jener Film über Donald Trump in seinen jungen Jahren, ist zweimal nominiert.