Eigenlob und Rache
Nichts an der feierlichen Amtseinführung des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten am Montag und an dem, was Donald J. Trump sagte und vor allem danach tat, war überraschend. Weder seine mit den üblichen Lügen, Halbwahrheiten und begeistertem Eigenlob durchzogene Antrittsrede, in der es kein von manchen Republikanern und Demokraten wider besseres Wissen erhofftes Beschwören der nationalen Einheit gab, noch seine gockeligen Tänzchen auf den anschließenden Partys – und schon gar nicht der Inhalt der Dekrete, die zu unterzeichnen Trump zuvor versprochen hatte. Entsprechend machte er sich umgehend daran, Entscheidungen der Vorgängerregierung von Joe Biden zu revidieren.
Ein unvollständiger Überblick seiner Erlasse: Rückzug der USA aus der Weltgesundheitsorganisation und vom Pariser Klimaschutzabkommen, die Ausweitung der Energieproduktion durch das umweltschädliche Fracking sowie die Aussetzung von Genehmigungen für neue Windkraftanlagen und die Überprüfung der bereits erteilten. Umgehende Deaktivierung der Smartphone-App CBP One, mit deren Hilfe die legale Einreise über Mexiko in die USA geregelt wurde sowie Termine und Anhörungen an den Grenzübergängen zu vereinbaren waren. Sie wurden samt und sonders mit einem Handstreich storniert.
Darüber hinaus hat Trump eine sofort beginnende Untersuchung der Handelsbeziehungen zu Mexiko, Kanada und China sowie die Evaluierung eventueller anderer »unfairer« Handelspraktiken in Gang gesetzt. Dahinter steckt die wiederholt ausgesprochene Drohung mit Schutzzöllen, die allerdings nicht – wie Trump gern suggeriert – von den exportierenden Ländern bezahlt werden, sondern von den Importeuren, die entstehende Mehrkosten erfahrungsgemäß auf die Verbraucher umlegen, in diesem Falle also die US-Bürger.
Trump begnadigte die meisten seiner Anhänger, die am Sturm auf das Kapitol beteiligt gewesen waren und sich dabei strafbar gemacht hatten.
Bei seinen Anhängern führte vor allem die Anweisung, das künftig nur noch zwei Geschlechter anerkannt werden, zu großem Jubel. Nur noch das Geschlecht bei der Geburt darf in offiziellen Dokumenten genannt werden, in Gefängnissen sollen keine Mittel mehr für geschlechtsangleichende Operationen und Medikamente aufgewendet werden. Schulen und andere Institutionen, die Transmädchen und -frauen Zugang zu Toiletten, Umkleidekabinen und Sportteams für Frauen ermöglichen, dürften in Schwierigkeiten mit dem Gesetz geraten.
Abschaffung des Geburtsrechts auf die US-Staatsbürgerschaft
Eines der innenpolitisch folgenreichsten Dekrete ist die Abschaffung des Geburtsrechts auf die US-Staatsbürgerschaft. Das birthright ist im 14. Verfassungszusatz geregelt, der 1868 in Kraft trat. Darin heißt es: »Alle in den USA geborenen oder eingebürgerten Personen sind Bürger der Vereinigten Staaten und des Bundesstaates, in dem sie wohnen.« Aufgehoben wurde damit eine Entscheidung des Supreme Court aus dem Jahr 1857, die den Nachkommen von Sklaven kein Recht auf die US-Staatsbürgerschaft gewährte.
Die American Civil Liberties Union und weitere Bürgerrechts-Organisationen kündigten bereits an, gegen das Dekret zu klagen, da es gegen die Verfassung verstoße. Bis eine endgültige Entscheidung über dessen Rechtmäßigkeit gefällt wird, dürften Jahre vergehen. Hinzu kommt, dass es Bidens Regierung nicht geschafft hat, wesentliche Änderungen an der Besetzung des Obersten Gerichtshofs wie begrenzte Amtszeiten und mehr Richterposten durchzubringen, so dass die von Trump durchgesetzte Dominanz erzkonservativer Richter erhalten bleibt.
