16.01.2025
Die Diskussion über das Bleiberecht sorgt bei syrischen Flüchtlingen in Deutschland für Unruhe

Abgeschoben in Ruinen

Unmittelbar nach dem Sturz des syrischen Diktators Bashar al-Assad setzte in Deutschland eine Debatte über das Bleiberecht Geflüchteter aus Syrien ein. Dass das Land vom Krieg ruiniert ist, spielt dabei offenbar keine Rolle. Viele in Deutschland lebende Syrer machen sich deshalb Sorgen.

Geisterstädte, nichts als Geisterstädte. In weiten Teilen Syriens prägen Ruinen die Stadtbilder. Strom- und Wasserversorgung sind vielerorts schon lange zusammengebrochen. Sophie Bischoff ist gerade in Syrien und schildert der Jungle World ihre Eindrücke. Sie gehört der deutsch-syrischen Solidaritätsinitiative »Adopt a Revolution« an, die im Zuge der syrischen Revolution entstand und seit Anfang 2012 die Zivilgesellschaft in ihrem Kampf gegen die Diktatur des mittlerweile gestürzten syrischen Präsidenten Bashar al-Assad unterstützt. »Aktuell haben wir 16 Projekte im Land, die wir unterstützen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um Frauen- und zivile Zentren«, erzählt Svenja Borgschulte, Mitglied der Geschäftsführung von Adopt a Revolution, der Jungle World. Mit dem Sturz Assads ist ihre Arbeit keineswegs beendet.

Lange war es für die Organisation schwierig, die Projekte zu begleiten. Bischoff ist zum ersten Mal seit 14 Jahren wieder im Land. In Damaskus empfinde sie die Lage als relativ ruhig, berichtet sie. Die Infrastruktur sei in der Hauptstadt weitgehend intakt. In anderen Landesteilen sehe es hingegen ganz anders aus. Sie ist über Homs bis nach Idlib gereist. »Immer wieder bin ich durch komplett zerstörte Städte gefahren«, erzählt sie.

»Ich werde seit dem Sturz Assads häufiger gefragt, ob ich zurückgehen will.« Mamad Mohamad lebt seit 28 Jahren in Deutschland und ist mittlerweile deutscher Staatsbürger

Unmittelbar nach dem Sturz des Diktators wurden in Deutschland Forderungen laut, die forderten, syrische Geflüchtete zurückzuführen. Keine Partei der sogenannten demokratischen Mitte stimmte nicht mit ein. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) löste zu Beginn des neuen Jahres mit ihrem Vier-Punkte-Plan eine Debatte über den Schutzstatus von Syrern in Deutschland aus. Dieser sieht unter anderem die Aufhebung von Schutzgewährungen vor.

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) unterschied im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, wer seiner Meinung nach bleiben darf und wer nicht: »Diejenigen, die hier arbeiten, die können wir gut gebrauchen. Diejenigen, die hier nicht arbeiten, werden – wenn das Land sicher ist – wieder in die Sicherheit zurückkehren können oder auch müssen.«

Große Angst unter Syrern in Deutschland

Der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, behauptete bereits Mitte Dezember: »Zwei Drittel arbeiten nicht, das sind ganz überwiegend junge Männer und von denen können viele zurück.« Seiner Meinung nach hätte man die Diskussion sogar schon früher führen können – unabhängig von den jüngsten politischen Veränderungen offenbar: »Wir sind ohnehin schon seit langer Zeit der Auffassung, wenigstens in den Norden hätte man schon längst zurückkehren können, jetzt auch in andere Teile des Landes.« Tatsächlich haben nach dem Anschlag in Solingen im August zahlreiche Landesinnenminister bereits dafür plädiert, zumindest Straftäter ­wieder nach Syrien abzuschieben.

Mamad Mohamad lebt seit 28 Jahren in Deutschland und fühlt sich hier­zulande zu Hause. Obwohl er mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hat, mache ihn die derzeitige Debatte wieder zu einem »Syrer«, erzählt er der Jungle World. »Ich werde doch tatsächlich seit dem Sturz Assads häufiger gefragt, ob ich zurückgehen will.« Er frage dann immer, wohin er denn zurückgehen solle. Er sei Deutscher und habe in Sachsen-Anhalt seine Heimat gefunden.

Als Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt bekommt er tagtäglich mit, was die politische Debatte in Deutschland anrichtet. Unter Syrern in Deutschland sei die Angst sehr groß, abgeschoben zu werden. Immer wieder wendeten sich Menschen an ihn, die wissen wollen, ob ihr Aufenthaltsstatus in Deutschland gefährdet sei. Darauf habe er allerdings keine Antwort, so Mohamad.

»Man traut dem System alles zu«

Denn noch ist unklar, in welche Richtung sich die Debatte entwickelt. »Man traut diesem System hier mittlerweile alles zu«, sagt Mohamad frustriert. Seine Nichte absolviere gerade eine Ausbildung zur Frisörin. Auch sie sei verunsichert, ob sie eine Perspektive in diesem Land habe. Allein aus Sachsen-Anhalt berichtet er von knapp 20 Personen, die bereits freiwillig ausgereist seien.

Jamil Alyou kam 2015 nach Deutschland, hat ebenfalls mittlerweile einen deutschen Pass und arbeitet als Sozialarbeiter in Dortmund, wo er zudem im Integrationsrat aktiv ist. Im Gespräch mit der Jungle World zeigt er sich verwirrt über die derzeitige Diskussion. Gerade junge Syrer haben seiner Meinung nach viel zu dieser Gesellschaft beizutragen. Stattdessen aber verbreite man gerade vor allem Angst. »Das ist doch eindeutig zum Nachteil dieser Gesellschaft?« fragt Alyou erstaunt.

