23.01.2025
Der Essay »Das Würfelhaus« beschäftigt sich mit Architektur und Verdrängung des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit

Auf den Spuren des Verdrängten

Der Journalist Sebastian Moll versucht zu verstehen, wie aus einem von Hitler begeisterten Flakhelfer nach dem Krieg der brave Sozialdemokrat und engagierte Mitarbeiter einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft werden konnte, der sein Vater war.

In deutschen Familien wird der offiziellen »Erinnerungskultur« zum Trotz die Verstrickung von Angehörigen in den Nationalsozialismus immer noch gern beschwiegen. So war es auch in der Familie des 1964 geborenen Journalisten Sebastian Moll, der in einem Reihenhaus in einer Vorortsiedlung bei Frankfurt am Main aufgewachsen ist.

Kriegsaufzeichnungen, Landserhefte, Pornos

Nach dem Tod der Eltern stößt Moll beim Ausräumen des Elternhauses im Keller auf die Spuren des Verdrängten: Kriegsaufzeichnungen, Landserhefte, Pornos und Fotoalben. Eine Aufnahme zeigt den Vater, wie er »mit pomadig zurückgekämmtem Haar seine brandneue Wehrmachtsuniform voller Stolz präsentiert, vor Eifer platzend, sich in den Kampf um den Endsieg zu stürzen«, schreibt Moll in seinem Buch »Das Würfelhaus«.

Damit konfrontiert, versucht Moll zu verstehen, wie aus dem von Hitler begeisterten Flakhelfer nach dem Krieg der brave Sozialdemokrat und engagierte Mitarbeiter einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft werden konnte.

Moll versucht, den »Bruch in der Biographie« des Vaters mit Hilfe von Alexander Mitscherlichs »Die Unwirtlichkeit unserer Städte« und Klaus Theweleits »Männerphantasien« nachzuvollziehen. Theweleits Ausführungen zum faschistischen Männlichkeitskult öffnen ihm den Blick auf die Jugend seines Vaters.

Eine Aufnahme zeigt den Vater, wie er »mit pomadig zurückgekämmtem Haar seine brandneue Wehrmachtsuniform voller Stolz präsentiert, vor Eifer platzend, sich in den Kampf um den Endsieg zu stürzen«, schreibt Moll.

Dass das dabei ans Licht Kommende einerseits ein Individuum zeigt, andererseits aber gar nichts Besonderes ist, reflektiert Moll – motiviert durch die städtebauliche Leidenschaft des Vaters und die moderne Architektur des Elternhauses –, indem er die Geschichte seiner Familie mit der des Frankfurter Städtebaus parallelisiert. So zeigt er unter anderem daran, dass leicht reinzuwaschende Kacheln so häufig verwendet werden, das gesellschaftliche Bedürfnis nach Verdrängung.

»Das Würfelhaus« ist eine lohnende Lektüre, die das Gerede von der ach so gelungenen Aufarbeitung Lügen straft.


Buchcover

Sebastian Moll: Das Würfelhaus. Mein Vater und die Architektur der Verdrängung. Insel-Verlag, ­Berlin 2024, 207 Seiten, 24 Euro