02.01.2025
Der Kanzlerkandidat Friedrich Merz passt zu einer konservativeren Union

Seine Zeit ist gekommen

In den späten Merkel-Jahren avancierte Friedrich Merz zum Hoffnungs­träger des rechten CDU-Flügels – dann scheiterte er zweimal beim Versuch, Parteivorsitzender zu werden. Doch inzwischen sind Partei wie Gesellschaft deutlich konservativer geworden. Der nächste Kanzler wird wohl Merz heißen.

Insgesamt fünf Jahre wartete der ewige Ersatztorhüter Michael Rensing geduldig darauf, endlich den als Titan titulierten Oliver Kahn bei Bayern München als Stammtorwart zu beerben. Kaum ein halbes Jahr lang durfte er dann für Bayern München im Tor stehen, als er den Stammplatz schon wieder verlor und abermals als Ersatztorhüter die Bank drücken musste. Obwohl fünf Jahre bereits recht viel sind in einem Sportlerleben, geht es natürlich noch viel extremer. Prinz Charles wartete ganze 70 Jahre lang, bis er endlich als König ran durfte beziehungsweise musste.

Ein anderer, der schon sehr lange die Bank drückt und bereits mehr als ein halbes Politikerleben darauf wartet, endlich zum Zug zu kommen, ist Friedrich Merz. Der 69jährige Jurist machte früh und für CDU-Verhältnisse – vor allem in der damaligen Zeit – jung Karriere. Mit 34 zog er ins EU-Parlament ein, mit 39 in den Bundestag. In seinem damaligen Wahlkampfspot zeigte er sich als gutgelaunter Vertreter der Provinz. »In Bonn glauben die Leute sogar, im Sauerland sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht«, sagt der grinsende junge Merz in die Kamera und dreht sich dann zu einer Fuchspuppe um, die ihm tatsächlich »Schlaf gut, Friedrich« wünscht. Dass aber »im Sauerland die Leute CDU wählen«, das sei kein Vorurteil, schließt Merz den Spot ab.

Im Mai verabschiedete die CDU ein neues, konservativeres Grundsatz­programm, um sich endgültig von der Merkel-Ära zu verabschieden.

In den späten neunziger Jahren, in der Endphase der Kanzlerschaft Helmut Kohls (CDU), gelang Merz in der Bundestagsfraktion ein rasanter Aufstieg. 1998 wurde er zunächst stellvertretender Fraktionsvorsitzender und im Jahr 2000 Fraktionsvorsitzender – das Amt übernahm er von seinem Mentor und Förderer Wolfgang Schäuble. Wie auch sein politischer Ziehvater war Merz ein wirtschaftsliberaler Austeritätsverfechter, der geringe Staatsausgaben und niedrige Steuern wollte. Seine damalige Forderung nach der Steuererklärung auf dem Bierdeckel ist auch heute noch sprichwörtlich.

Allerdings fiel er auch immer wieder durch ausgesprochen konservative gesellschaftspolitische Ansichten auf – um nicht zu sagen, aus der Zeit. Bis heute hängt ihm zum Beispiel nach, dass er 1997 gegen die Aufnahme der Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch stimmte.

Tatsächlich war es auch ein bisschen komplizierter: 1996 stimmte Merz nämlich für einen Antrag der Union, der eine solche Aufnahme ebenfalls vorsah, aber in einem Punkt von dem Antrag von 1997 abwich. Der Unterschied war, dass der Antrag der Union eine Widerspruchsklausel enthielt, der zufolge eine Strafverfolgung nicht stattfinden darf, wenn das Opfer dem widerspricht. Weil diese Klausel im Gesetzentwurf von 1997 fehlte, stimmte Merz dagegen.

Hölzernheit bei Frauenrechten

Dass viele Menschen inzwischen davon überzeugt sind, dass Merz tatsächlich dagegen war, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, zeigt, wie gut er als Feindbild der Linksliberalen funktioniert. Allerdings ist die Unbeholfenheit, mit der Merz noch Jahre später versuchte, seine damaligen Beweggründe zu erklären, auch symptomatisch für die Hölzernheit, mit der er alle Themen angeht, die mit Frauenrechten zu tun haben. Es ist spürbar sein wunder Punkt.

Bizarr war auch Merz’ Antwort im Jahr 2020 auf die Frage der Bild-Zeitung, was er von einem schwulen Bundeskanzler halten würde. »Die Frage der sexuellen Orientierung, das geht die Öffentlichkeit nichts an«, antwortete er großzügig. »Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht –, ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion.« Als sogar sein Parteikollege Jens Spahn kritisierte, dass bei Merz offenbar »die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie« sei, wies Merz das als »bösartig konstruierten Zusammenhang« zurück.

2002 konnte Merz noch gemeinsam mit der CSU und der Männerseilschaft vom sogenannten Andenpakt – einem informellen Netzwerk einflussreicher westdeutscher CDU-Politiker – eine Kanzlerkandidatur Angela Merkels verhindern. Doch Edmund Stoiber (CSU) verlor die Wahl knapp, Gerhard Schröder (SPD) konnte weiter mit den Grünen regieren. Danach triumphierte Merkel endgültig. Sie sorgte dafür, dass Merz kurz darauf sein Amt als Fraktionsvorsitzender verlor – und damit den CDU-internen Machtkampf gegen sie. 2004 schied er ganz aus dem Fraktionsvorstand aus und 2009 trat er nicht einmal mehr zur Bundestagswahl an.

