30.01.2025
Die Freien Sachsen mobilisieren ­gegen die Kulturhauptstadt Chemnitz

Deutsche Kulturkritiker

Zur Eröffnung der Kulturhauptstadt Chemnitz am 18. Januar rief die rechtsextreme Partei Freie Sachsen zur Demonstration auf. Unter dem Motto »Das ist unsere Stadt! – Wir wollen Sicherheit, Frieden und Freiheit« versammelten sich etwa 400 Personen um gegen den Verlust »deutscher Kultur« zu protestieren. Junge Neonazis führten den Zug an.

Bereits auf den Bahnsteigen begrüßen die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer am Chemnitzer Hauptbahnhof die ankommenden Gäste der Eröffnungszeremonie für die diesjährige Kulturhauptstadt. Sie verteilen Programmflyer und weisen auf das Leitsystem zu den Veranstaltungen hin. Der Wunsch, die eigene Stadt in einem freundlichen Licht zu präsentieren, ist groß. Europa ist zu Besuch und Chemnitz will sich weltoffen zeigen.

Wenige Meter weiter sieht man die ersten Polizisten an diesem Tag; man wird noch viele andere zu Gesicht bekommen. 1.000 Beamte sind nach Angaben der Polizei im Einsatz. Mit großen Pfeilen versehene Bauzäune leiten die Besucher vom Hauptbahnhof vorbei am Opernhaus zur berühmten Karl-Marx-Büste, umgangssprachlich »Nischel« genannt.

Vor dieser wird am Abend der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprechen, weswegen der Vorplatz und die angrenzende mehrspurige Straße abgesperrt sind. Wer an den schon laufenden Festlichkeiten in der Innenstadt teilnehmen will, wird über einen wenige Meter schmalen Korridor aus sogenannten Hamburger Gittern zur anderen Straßenseite geführt.

»Das ist nicht unsere Kultur und das wird auch hoffentlich niemals unsere Kultur sein.« Vincenzo Richter, Neonazi

Dort trifft man auf die ersten Menschen mit strammem Seitenscheitel, Bomberjacke und T-Shirt mit der Aufschrift »Anti-Antifa«. Erwartbar, denn die Demonstration der rechtsextremen Partei Freie Sachsen führt direkt am Ausgang dieses Korridors vorbei und überlappt sich mit dem Beginn der Eröffnungsveranstaltungen. Die Symbolik könnte treffender nicht sein: Will man Chemnitz erleben, muss man am Rechtsextremismus vorbei. Ein Ehrenamtlicher, der an dieser Stelle die Gäste begrüßt, formuliert es diplomatischer: »Vielleicht wäre ein zweiter Durchgang nur für die Besucher entspannter für alle gewesen.«

Der Demonstrationsort vor dem Gebäude der Freien Presse, der lokalen Tageszeitung, ist für die rechtsextreme Szene in Chemnitz von besonderer Bedeutung. 2018 starb dort Daniel H. an einem Messerstich nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einem Mann mit Flüchtlingsstatus. Darauf folgten Ausschreitungen und Angriffe unter anderem auf vermeintliche oder tatsächliche Migranten, die bundesweit für Aufsehen sorgten.

»Ordentliche Frisuren, ordentlich angezogen«

Der erste Redner ist Vincenzo Richter von der Identitären Bewegung in Chemnitz, der Ende 2023 mit der Gründung eines Hausprojekts auf sich aufmerksam machte. Er thematisiert die wenige Tage zuvor bekanntgegebene Freilassung des Täters nach Verbüßen einer mehrjährigen Haftstrafe und verurteilt die deutsche Migrationspolitik: »Wie häufig muss deren selbstmörderisches Experiment noch scheitern, damit die Altparteien und Kartellmedien endlich begreifen: Migration tötet! So einfach ist das! Massenmigration bedeutet Magdeburg, Massenmigration bedeutet Breitscheidplatz, Massenmigration bedeutet Mannheim!«

