23.01.2025
Zwischen Frankreich und Algerien knirscht es erheblich

Retailleaus Retourkutsche

Nach einem gescheiterten Abschiebeversuch fordert der französische Innenminister eine Überprüfung des bilateralen Abkommens von 1968, das die Bedingungen des Aufenthaltsrechts für algerische Staats­angehörige in Frankreich regelt.

Paris. Zwischen Frankreich und Algerien knirscht es politisch und diplomatisch erheblich. Bruno Retailleau von der konservativen Partei Les Républicains, seit September französischer Innenminister, wetterte am 10. Januar, das nordafrikanische Land wolle »Frankreich erniedrigen«.

Am Tag zuvor hatten die algerischen Behörden einen aus Paris abgeschobenen Staatsbürger ihres Landes, Boualem Naman, der auf Tiktok unter dem Namen »Doualemn« bekannt ist, am Flughafen in Algier mitsamt seiner Eskorte aus französischen Polizisten einfach nach Frankreich zurückgeschoben. Dabei lag ein gültiger algerischer Pass vor, den ein Konsulat dem in Montpellier lebenden Naman ausgestellt hatte, was Algerien zu dessen Aufnahme verpflichtet ­hätte. Retailleau forderte daraufhin, Frankreich müsse »alle ihm zur Ver­fügung stehenden Mittel nutzen«, um die algerische Regierung zur Räson zu bringen.

Bei Frankreichs Haltung zu Algerien geht es meist um die Regelung der Einwanderung, aber immer auch um Bestrebungen zur Schuldabwehr mit Blick auf Frankreichs blutige Kolonialgeschichte in Algerien. 

Die Beziehungen zwischen beiden Ländern waren jahrzehntelang ohnehin kompliziert, haben sich aber seit Juli verschlechtert, als Präsident Emmanuel Macron Algerien verärgerte, weil er einen Plan für die Autonomie der Region Westsahara unter marokkanischer Souveränität anerkannte; Algerien unterstützt die Unabhängigkeitsbewegung der früheren spanischen Kolonie. Ein weiterer Grund für den Konflikt zwischen Frankreich und Algerien ist der französisch-algerische Schriftsteller Boualem Sansal, der im November am Flughafen von Algier festgenommen worden war und dessen Antrag auf Freilassung Anfang Dezember abgelehnt wurde.

Bei Frankreichs Haltung zu Algerien geht es meist um die Regelung der Einwanderung, aber immer auch um Bestrebungen zur Schuldabwehr mit Blick auf Frankreichs blutige Kolonialgeschichte in Algerien. Bereits seit ­Retailleaus Amtsantritt im September vergangenen Jahres steht das französisch-algerische Abkommen vom Dezember 1968 zur Debatte, das damals von den Staatspräsidenten Charles de Gaulle und Houari Boumédiène unterzeichnet worden war; es wurde seitdem mehrfach überarbeitet und angepasst, zuletzt 2001.

Retailleau fordert, das französisch-algerische Abkommen aufzukündigen

Das Abkommen unterliegt internationalem Recht und hat somit Vorrang vor dem französischen Recht. Es regelt den Aufenthalt von bereits nach Frankreich eingereisten algerischen Staatsangehörigen, erleichtert ihnen die Ausübung eines selbständigen Berufs (nicht hingegen einer abhängigen Beschäftigung) sowie die Legalisierung nach langjährigem Aufenthalt. Das Abkommen wird in Frankreich oft als die Quelle von Privilegien dargestellt, die Algerier besserstellen als andere Ausländer. Allerdings ist die Rechtsstellung algerischer Staatsangehöriger in einigen Bereichen auch unvorteilhafter als die nach dem Regelwerk von Ceseda, dem Gesetzbuch für Einreise und Aufenthalt von Ausländern.

Am Sonntag bekräftigte Retailleau im Mittagsinterview beim Sender BFM TV seine bereits früher erhobene Forderung, das französisch-algerische Abkommen einseitig vollständig aufzukündigen. Zwischen dem innenpolitisch immer repressiver agierenden Regime unter dem im September wiedergewählten Präsidenten Abdelmadjid Tebboune in Algerien einerseits und Frankreich auf der anderen Seite ist der kritische und oppositionelle Teil der ­algerischen und binationalen Öffentlichkeit eingekeilt.

Dazu kommt noch, dass einige in Frankreich lebende algerische Influencer in den sozialen Medien aggressive Hetze gegen oppositionelle Landsleute betreiben, von denen seit dem 3. Januar sieben festgenommen wurden. Ihnen wird Aufruf zur Gewalt und die Verbreitung von Terrordrohungen vorgeworfen.

Hetze gegen oppositionelle Algerier

Es begann mit einem Video des im westfranzösischen Brest ansässigen Youssef Aziria alias »Zazouyoucef«, in dem dieser die algerische Regierung dazu aufforderte, auf Oppositionelle zu schießen, wenn diese am 1. Januar auf die Straße gehen sollten, wie es Gruppen angekündigt hatten, die von der Massenprotesten 2019 hervorgegangenen Bewegung übriggeblieben sind.

Auch Naman wirft die französische Regierung vor, ein Video mit »Aufrufen zum Mord, Verherrlichung von Folter und antisemitischen Äußerungen« gegen alle Gegner des Regimes in Algier veröffentlicht zu haben. Seine Anwältin ­Marie David-Bellouard teilte wiederholt mit, die gegen ihn erhobenen ­Vorwürfe seien »aufgebauscht« und beruhten zum Teil auf falschen Übersetzungen.

Eine aus der algerischen Berberregion Kabylei stammende Oppositionelle bekräftigte gegenüber der Jungle World, Naman habe zumindest den kritischen Poeten Mohamed Tadjadit namentlich bedroht. Dieser sei am Freitag voriger Woche in Algerien festgenommen worden.