Der Barbarossa von Blackrock

Merz widmete sich stattdessen einer lukrativen Karriere als Wirtschaftsanwalt und wurde Mitglied oder Vorsitzender in fast einem Dutzend Aufsichtsräten. Am bekanntesten ist seine Zeit von 2016 bis 2020 als Aufsichtsratsvorsitzender beim deutschen Ableger von Blackrock Asset Management, dem größten Vermögensverwalter der Welt.

In dieser Zeit entwickelte sich in weiten Teilen der Unionsbasis ein regelrechter Kyffhäuser-Mythos um Merz, vor allem im von der zentristisch-opportunistischen Merkel arg gebeutelten konservativen Flügel. So wie Kaiser Friedrich Barbarossa der Legende nach im Berg schlief, um in Zeiten der größten Not wieder aufzuwachen und Deutschland zu retten, so wartete Friedrich Merz bei Blackrock auf seine triumphale Wiederkehr, um die Union von Merkel zu befreien und wieder richtig konservativ zu machen.

2018 dann, nach Merkels Rückzug aus dem Amt der CDU-Parteivorsitzenden, schien es endlich so weit zu sein. Merz bewarb sich als CDU-Vorsitzender – und verlor gegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Das schlug dann schon eine erste erhebliche Delle in den Mythos Merz. Als die glücklose Kramp-Karrenbauer bereits 2020 das Handtuch warf, probierte es Merz erneut. Und scheiterte wieder, diesmal gegen Armin Laschet.

Viele in der CDU wollten Merz nicht als Vorsitzenden

Seine beiden von Pannen gezeichneten Kandidaturen für den Parteivorsitz zeigten nicht nur, dass Merz als Politiker offenbar etwas eingerostet war, sondern auch, dass er all die Jahre des Wartens nicht genutzt hatte, um sich vorzubereiten und in der CDU eine Machtbasis aufzubauen.

Die Partei, die doch angeblich so lange und sehnsüchtig seiner geharrt hatte, wollte ihn offenbar partout nicht als Vorsitzenden. Vor allem auf der Funktionärsebene gab es in der Union viele Politiker, die unter Merkel Karriere gemacht hatten und wenig Interesse an einer konservativen Wende unter dem Außenseiter Merz hatten. Erst als es nach der krachenden Wahlniederlage 2021 kaum eine andere Möglichkeit mehr gab, kam er als eiserne Reserve der Partei zum Zug.

Nachdem er den Parteivorsitz übernommen hatte, verzichtete er darauf, einen offenen Machtkampf gegen die »Teile des Partei-Establishments« anzuzetteln, denen er noch 2020 öffentlich vorgeworfen hatte, sein politisches Comeback verhindern zu wollen. In einer Partei wie der CDU ist der Parteivorsitzende kein Alleinherrscher. Sogar im Sommer 2024 musste Merz sich noch in einem internen Machtkampf gegen zwei starke Konkurrenten durchsetzen, um Kanzlerkandidat der Union zu werden. Neben dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) war das der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, der sich als liberale und gemäßigtere Alternative zu Merz präsentierte.

Konservativere Gesellschaft, konservativere CDU  

Doch Merz setzte sich schließlich durch. Inzwischen scheint die gesamte Partei mit dem Vorsitzenden versöhnt. Im Mai verabschiedete die CDU ein neues, konservativeres Grundsatzprogramm, um sich endgültig von der Merkel-Ära zu verabschieden. Es enthielt ein Bekenntnis »ohne Wenn und Aber« zur »Leitkultur« als »Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit« und forderte eine Rückkehr zur Wehrpflicht und eine härtere Asylpolitik.

Nennenswerten Dissens gab es deshalb nicht in der Partei. Dieser Kurs – und damit Merz – passt inzwischen einfach zu gut zur Union – und zur deutschen Gesellschaft, die selbst immer konservativer wird.

Im Wahlkampf steht Merz nun vor Herausforderungen, die seinen inhaltlichen und ideologischen Neigungen durchaus gelegen kommen. Auf der einen Seite muss er sich von Bundeskanzler Olaf Scholz abgrenzen, den die SPD im Wahlkampf als Friedensfürst zu verkaufen versucht. Davon setzt sich Merz ab, indem er sich zum Beispiel für eine Nato-Aufnahme der Ukraine ausspricht.

Neben Habeck wirkt Merz wie der Storch im Salat

Auf der anderen Seite muss er sich von Robert Habeck und den Grünen abgrenzen. Die schlechte Wirtschaftslage dürfte Merz dabei in die Hände spielen. Die Union versucht derzeit, sich als Beender der als wirtschaftsfeindlich dargestellten Klimapolitik der Grünen zu präsentieren.

Dabei könnte Merz durchaus Probleme mit Habeck als konkurrierendem Kanzlerkandidaten bekommen. Neben dessen unrasierter, friesisch-herber Ökolässigkeit, die zwischen Jever-Werbung, ZDF-Vorabend-Arztserie und einer WG-Party von Philosophie-Erstsemestern changiert, wirkt Friedrich Merz unweigerlich wie der Storch im Salat. Aber wer weiß, vielleicht hilft ihm das bei den deutschen Wählern ja auch.

Alles in allem wirken Merz‘ Aufgaben in diesem Wahlkampf lösbar. Die Union kann derzeit Umfragen zufolge mit mehr Stimmen rechnen als SPD und Grüne zusammen. Wenn er bis zum Wahltermin keine groben Fehler macht, dürfte Merz in ein paar Monaten zum ältesten Bundeskanzler seit Konrad Adenauer gewählt werden.