Homestory #02/2025
Petitionen sind in Deutschland ein beliebtes Mittel politischer Partizipation; ganz unabhängig davon, wie viel Wirkung sie letztlich erzielen. Vielen geben sie ein wohliges Gefühl, ihre demokratische Pflicht erfüllt zu haben – ähnlich wie beim Wählengehen.
Wirkung zeitigen Petitionen wohl am ehesten, wenn sie verbreiteten Vorurteilen und abergläubischen Vorstellungen Ausdruck verleihen: So ist es dem noch amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach im vergangenen Jahr nicht gelungen, Homöopathie als Kassenleistung streichen zu lassen – selbstverständlich gab es eine Petition gegen seinen Plan.
»Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk.« Robert Habeck
Petitionen sind so beliebt, dass mittlerweile selbst ranghohe Politiker davon Gebrauch machen. »Elon Musk mischt sich aktiv in den deutschen Wahlkampf ein, um eine europafeindliche, teils rechtsextreme Partei zu unterstützen«, heißt es in einer Online-Petition von niemand anderem als dem grünen Spitzenkandidaten Robert Habeck, in der er fordert: »Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk.« Das gefiel dem Spiegel so gut, dass er das Zitat aufs Titelblatt klatschte.
Musk macht seit neuestem unverblümt Wahlwerbung für die AfD. Ort des Geschehens ist zumeist der Microblogging-Dienst X, von dem sich immer mehr User abwenden, seit Musk ihn gekauft hat. »Mittlerweile würde ich die App gerne löschen«, gibt ein Redaktionsmitglied der Jungle World zu. Trennen könne er sich von X derzeit allerdings nicht. Noch sei es nämlich möglich, dort Diskussionen zu verfolgen, die für große Medien zu kleinteilig seien.
Die Einschätzungen in Ihrer Lieblingszeitung hierzu sind ambivalent. »Die Debatten, die ich verfolgt habe, laufen eh immer nach dem gleichen Muster ab«, sagt ein anderer und kritisiert den »degoutanten Ton« bei X. Beidem stimmt der erstgenannte Kollege zu. Bei einem anderen beginnt das Problem schon viel früher.
X-spezifische Sprache
Er verstehe die X-spezifische Sprache nicht. Selbst wenn seine Kollegen etwas posteten, habe er Schwierigkeiten, ihnen zu folgen. Auch die Schwächen der Konkurrenzdienste scheinen für einige ein Grund zu sein, ihren X-Account noch nicht zu löschen. »Mit Bluesky werde ich nicht warm, finde ich langweilig«, so eine Kollegin. »Außerdem folgen mir da täglich mindestens acht neue Accounts von Onlyfans-Girls und US-Evangelikalen aus heiterem Himmel. Why?!«
Schließlich gibt es auch Abstinenzler: »Die krassesten Entgleisungen auf X und Co. bekomme ich von jüngeren Bekannten berichtet und bin dann immer heilfroh, dass ich das nicht sozusagen aus erster Hand erfahren musste.«
Was der IT-Blogger Chris Pirillo einst über den Vorgänger Twitter schrieb, die Plattform sei »ein großartiger Ort, um der Welt zu sagen, was man denkt, bevor man eine Chance hatte, darüber nachzudenken«, gilt für X umso mehr.