09.01.2025
Birgit Lohmeyer aus Jamel im Gespräch über die dörfliche Neonazi-Szene

»Wir haben die ganze Nacht durchgewacht«

Im kleinen mecklenburgischen Dorf Jamel wohnen zahlreiche Rechtsextreme. Dort organisieren Birgit und Horst Lohmeyer seit 2007 das Festival »Jamel rockt den Förster«, um der politischen und kulturellen Dominanz Rechtsextremer in der Region entgegenzuwirken. In der Silvesternacht wurde das Ehepaar von Neonazis bedroht. Die »Jungle World« sprach mit Birgit Lohmeyer über den Vorfall und die Lage in Jamel.

Was ist Ihnen in der Silvesternacht passiert?
Gegen Mitternacht begann im Dorf verstärkt die Silvesterböllerei. Kurz nach zwölf bemerkten wir, dass gezielt auf unser Haus geschossen wurde, dabei wurde auch ein Fenster getroffen. Wir sahen dann, dass sich Leute auf unserem Grundstück befanden. Wir gingen raus und sprachen sie an. Einer schoss mit einem Feuerwerkskörper gezielt auf Horst, wir wurden mit »Sieg Heil, ihr Fotzen« beschimpft.

Wie haben Sie darauf reagiert?
Wir riefen die Polizei, die auch schnell kam. Die Leute waren da aber schon verschwunden. Als die Polizei wieder weg war, kamen erneut zwei vermummte junge Männer und ein etwa zwölfjähriges Mädchen auf unser Grundstück. Das Mädchen versuchte, zum Glück erfolglos, mit einem Böller einen Materialstapel auf unserem Gelände anzuzünden. Wir mussten wieder die Polizei rufen, die uns lediglich riet, wir sollten uns doch einfach im Haus einschließen und abwarten. Dann haben wir die ganze Nacht durchgewacht.

»Die Gegend ist in den letzten Jahren gezielt von Rechtsextremen besiedelt worden, das macht sich auch in der Kommunalpolitik bemerkbar.«

Gab es Reaktionen auf den Vorfall?
Manuela Schwesig (SPD), die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, hat sich sofort bei uns gemeldet, auch andere Mitglieder der Landesregierung. Wir haben aus ganz Deutschland Unterstützungsangebote erhalten. Von der Gemeinde Gägelow, zu der Jamel gehört, haben wir nichts gehört. Da sind wir mit unserem Festival nicht gut angesehen. Das ist nicht verwunderlich, die Gegend ist in den letzten Jahren gezielt von Rechtsextremen besiedelt worden, das macht sich auch in der Kommunalpolitik bemerkbar. Für die einen sind wir Nestbeschmutzer, für die anderen schlicht der politische Gegner.

Wie verarbeiten Sie das Geschehen?
Im Moment sind wir noch sehr mit den Folgen des Angriffs beschäftigt. Die Polizei ermittelt, wir haben Pressetermine, das lenkt auch ab. Wir versuchen trotzdem, einen normalen Alltag zu haben. Das war eine traumatisierende Erfahrung, ähnlich dem Angriff 2015, als unsere Scheune niedergebrannt wurde. Dass bewusst auf einen geschossen wird, wenn auch nur mit Silvesterraketen, das macht Angst.

Wie bewerten Sie den Angriff politisch?
Das war nicht zu vergleichen mit den täglichen verbalen und nonverbalen Anfeindungen, denen wir sonst ausgesetzt sind. Es ist auch ein Resultat der allgemeinen gesellschaftlichen Situation, denke ich. Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung ist gesunken, natürlich auch bei den Faschisten, wo jetzt wieder junge Männer losziehen und Leute angreifen. Die Schläger aus den neunziger Jahren sitzen derweil zu Hause und feiern gemütlich Silvester und warten darauf, dass die Jugendlichen nach Hause kommen und von ihren Taten berichten.

Was kann man dagegen tun?
Nun, ich habe auch keine Patentrezepte. Aber wir dürfen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange schockiert auf die Rechten starren. Man sollte verbale und physische Angriffe nicht nur verurteilen, sondern wenigstens die Polizei rufen oder sogar einschreiten. Es bräuchte eine Politik, welche die leider verpufften Demonstrationen von Hunderttausenden Leuten gegen rechts im vergangenen Jahr konkret aufgreift, deren Teilnehmer:innen einbindet und sich nicht nur mit diesem vermeintlichen Beweis der Existenz einer »demokratischen Mitte« zufriedengibt.