Sur l'eau
Unter dem Dach der Regattatribüne in Berlin-Grünau wurde jüngst das Wassersportmuseum Grünau eröffnet, genauer: wiedereröffnet, denn diese kleine sporthistorische Sammlung hat eine wendungsreiche Geschichte, die in die achtziger Jahre der DDR zurückreicht. Und ihr Sujet, der Wasserfahrsport, wie man ihn hier nennt, offenbart ohnehin noch mehr Facetten. Der etwas ungelenke Ausdruck wird verwendet, um Segeln, Rudern, Surfen, Motorboot- oder Kanusport zu erfassen und zugleich klarzumachen, dass es nicht um Schwimmen oder Wasserspringen geht.
Zwei große Räume gibt es in Grünau, einem Ortsteil des Bezirks Treptow-Köpenick, für die Dauerausstellung – plus einen derzeit leeren Raum für künftige Sonderschauen. Optisch dominiert der Bereich der Sporttechnik. Hier sind zwei Boote ausgestellt, unter anderem ein Klepper von 1936, Ruderblätter, ein halbes Surfbrett, viele Informationen zum Bootsbau, man sieht den Bug eines Papierbootes, das 1951 in der DDR von Schülern einer Oberschule gebaut wurde, und auch der Kopf eines Drachenbootes ist zu sehen. Mit Drachenbootrennen schafft es die Regattastrecke immer wieder in die Medien – abgesehen von sporadischen internationalen Wettkämpfen und der derzeitigen Diskussion über eine neue Berliner Olympiabewerbung für 2036 oder 2040.
Angefangen hat das Bötchenfahren auf Dahme, Spree und Havel mit den Hohenzollern, die sich Lustjachten bauen ließen, um mit großer Distanz höfischen Glanz den Untertanen zu demonstrieren und zugleich maritime Ambitionen Brandenburgs zumindest anzudeuten.
Leider kleiner, aber sehr aussagekräftig sind die Museumsabteilungen zu Wassersport als Gesellschaftsgeschichte und zu Menschen und Vereinen. Hier erfährt man etwas über den jüdischen Ruderclub »Undine«, den es in Grünau gegeben hatte, ehe die Nazis ihn 1938 verboten. Das Bootshaus riss sich die SA unter den Nagel. Es gab in Berlin noch weitere jüdische Wassersportvereine, »Welle-Poseidon« etwa, dessen Bootshaus auch enteignet wurde. »Welle-Poseidon« erhielt es erst 1996 zurück. Einer dieser jüdischen Ruderer wird in der Ausstellung kurz vorgestellt: Fritz Pfeffer, ermordet 1944 im KZ Neuengamme.
Es sind diese kurzen, wie beiläufig in die Ausstellung eingestreuten Informationen, die helfen, eine Technikfaszination, die vom Wassersport ohne Zweifel ausgeht, in die Gesellschaft zurückzuholen. So bemühen sich die Macher der Ausstellung auch darum, den Arbeiterwassersport in Grünau zu zeigen, ebenfalls werden die Anfänge und Entwicklung des Frauenwassersports behandelt.
Der Kern der Sammlung sind Objekte, die ein ruderbegeisterter Lehrer in der DDR privat gesammelt hat. Werner Philipp heißt er, er lebt in Grünau. 1980 fing er an, historische Ruderobjekte zu sammeln: Ruderblätter, Zeichnungen zum Bootsbau, Trikots, Wimpel et cetera. Mittlerweile wird die Sammlung auf etwa 3.000 Objekte geschätzt.
Kleines privates Museum
Nach 1990 baute er mit Schülern zusammen ein kleines privates Museum auf. Dessen Bestand ging 1996 an das Berliner Stadtmuseum, das den Umzug vom Bürgerhaus Grünau, das gar nicht unmittelbar am Wasser liegt, auf das Regattagelände bewerkstelligte. 2010 übernahm die Senatssportverwaltung beim Innensenator das kleine Liebhabermuseum und koppelte es an das Sportmuseum Berlin an.
