Jungle+ Artikel 12.12.2024
Nicholas Birman Trickett, Experte für die russische Ökonomie, im Gespräch über die russische Kriegswirtschaft

»Nur die Rüstungsindustrie wächst noch«

Immer deutlicher zeigen sich in der russischen Kriegswirtschaft Krisenerscheinungen. Die »Jungle World« sprach mit dem Wirtschaftsexperten Nicholas Birman Trickett darüber, wie der Krieg der russischen Wirtschaft schadet und warum Präsident Wladimir Putin trotzdem an seinem Kurs festhält.

Im Jahr 2023 wuchs die russische Wirtschaft um 3,6 Prozent, in diesem Jahr voraussichtlich zwischen drei und vier Prozent. Gleichzeitig steigt die Inflation, der Rubel verliert an Wert und die russische Zentralbank sieht sich gezwungen, den Leitzins immer weiter zu erhöhen. Handelt es sich also um einen Boom oder um eine Krise? Was ist los mit der russischen Wirtschaft?
Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten, dass das Bruttoinlandsprodukt den Wert aller in einer Nationalökonomie produzierten und verbrauchten Güter darstellt, aber es sagt nichts darüber aus, ob Wachstum auch nachhaltig oder langfristig positiv ist. Seit 2022 hat der russische Staat astronomische Summen für den Krieg ausgegeben. Die Industrieproduktion ist gestiegen. Die Wachstumsrate im verarbeitenden Gewerbe betrug jedoch in der Spitze nur zehn Prozent im Vergleich zu 2021 und ging ausschließlich auf die gestiegenen Militärausgaben und die Rüstungsproduktion zurück. Im Frühjahr stagnierte die russische Industrieproduktion und geht seitdem langsam wieder zurück.
Natürlich haben die Militärausgaben auch Teile der zivilen Wirtschaft angekurbelt. Aber insgesamt geht das Wachstum auf die Produktion von Waffen zurück, und es ist von weiterhin hohen Staatsausgaben abhängig.

Aber steigen nicht auch die Löhne?
Das wird oft überbewertet. Ja, einigen Arbeitnehmern geht es finanziell besser – insbesondere denjenigen, die sich zur Armee gemeldet haben. Auch die Familien der Gefallenen oder Verwundeten bekommen hohe Bonuszahlungen. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass der allgemeine Lebensstandard gestiegen wäre. Es gab nur geringe Investitionen in die Konsumgüterproduktion, das Wachstum der vergangenen Jahre hat sich nicht in steigenden Importen niedergeschlagen, stattdessen sind Wohnkosten gestiegen, und im Dienstleistungsbereich ist die Inflation am größten.

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