02.01.2025
Henryk Gericke, Schriftsteller und einstiger Ost-Punk, im Gespräch über Punk in der DDR

»Punk hat vom Skandal gelebt«

Punk in der DDR war zwar nicht verboten, aber wirklich erlaubt war er auch nicht. Bereits das äußere Erscheinungsbild der Punks war der Staats­­sicherheit Grund genug, die oftmals Minderjährigen zu ­schikanieren oder gar zu inhaftieren. Keine andere Jugendbewegung war in der DDR stärkeren Repressalien ausgesetzt. Die »Jungle World« sprach mit dem Schriftsteller und ehemaligen Ost-Punk Henryk Gericke.

Du hast nachträglich für die DDR-Punks den Slogan »Too much future« geprägt. Was meinst du damit?
Dein Lebensweg in der DDR war vorgezeichnet. Im Grunde genommen war klar, wie dein Leben aussieht. Und wenn man jung ist, empfindet man das als zweimal lebenslänglich. Dem haben wir etwas entgegengesetzt, indem wir uns neu erfunden haben.

Worin unterschied sich Punk in der DDR von Punk in anderen Ländern?
Also, das Tolle ist ja eigentlich, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt. Dieser Moment der Erweckung durch die Musik, der hat sich überall gleich abgespielt; sich eben selbst von der Leine zu lassen, empfundene Fesseln zu sprengen, wie auch immer die aussahen. Nur unmittelbar danach ging der Weg auseinander.

Inwiefern?
In Westeuropa ging es gegen den sogenannten Ausverkauf durch die Industrie. Davon waren wir weit entfernt. Bei uns ging es darum, sich gegen den Staat zu behaupten und nicht unbedingt gegen eine Verwertungsindustrie.

»Politisiert wurden wir, weil wir kriminalisiert wurden, und nicht andersherum.«

Würdest du also sagen, Punk in der DDR war von Beginn an politisch?
Nein, dafür war man zu jung. Politisiert wurden wir, weil wir kriminalisiert wurden, und nicht andersherum. Zunächst einmal war Punk in der DDR Popkultur. Darüber wird kaum gesprochen. Wenn man über Punk in der DDR redet, wird fast reflexhaft mit der Repressionsgeschichte eingesetzt. Wir waren 13, 14 oder 15. In dem Moment war Punk der heiße Scheiß. Und wenn du das ausleben wolltest, dann bist du automatisch mit der Gesellschaft und mit dem Staat aneinandergeraten.

Und die Stasi hat keine andere Jugendkultur so intensiv betreut wie die Punks?
Ja. Wobei man sagen muss, dass auch die Jugendkulturen zuvor schwer auf die Kappe bekommen haben.

Warum also gerade die Punks?
Weil sie in ihrer Ablehnung am leichtesten zu verorten waren. Schon durchs Äußere sind sie noch krasser aufgefallen als die Blueser mit ihren langen Haaren, ihren Fleischhemden und ihrem verlotterten Aussehen. Punk war einfach schriller und auffälliger. Und die Nervosität war Anfang der achtziger Jahre noch eine ganz andere als in den Siebzigern, in denen es eine kurze Zeit der Entspannung gab. Das war spätestens mit der Ausbürgerung von Wolf Biermann vorbei. Vermutlich spielte auch das eine Rolle.

Das war im November 1976. Wieso wurde die Situation noch angespannter, nachdem einer der bekanntesten Regimegegner ausgebürgert worden war?
Weil es daraufhin große Proteste von Künstlern gab. Die Biermann-Ausbürgerung ist vermutlich eine der größten Zäsuren überhaupt in der DDR. Und man darf nicht vergessen, dass Anfang der achtziger Jahre für alle, die Einblick hatten, klar war, dass die Nummer wirtschaftlich nur noch gegen die Wand geht. Die Unzufriedenheit stieg rasant und ein Ausdruck dafür war, dass es ’84 eine erste riesige Ausreisewelle gab. Die Nervosität im Machtapparat ist nicht zu unterschätzen. Und jemand, der Angst kriegt, beißt um sich.

