Selbstverleugnung und Befreiung
Sowohl der Soziologe und Schriftsteller Albert Memmi als auch der wesentlich bekanntere Frantz Fanon wurden bereits in den fünfziger Jahren in Frankreich als Kritiker von Kolonialismus und Rassismus bekannt. Doch obwohl sich ihre Lebenswege zwischen Nordafrika und Frankreich überschnitten und beide mit der existentialistischen Szene in Paris verbunden waren, sind sie sich wohl nie persönlich begegnet. Als Memmi, der 2020 im Alter von 99 Jahren in Paris verstorben ist, 1971 einen Essay über Frantz Fanon schrieb, war dieser bereits seit zehn Jahren tot. Der zuerst im Magazin Esprit veröffentlichte Text ist nicht zuletzt wegen der nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober zugespitzten Auseinandersetzungen um Postkolonialismus und Antisemitismus noch immer sehr aufschlussreich.
Memmi wählt einen biographischen Zugang, um den widersprüchlichen Positionen im, wie bereits der Titel besagt, »unmöglichen Leben des Frantz Fanon« als Franzose, Antillaner, Araber, Afrikaner und antikolonialen Universalisten nachzuspüren. Dies ist gerade deshalb nachvollziehbar, weil Memmis eigene Biographie gebrochen ist als tunesisch-französischer Jude und Gegner des Kolonialismus, der sich schließlich dennoch im ehemaligen kolonialen »Mutterland« niederließ. Der ähnliche Hintergrund lässt Verständnis und Empathie für die Brüche und Diskrepanzen in Fanons Leben erwarten und in der Tat ist der Text von dieser biographischen Nähe Memmis zu Fanon geprägt. Allerdings spricht Memmi schon in der Einleitung seines Essays vor allem von einem mehrfachen Scheitern Fanons, um dem dann in dessen Lebensweg nachzuspüren.
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