Neben diesen weitreichenden Dekreten unterzeichnete Trump eine Reihe eher kosmetischer Vorhaben wie die Anweisung an die Verwaltungsbehörde General Service Administration, für die Verschönerung öffentlicher Gebäude zu sorgen, also eine Art großdimensionales »Unser Dorf soll schöner werden«. Kleinliche Rachefeldzüge fehlen ebenfalls nicht: Trump entzieht seinem während der ersten Amtszeit in Ungnade gefallenen Sicherheitsberater John Bolton jegliche Art von Zugang zu als geheim klassifizierten Informationen der Regierung. Ebenso wird es den ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern ergehen, die einen offenen Brief unterzeichnet hatten, in dem eine Affäre um ein Laptop von Bidens Sohn Hunter – die von Trump genutzt wurde, um im Wahlkampf 2020 Bidens Integrität anzuzweifeln – als russische Desinformation bezeichnet wurde.
Gesundheitsberater Anthony Fauci und Generalstabschef Mark Milley
Dass Trump tatsächliche oder vermutete Illoyalität bestrafen würde, war seit Monaten deutlich. Joe Biden hatte daher diejenigen vorsorglich begnadigt, an denen sich Trump in seinen hasserfüllten Wahlkampfauftritten besonders abgearbeitet hatte, wie Bidens ehemaligen Gesundheitsberater Anthony Fauci und die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, die für die Untersuchung der Vorgänge rund um den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar zuständig gewesen waren. Dazu kommt auch der ehemalige Vorsitzende des Generalstabs der US-Streitkräfte, Mark Milley, der sich während der letzten Tage von Trumps erster Amtszeit dessen besonderen Zorn zugezogen hatte, als er China gegenüber versicherte, dass es keinen Atomangriff auf das Land geben werde.
Dass Trump sich nicht um seine Rache bringen lassen möchte, zeigt eine weitere Ankündigung: Das FBI und andere Behörden sollen ihre Erkenntnisse über Fauci veröffentlichen – dabei ist nicht einmal klar, ob es überhaupt welche gibt. Fauci hatte sich gegenüber der Washington Post zurückhaltend dankbar über seine Begnadigung geäußert – er benötige sie nicht, da er sich zu keinem Zeitpunkt strafbar gemacht habe.
Während Biden in einer selbst unter Demokraten hoch umstrittenen kurzfristigen Aktion seine eigene Familie bis hin zu seinen Geschwistern und deren Ehepartnern begnadigte, müssen andere sich vor Trumps berüchtigter nachtragender Art hüten. Etwa Lew Parnas, der einstige Vertraute von Anwalt Rudy Giuliani, der dabei geholfen hatte, die unter Rechten populäre Verschwörungslüge von Bidens Ukraine-Verbindungen zu kreieren, aber nach seiner Verurteilung zu einer Haftstrafe über die Umtriebe von Trump und seinen Gefolgsleuten auspackte; oder Michael Cohen, jahrelang Trumps Mann fürs Grobe, der in seinen »Disloyal« betitelten Memoiren 2020 unter anderem die anrüchigen Geschäftspraktiken seines ehemaligen Vorgesetzten offenlegte. Auch die Richter und Staatsanwälte, die an den Prozessen gegen Trump mitgewirkt hatten und die von ihm in Reden immer wieder bedroht worden waren, erhielten keine Begnadigung.
Enttäuschte Capitol-Polizei
Dafür begnadigte Trump die meisten seiner Anhänger, die am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beteiligt gewesen waren und sich dabei strafbar gemacht hatten. Die über Stunden währenden Ausschreitungen, bei denen 140 Polizisten teils schwer verletzt wurden, waren maßgeblich von den rechtsextremen Proud Boys sowie den Oath Keepers mit geplant worden. 14 daran Beteiligte waren anschließend zu langen Haftstrafen bis zu 22 Jahren verurteilt worden. Selbst manche Republikaner wie der neue Vizepräsident J. D. Vance sowie die künftige Generalstaatsanwältin Pam Bondi hatten darauf gedrängt, dass die Rädelsführer und besonders gewalttätige Personen von der Amnestie ausgenommen werden, schließlich sieht sich die Republikanische Partei als fest an der Seite der Polizei stehend.
Entsprechend enttäuscht äußerten sich Beamte, die für den Schutz des Kapitols und der dort versammelten Abgeordneten zuständig gewesen waren. Nein, sagte einer, diese Entscheidung Trumps könne er nicht verstehen, denn im Nachhinein würden damit diejenigen legitimiert, die ihn und seine Kollegen nach dem 6. Januar immer wieder als Verräter gebrandmarkt und bedroht hatten. Einer Umfrage zufolge waren selbst unter den Anhängern der Republikaner 40 Prozent gegen eine Amnestie für die Kapitolstürmer.