Und genau in der Zeit kam Punk?
Naja, die frühesten Anfänge waren so ’80, würde ich sagen.

War die Repression zu irgendeinem Zeitpunkt besonders stark?
Es gab einen signifikanten Anstieg ’81 bis ’83, da wurden viele volljährig und die haben sie sofort zum Wehrdienst eingezogen. Normalerweise war es so: Wenn man unliebsam war und aufgefallen ist, wurde man zunächst zurückgestellt – und erst eingezogen, sobald man eine Familie hatte, weil es dann besonders wehtat. Bei den Punks war es anders. Die wollten sie aus dem Straßenbild haben.

»Sie haben die anfängliche Punkbewegung, um mal im Sprachgebrauch der Staatssicherheit zu bleiben, zersetzt. Das ist ihnen durchaus gelungen. «

Das war auch die Zeit, in der die meisten Konzerte stattgefunden haben. 1984 gab es einige Bands dann schon gar nicht mehr. War die Stasi mit ihrer Repression also erfolgreich?
Die frühe Punkszene war weitestgehend zerschlagen. Viele waren im Gefängnis, etliche sind aus dem Gefängnis in den Westen abgeschoben worden. Für etliche war es auch ausgereizt. Und man darf nicht unterschlagen, auch wenn es nicht in die Geschichtsschreibung passt, dass man sich mit dem Staat arrangieren musste, wenn man irgendwas studieren wollte. Das heißt, es gab genügend Leute, die sich dann, und ich meine es gar nicht wertend, angepasst haben. Es gab Anpassungsbewegungen, um in irgendeiner Weise weiterzukommen.

Also war die Stasi erfolgreich …
Jein. Sie haben die anfängliche Punkbewegung, um mal im Sprachgebrauch der Staatssicherheit zu bleiben, zersetzt. Das ist ihnen durchaus gelungen. Aber sie haben nicht begriffen, dass Energie nicht verlorengeht.

Wie meinst du das?
Die Mitglieder von Namenlos beispielsweise haben über ein Jahr für Texte wie »Nazis wieder in Ostberlin« gesessen. Aber die haben sich wieder zusammengetan, nachdem sie entlassen wurden.

Die haben später sogar mit der Band Wartburgs für Walter ein paar Konzerte in Polen gespielt. Sind viele DDR-Punkbands im Ausland aufgetreten?
Die kann man an einer Hand abzählen; genauso Bands, die mal im Westradio liefen. Ein anderes Beispiel sind Paranoia, die in Budapest gespielt haben.

Müllstation haben ja einen Brief an den Sender NDR2 geschrieben und sind dann im Westradio gelaufen. Dass der Brief nicht abgefangen wurde …
Das ist eine gute Frage. Müllstation waren, wenn nicht die erste, so eine der ersten DDR-Punkbands, die im Westradio liefen. Es gab noch andere, zum Beispiel Restbestand aus Magdeburg. Sehr obskure Geschichte. Die habe ich sogar erst durchs Westradio kennengelernt.

Du hast mal geschrieben, in Punk sei der Verlust seines radikalen Anspruchs von Beginn an eingeschrieben. Was meinst du damit?
Punk hat vom Skandal gelebt. Du kannst nicht ewig einen Skandal auf den nächsten häufen. Die Leute gewöhnen sich dran. Auch Punk wurde irgendwann zum Teil des Straßenbilds und war kein Skandal mehr. Heute dreht sich keiner mehr nach einem Punk um. Man muss den Skandal immer weiter radikalisieren und zuspitzen. Und das geht nur bis zu einem bestimmten Punkt. Der ist irgendwann überschritten. Dadurch ist für mich auch das Ende von Punk dem Anfang irgendwie immer eingeschrieben gewesen. Für viele war Punk ein Transitraum, durch den sie, ohne es zu wissen, gegangen sind, um irgendwo anders anzukommen.