Von den etwa 400 Teilnehmern interessiert sich nur ungefähr die Hälfte für die Reden. Die Demonstration ist in zwei Lager unterteilt. Vor der Bühne hält sich das gesetztere Publikum auf. Plakate mit der Aufschrift »Kein Geld in alle Welt, das für Deutschland fehlt« oder »Das Maß ist voll! Stopp dem Missbrauch gegen Volk und Wirtschaft« werden hochgehalten. Sächsische Fahnen prägen das Bild, teilweise in Kombination mit der russischen Flagge oder Friedensfahnen. Am Eingang der Veranstaltung versammelt sich die andere Hälfte der Teilnehmer – ein schwarzer Block junger Neonazis.

Der aus Gera angereiste Neonazi Christian Klar lobt in seiner Ansprache die Jugend (»Ordentliche Frisuren, ordentlich angezogen, das ist das, was wieder stolz macht«) und begrüßt die Gruppe »Chemnitz Revolte«. Diese führt dann auch den späteren Demonstrationszug an, aus ihren Reihen werden Parolen wie »Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen« skandiert. Die restlichen Teilnehmer scheinen sich nicht daran zu stören.

Kulturhauptstadt als Projektionsfläche für alles Fremde

Gänzlich unkommentiert bleibt dieser Aufmarsch jedoch nicht. In Hörweite der Freien Sachsen versammelte sich eine Gegendemonstration in dreifacher Größe. Parteien, Gewerkschaften, »Chemnitz nazifrei« und »Aufstehen gegen Rassismus« haben zum Protest gegen Rechtsextremismus aufgerufen und fordern von der Stadt mehr Engagement gegen rechte Strukturen in Chemnitz. Im Laufe des Tages ist es zu mehreren Blockaden gekommen, so dass der Demonstrationszug der Freien Sachsen nicht entlang der geplanten Route laufen kann.

Deren Redebeiträge folgen der Rhetorik eines Abwehrkampfs gegen eine Vielzahl an Feinden. Alles, was nicht ins traditionsdeutsche Bild passt, wird abgelehnt, die Kulturhauptstadt dient als Projektionsfläche für all jenes Fremde. Klar betont, es dürfe kein Verbrechen sein, seine Heimat zu lieben und seine Kinder zu schützen. Richter sagt über Veranstaltungen zur Vielfalt der Geschlechter: »Das ist nicht unsere Kultur und das wird auch hoffentlich niemals unsere Kultur sein.« Für ihn ist die Kulturhauptstadt ein Projekt zur »linksliberalen Umprägung der deutschen Kultur«.

Der Reichsbürger Frank Haußner von den Patrioten Ostthüringen nennt Frank-Walter Steinmeier und Claudia Roth »erklärte Feinde des deutschen Volkes« und der Parteivorsitzende der Freien Sachsen, Martin Kohlmann, bezeichnet die bundespolitische Migrationspolitik der vergangenen zehn Jahre als Import von Messerstechern.

Der Reichsbürger Frank Haußner von den Patrioten Ostthüringen nennt Frank-Walter Steinmeier und Claudia Roth »erklärte Feinde des deutschen Volkes«.

Die Demonstration der Freien Sachsen ist jedoch nicht die einzige Veranstaltung dieser Art an diesem Tag. Die Gruppe »Chemnitz steht auf«, die zu montäglichen Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie aufgerufen hatte, protestiert ebenfalls mit etwa 20 Personen. Gegen eine gemeinsame Veranstaltung mit den Freien Sachsen sprach – so sagt eine Teilnehmerin der Jungle World –, dass sie, anders als die Freien Sachsen, »nicht gänzlich gegen das Projekt Kulturhauptstadt sind«, es gebe jedoch in Kriegszeiten »keinen Grund zu feiern«.

Zu einem Zusammenschluss der beiden Veranstaltungen kommt es dann dennoch. Die Route der Freien Sachsen endet am Infostand von »Chemnitz steht auf«. Ein Ordner betont, dass er normalerweise die »Montagsdemons­tration« mitorganisiert, aber nun den Freien Sachsen ausgeholfen hat.