Das ist zwar kaum bekannt, aber es existiert seit 1990 und verfügt vor allem über den Fundus der Sammlung für ein zentrales Sportmuseum der DDR. Das hätte irgendwann in den Neunzigern entstehen sollen, wenn es die DDR noch gegeben hätte. Weder mit der DDR noch ohne sie kam es über Jahrzehnte zu einem Sportmuseum, aber gegenwärtig wird unter der Tribüne des Maifeldes, unmittelbar gegenüber dem Eingang zur Waldbühne, in Berlin-Charlottenburg für eine Dauerausstellung gebaut.
Das kleine Wassersportmuseum in Grünau, das bereits eröffnet ist, baut vor allem auf Philipps’ Sammlung auf und ist nur in wenigen Teilen ergänzt durch die Objekte des Sportmuseums. Schon Themen wie Arbeitersport, Frauensport und jüdischer Sport waren im alten kleinen Museum berücksichtigt. In einem Museumsbericht, der 1992 in einem Band des Merve-Verlags erschien – Michael Glasmeier (Hg.): »Periphere Museen in Berlin« –, heißt es, dass neben der Erinnerung an bürgerlichen Sport auch die »proletarische Konkurrenz« thematisiert wurde – mit Einladungskärtchen und alten Fotos.
Ähnlich wurde auf der Ebene von kleinen Zufallsfunden an den Frauensport, genauer: an einen 1901 gegründeten Frauenruderclub erinnert. »Wegen ihrer auffälligen Erscheinung in Matrosenbluse, Pluderhosen und Ruderkappe werden sie von den Umstehenden ausgelacht«, heißt es in dem Aufsatz in besagtem Merve-Band, dessen Autor der Komponist Frieder Butzmann ist.
Wassersportmuseum als Heimatmuseum
Bislang hat das Wassersportmuseum viel von einem Heimatmuseum: Was in dieser Bucht der Dahme geschah, begrenzt die museale Erzählung. Nimmt man mehr in den Blick, wird die gesellschaftspolitische Dimension des Agierens auf dem Wasser wesentlich deutlicher. Angefangen hat das Bötchenfahren auf Dahme, Spree und Havel nämlich mit den Hohenzollern, die sich Lustjachten bauen ließen, um mit großer Distanz höfischen Glanz den Untertanen zu demonstrieren und zugleich maritime Ambitionen Brandenburgs zumindest anzudeuten. Eine besonders große Jacht ist die »Fridericus«. Die fuhr ab 1708 über hiesige Gewässer und ging 1716 an den russischen Zaren. Den Preußen war sie zu teuer.
Mit dem Erstarken der bürgerlichen Gesellschaft, ab etwa den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, war das Lustsegeln kein Privileg der Hohenzollern mehr. Etwa zwei Dutzend Lustschiffe kreuzten auf Berliner Gewässern. In diesem Umfeld entstand auch der Wassersport. Ein erster Ruderverein gründete sich 1835 in Stralau an der Spree; hier ruderten die Söhne der reicheren Berliner Gesellschaft. Andere Vereine folgten, alle bedienten die gleiche Klientel, was auch bedeutet: Nicht dabei waren Frauen, Arbeiter, das gemeine Volk.
Zuschauersport wurde sportliches Rudern erst ab den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Die erste öffentliche Regatta der Vereinigten Rudervereine fand am 27. Juni 1880 an der Oberspree statt. Und zwar immer noch elitär. Zu den führenden Persönlichkeiten des Berliner-Regatta-Vereins gehörte etwa Georg Büxenstein, dem eine der größten Buch- und Zeitungsdruckereien gehörte. Schon zwei Jahre nach der Premiere stiftete Kaiser Wilhelm I. einen »Kaiserpreis«, und ab 1894 kam der neue Kaiser, Wilhelm II., persönlich gerne bei den Regatten vorbei.