Es gab Versuche, Punks als Nazis darzustellen, um sie gesellschaftlich zu isolieren und noch mehr Wut gegen die Punks zu erzeugen.
Ja, immer, wenn in der Presse über Punk berichtet wurde, was ja wirklich selten geschah, wurden die Punks mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht!

Um das Image loszuwerden, gab es den Versuch einer Kranzniederlegung einiger Berliner Punks im ehemaligen KZ Sachsenhausen …
… zum Gedenken an Erich Mühsam …

… die verhindert wurde, oder?
Dann sind sie aber mit dem Kranz zur Ehrenwache Unter den Linden und haben ihn dort letztendlich unter den Augen der Touristen abgelegt. Die DDR wollte die Punks ja immer aus dem Stadtbild weghaben. Sie wären also klüger beraten gewesen, wenn sie das in Oranienburg hätten passieren lassen als im Stadtzentrum von Ostberlin.

»Ich erinnere mich an ein Konzert, wo unter anderem Schleimkeim und Sendeschluss gespielt haben. Da haben die Skins sich die jungen Punks rausgesucht. (...) Die haben sich die Kleinen geholt und die im Seitenschiff der Kirche zusammengehauen.«

Tatsächlich wurden einige Punks irgendwann Naziskins. Wie hast du das erlebt?
Punk war nicht länger ein Schockelement. Die einzige Möglichkeit, die es noch gab, war, sich rechts vom Staat zu verorten. Das begann so ’83. Ich erinnere mich an ein Konzert, wo unter anderem Schleimkeim und Sendeschluss gespielt haben. Da haben die Skins sich die jungen Punks rausgesucht. An die alten haben sie sich nicht rangetraut. Das waren ja teilweise Kumpels, aber eben auch Typen, die wussten, wie man sich prügelt. Die haben sich also die Kleinen geholt und die im Seitenschiff der Kirche zusammengehauen.

Und niemand ist eingeschritten?
Nein. Das war so früh, dass man das noch gar nicht begriffen hat.

War Gewalt in der Punkszene generell präsent?
Irgendwo werden die Punks in der DDR allen Ernstes als »radikale Demokraten« beschrieben, die alles gemeinschaftlich entschieden hätten. Das ist hanebüchener Unsinn. Gerade in Berlin war die Szene sehr hierarchisch. In jeder Clique, egal ob Punk oder nicht, gibt es die Coolen, die weniger Coolen und die total Uncoolen. Im Punk hat sich das nochmal potenziert. Die Gewalt­anteile waren ja ohnehin im Punk­rock angelegt. Ein paar Dessauer Punks kamen mal nach Berlin und dachten, alle Punks sind Brüder. Die waren ganz schnell ihre Lederjacken los. Die sind verprügelt worden, als sie die nicht rausrücken wollten. Das ist ein Punkt, der kaum beschrieben wird, weil Punk immer so verklärt wird. Man spricht immer über das Gewaltpotential des Staats gegen Punk. Aber Gewalt innerhalb der Szene hat durchaus eine Rolle gespielt.

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Henryk Gericke ist Schriftsteller, Herausgeber und Galerist

Henryk Gericke ist Schriftsteller, Herausgeber und Galerist. Er ist 1964 in Ostberlin geboren und gehörte der DDR-Punkbewegung an. Von 1982 bis 1983 war er Sänger der Band The Leistungs­leichen. In seinem neuesten Buch »Tanz den Kommunismus« porträtiert er die Punkbands der DDR; zudem betreibt er die Vinyl- und Kassettenedition »Tapetopia – GDR Underground Tapes 1980–90«, in der er DDR-Underground-Bands nach über 30 Jahren wiederveröffentlicht.

Bild:
Anja Lange