Liebeskummer, Ausfluss und nichts weiter
Auf dem Instagram-Kanal »Mädelsabende« gehe es um »Themen, die Frauen bewegen«. So stellt Funk, das sogenannte Content-Netzwerk von ARD und ZDF, das hauseigene Format auf der Website vor. Was in früheren Zeiten die Rubrik »Dr. Sommer« in der Zeitschrift Bravo war, die sich mit ungelenken Zeichnungen an Jungen und Mädchen gleichermaßen richtete, will heutzutage für die weibliche Hälfte des Publikums »Mädelsabende« sein, nur eben auf Instagram mit pastellfarbenen Kacheln.
Der Kanal tritt der Selbstdarstellung zufolge an, um in der »oberflächlichen Instagram-Welt« mit »gut recherchierten Inhalten« zu reüssieren. Die Beiträge sollen leicht verständlich, sowie informativ sein und werden mit freundlichen Illustrationen, die fröhliche, junge Frauen zeigen, einer Followerschaft von derzeit immerhin 352.000 Menschen bereitgestellt.
Schmerzen beim Sex
Wer seine Eltern in jungen Jahren nicht fragen will, ob es normal ist, grünen Ausfluss zu haben, findet auf der Seite möglicherweise eine Antwort und geht anschließend hoffentlich zur Gynäkologin. Man findet Informationen über Endometriose, verschiedene Verhütungsmethoden und Auskünfte darüber, was zu tun ist, wenn man Schmerzen beim Sex hat. Es geht auch um Freundschaften, Beziehungen, Single-Sein, um Einvernehmlichkeit und um das Grenzensetzen.
Wie früher Leserbriefe anonym an die Bravo geschickt wurden in der Hoffnung, die eigenen Sorgen würden in der nächsten Ausgabe besprochen, beantwortet »Mädelsabende« körperliche, psychische und soziale Fragen, die zu stellen sich die eine oder andere vielleicht nicht trauen würde. Sympathische junge Frauen vermitteln die Inhalte. Themenblöcke sind in Highlights auf der Seite hinterlegt und können so gezielt aufgesucht werden: Sexting, Krankmeldung, Nacktheit, Oktoberfest – ein ganzer Katalog steht zur Verfügung. So weit, so unschuldig.
»Ohne körperliche und psychische Gewalt gäbe es mehr Power auf dem Arbeitsmarkt und weniger Kosten für Arbeitsunfälle!« Mädelsabende
»Mädelsabende« holt die pubertierende Generation gut ab, das belegt die hohe Zahl an Followern. Darauf, dass das Format den feministischen Anspruch einlöst, der zuhauf auf der Seite herbeizitiert wird, wartet man allerdings vergebens. Warum sollte es auch? Dass ein öffentlich-rechtlicher Anbieter kaum zum Ziel haben wird, die »Mädels« mit politischer Theorie zum Zusammenhang zwischen dem Kapital und dem Wert eines Menschenlebens, beziehungsweise dem Wert einer Frau, auszustatten, liegt auf der Hand. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass junge Menschen über Dinge wie Etatkürzungen und Austerität informiert werden – und das, obwohl kürzlich sogar die Maus aus der »Sendung mit der Maus« beziehungsweise die Maus-Statue vor dem WDR-Funkhaus in Köln entführt wurde, um auf die geplanten Kürzungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk hinzuweisen.
Doch es gibt auch politischen Themen, die sich zwischen Fragen wie »Ist Pupsen vor meinem Freund okay?« und »Bist du mit einem Energievampir befreundet?« mischen. Beispielsweise wird im Story-Highlight »Gegen Rassismus« zunächst auf Rassismus als Alltagsphänomen hingewiesen, um dann, anstatt in die Tiefe zu gehen, einen Beitrag mit mehreren Slides zum Thema »Rassismus am Arbeitsplatz« zu teilen. Dort findet man eine Liste antirassistischer Maßnahmen für Unternehmen und Vorschläge, was man als Kollegin tun kann, um Betroffene am Arbeitsplatz zu unterstützen. Das kann für Betroffene sozusagen als Erste-Hilfe-Maßnahme unterstützend sein, genau dort hört das Angebot aber auf – und lässt die gesellschaftlichen Ursachen im Dunkeln.