Ihn habe es schockiert, dass gefühlt wenige Minuten nach Assads Sturz eine Debatte über die Rückführung syrischer Geflüchteter losbrach. »Nun werde ich tagtäglich gefragt, ob ich nicht auch zurückgehen wolle«, erzählt er ein wenig resigniert. Die Frage komme aber eben nicht nur aus »AfD-Kreisen«. Dabei will er einfach in Dortmund bleiben, in der Stadt, die er als seine Heimat bezeichnet.

»Das Land ist komplett verwüstet«

Nach dem EU-Austritt Großbritanniens, so Alyou, seien doch auch nicht alle hier lebenden Briten gefragt worden, ob sie gehen wollen, geschweige denn, dass sie ausgewiesen wurden. Eine Rückführung in ein vom Bürgerkrieg verwüstetes Land scheint hingegen kein Problem zu sein. Er meint, der gesellschaftliche Mehrwert Geflüchteter müsse erkennbar sein, doch er warnt zugleich: »Es darf jedoch nicht zu einer reinen Kosten-Nutzen-Debatte kommen.«

Ähnlich fassungslos ist Samer al-Hakim-Reichel. 2009 kam er zum Studium nach Deutschland und hat schon lange einen deutschen Pass. »Die Debatte über eine Rückführung der syrischen Flüchtlinge entbrannte wenige Stunden nach Assads Sturz. Das Land ist aber komplett verwüstet und 90 Prozent der Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze«, gibt er im ­Gespräch mit der Jungle World zu bedenken. Er glaubt, dass es hierzulande kein ernsthaftes Interesse an Syrien gebe. Deshalb müssten die Syrer seiner Ansicht nach deutlicher auftreten und über die Lage in ihrem Heimatland berichten. In ein total zerstörtes Land mit ungewisser Zukunft dürfe man keine Menschen abschieben. Er selbst war seit 15 Jahren nicht mehr in seinem Herkunftsland. Dem steht nun dann seines deutschen Passes immerhin nichts mehr Weg.

Für viele Syrer ist es allerdings nicht gesichert, ob sie nach einem Besuch in ihrem Herkunftsland wieder problemlos nach Deutschland zurückkehren können. Deshalb fordert Adopt a Revolution die »Einrichtung einer Sonderregelung für syrische Geflüchtete für Reisen nach Syrien«. Viele sehen mit dem Sturz des Diktators eine Möglichkeit, endlich wieder nach Syrien zu reisen und ihre Verwandten zu besuchen, zu denen sie teils seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten. Aber die derzeitigen Diskussionen verunsichern viele – und das nicht ganz zu Unrecht.

Entwarnung gilt nicht für alle

Für diese Situation hat Pro Asyl speziell ein paar Hinweise für syrische Geflüchtete veröffentlicht. Zwar schreibt der Verein, man solle sich »nicht von den aktuellen politischen Debatten in Deutschland verunsichern lassen«. Viele aktuell erhobene Forderungen seien realitätsfern und weder rechtlich noch praktisch umsetzbar. »Es wird kaum schnelle und schon gar keine Massenabschiebungen nach Syrien geben«, schreibt Pro Asyl auf seiner Internetseite. Die meisten Syrer hätten einen festen Aufenthalt in Deutschland und seien somit nicht ausreisepflichtig.

Doch die Entwarnung gilt nicht für alle. »Reisen in das Heimatland können vom Bundesamt für ­Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Anlass genommen werden, ein Widerrufsverfahren einzuleiten, um den Schutzstatus der Menschen zu widerrufen.« Im »schlimmsten Fall« könne dies für diejenigen ohne deutschen Pass zum Verlust des Aufenthaltsrechts in Deutschland führen. Nur wenn die Reise »sittlich zwingend geboten« sei, müsse kein Widerruf des Schutzstatus befürchtet werden.

 »Man blendet einfach aus, dass es schon eine neue Generation gibt. Kinder, die hier geboren wurden und auch schon zehn Jahre alt sind. Die hier zur Schule gehen und in ihr Leben starten.« Samer al-Hakim-Reichel

Für welche Reisen dies jedoch gilt, darauf gibt es bislang keine eindeutige Antwort. Und so bleibt ein Restrisiko. Pro Asyl rät deshalb »Menschen, die kurzfristig nach Syrien zurückkehren wollen oder müssen«, dringend, sich zuvor »individuell und unabhängig beraten zu lassen, welche aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen eine Reise nach Syrien für sie im schlimmsten Fall haben könnte.«

Al-Hakim-Reichel macht das wütend. Ihm scheint es so, als sei es federführenden deutschen Politikern völlig gleichgültig, wie kaputt Syrien ist und wie es mit dem Land weitergeht, solange man möglichst viele Syrer bald wieder loswerde. Er kritisiert die Ignoranz dafür, dass sich viele Syrer hier ein Leben aufgebaut und vielfach eine Karriere begonnen haben.

Daher fordert er eine Rückkehrzusicherung, damit man Syrien besuchen könne. Mohamad findet die derzeitige gezielte Verunsicherung speziell Kindern gegenüber ungerecht. »Man blendet einfach aus, dass es schon eine neue Generation gibt. Kinder, die hier geboren wurden und auch schon zehn Jahre alt sind. Die hier zur Schule gehen und in ihr Leben starten.«