Ort nationalistischer Aufwallung
Im Jahr 1895 stiftete Wilhelm II. einen Wanderpreis ausschließlich für akademische Ruderer. Denn Rudern war elitär und männlich. Der 1883 gegründete Deutsche Ruderverband formulierte die Ausschlusskriterien noch schärfer als manch anderer damalige Sportverband: »Amateur ist jeder, der das Rudern nur aus Liebhaberei mit eigenen Mitteln betreibt oder betrieben hat und dafür keinerlei Vermögensvorteile in Aussicht hat oder hatte, weder als Arbeiter durch seiner Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient, noch in irgendeiner Weise beim Bootsbau beschäftigt ist.« Keine Arbeiter, keine Frauen.
Aber dennoch wurde Rudern populär und war als Zuschauersport auch für proletarisches Publikum interessant. Die jährliche Kaiserregatta zog bis zu 50.000 Menschen an, für die Grünau ein schönes Ausflugsziel darstellte. Nach 1918, also nach dem Sturz der Monarchie und der Novemberrevolution, kam es zu scharfen Auseinandersetzungen. Nicht nur in den sozialistischen Arbeitersport drängten viele Menschen, auch die elitären Rudervereine wurden gezwungen, ihren Amateurparagraphen etwas liberaler zu formulieren.
Doch die Entwicklung ging nicht nur in Richtung Demokratisierung und größere Teilhabe. 1922 fanden in Grünau auch die Ruderwettbewerbe der »Deutschen Kampfspiele« statt. Das war nicht nur eine Veranstaltung, die für deutsche Sportler Olympische Spiele ersetzen sollte (wegen des Ersten Weltkriegs war Deutschland dort bis 1928 ausgeschlossen), sondern die Kampfspiele verstanden sich auch stets als Ort nationalistischer Aufwallung. Solange »Feindtruppen« auf deutschem Boden stehen, verkündete der Deutsche Ruderbund, werde es in Grünau kein internationales Rudern geben.
Die Nazi-Spiele werden vergleichsweise wenig thematisiert, was man kritisieren kann. Aber in der Ausstellung wird etwa auf die »Köpenicker Blutwoche« verwiesen – ein Massaker, bei dem die SA 1933 mindestens 23 Menschen ermordete.
1930, als sich Berlin gerade für die Olympischen Sommerspiele 1936 beworben hatte, fand in Grünau zu Ehren des Internationalen Olympischen Komitees eine Bootsparade mit 600 Booten statt. Zur unmittelbaren Olympiavorbereitung des NS-Regimes gehörte die Ruder-Europameisterschaft 1935.
1936 trat Grünau in die Weltöffentlichkeit. Die Olympischen Ruder- und Kanuwettbewerbe 1936 sorgten dafür. Moderne Anzeigentafeln, temporäre Tribünen für 12.000 Besucher und dazu noch ein modernes Tribünengebäude, auf dem 2.400 Menschen Platz finden – all das wurde gebaut.
Unter dem Tribünendach ist nun das kleine Wassersportmuseum. Die Nazi-Spiele werden dort vergleichsweise wenig thematisiert, was man kritisieren kann. Aber in der Ausstellung wird etwa auf die »Köpenicker Blutwoche« verwiesen – ein Massaker, bei dem die SA 1933 mindestens 23 Menschen ermordete. Und zwar unmittelbar gegenüber den Regattaanlagen. Dazwischen liegt zwar die Dahme, was einen Besuch erschwert – und die Gedenkstätte zur Blutwoche liegt wiederum woanders –, aber gleichwohl ist es ein Hinweis darauf, dass sich in Grünau nicht nur unter der Regattatribüne die vielen Facetten der Wassersportgeschichte erkunden lassen. Das Sportmuseum Berlin hat dafür einen Audioguide erstellt – www.boote-bojen-pokale.de –, der nicht nur zum Spaziergang zu Bootshäusern, Anzeigentafel, Zielturm und Kassenhäuschen einlädt, sondern auch Aspekte wie die koloniale Vergangenheit thematisiert.