Strukturelle Gewalt gegen Frauen
Dass »Mädelsabende« vielleicht noch ein wenig Nachhilfe in Sachen politischer Bildung für junge Menschen benötigt, zeigte ein Posting vom 24. November, das mittlerweile gelöscht wurde. Am 19. November hatte das Bundeskriminalamt das Lagebild zu Gewalt gegen Frauen veröffentlicht. Der Bericht zeigt: Im Jahr 2023 wurde fast jeden Tag eine Frau getötet, außerdem erlitten täglich etwa 140 Frauen häusliche Gewalt, und jede Stunde wurden durchschnittlich mindestens zwei Frauen Opfer einer Sexualstraftat. Zahlreiche Seiten auf Instagram und Tiktok griffen die Zahlen auf und berichteten darüber. Hilfsangebote wurden beworben, Geschichten von Betroffenen aufbereitet; man konnte den Zahlen kaum entkommen. Kurzzeitig schien es so, als seien zumindest in den sozialen Medien viele daran interessiert, der strukturellen Gewalt gegen Frauen mit einer angemessenen Ernsthaftigkeit zu begegnen.
Auch »Mädelsabende« verarbeitete die Zahlen zu einem eigenen Beitrag. Am 24. November, einen Tag vor dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, veröffentlichte man einen Beitrag, der eine Welt »ohne Gewalt gegen Frauen« phantasierte. Auf fünf Kacheln wurden bunte Zeichnungen präsentiert, die zeigten, wie die deutsche Gesellschaft von weniger Gewalt an Frauen profitieren könne. Bereits die zweite Kachel präsentierte eine Rechnung, aus der hervorging, dass in einer solchen Welt 18 Milliarden Euro mehr erwirtschaftet werden könnten.
»Ohne körperliche und psychische Gewalt gäbe es mehr Power auf dem Arbeitsmarkt und weniger Kosten für Arbeitsunfälle!« Und als wäre das nicht Anreiz genug dafür, Frauen nicht zu verletzen, gibt es gleich noch mehr Pluspunkte: Ganze 148 Millionen Euro ließen sich sparen durch weniger Polizeieinsätze, weniger Krankheitsausfälle und weniger Gerichtskosten. Man sollte die Daumen drücken, dass der gewalttätige Ehemann ein emsiger FDP-affiner Finanz-Nerd ist, der wahnsinnige Angst vor Staatsschulden hat – dann wäre eine weitere Frau dank »Mädelsabende« gerettet. Frei nach dem Motto: Jungs, hört auf mit dem Familiendrama, das Bruttoinlandsprodukt muss stimmen!
»Welcher (Kuschel-)Typ bist du?«
Es dauerte nicht lange und der Post erntete berechtigte Empörung. In den Kommentaren unter dem Beitrag äußerte man sich von offizieller Seite: Man habe sich wegen der Kritik in der Redaktion besprochen. Ganz wichtig sei ihnen zu betonen: »Gewalt an Frauen ist niemals in Ordnung und niemals zu rechtfertigen.« Man habe mit dem Gedankenspiel darauf hinweisen wollen, dass sich das Thema auf alle Bereiche der Gesellschaft auswirke. »Mädelsabende« rundete den Kommentar mit einem Dank für die Kritik ab und bat um einen respektvollen Austausch. Ein ärgerliches Missverständnis – man will eben doch nur über Themen reden, »die junge Frauen bewegen«.
Zwei Tage später wurde der Post endgültig gelöscht. In einer Story räumte man ein, dass die zitierten Quellen in Teilen ungenau gewesen seien; man habe auch nicht den Eindruck erwecken wollen, Menschenleben monetär aufzurechnen. Sodann widmete man sich getrost dem nächsten Thema: »Welcher (Kuschel-)Typ bist du?«
Damit reiht sich »Mädelsabende« in die Tradition eines entpolitisierten Feminismus ein, der viel Wert darauf legt, sich progressiv zu gerieren, inhaltlich aber wenig zu bieten hat. Vielleicht empfiehlt es sich, im Interesse der eigenen Wirtschaftlichkeit bei Themenschwerpunkten wie Liebeskummer und Ausfluss zu bleiben.