05.12.2024
Die kubanische Energiewirtschaft ist komplett marode

Im Dunkeln tappen

Regenerative Energieträger spielen in Kuba keine große Rolle, dabei hatte 2005 Fidel Castro persönlich zur »energetischen Revolution« aufgerufen. Die wurde jedoch verschlafen. Nun soll sich das ändern – unter prekären finanziellen Bedingungen.

»Wir beziehen Strom aus den Photovoltaik-Panels, Methangas aus der Biomasseanlage, die unsere Kühe versorgen – wir sind energetisch vollkommen autark«, sagt Chavely Casimiro. Die Frau Ende zwanzig ist Künstlerin und Handwerkerin und lebt auf der Finca del Medio, in Taguasco, in der Provinz Santi Spíritus. Sie trägt einen Cowboyhut, unter dem ein dicker Pferdeschwanz zum Vorschein kommt.

Ihr Vater José Antonio Casimiro González hat die rund zehn Hektar große Farm übernommen und in den vergangenen 20 Jahren komplett umgebaut. Aus dem einst baufälligen und wenig ertragreichen Hof ist ein kleines Idyll mit rund zwei Dutzend Kühen und einer Fülle von eigenen Produkten geworden.
Das weiß Chavely Casimiro genauso wie die gesamte Familie zu schätzen. »Gerade in den letzten Wochen, als auf der ganzen Insel Strom nur stundenweise oder gar nicht zu haben war, habe ich meinem visionären Vater im Stillen öfter gedankt«, sagt sie.

Am 17. Oktober kam es in Kuba erstmals zu einem kompletten Stromausfall. Experten wie der Kubaner Jorge Piñón, der an der Universität Texas lehrt, hatten ein solches Ereignis bereits vor zwei Jahren prognostiziert. Ausbleibende Investitionen haben das Energiesystem immer maroder werden lassen.

»Die großen Erdölkraftwerke sind 30 Jahre alt und älter, haben ihre Nutzungsdauer meist überschritten.« Omar Everleny Pérez, Ökonom aus Havanna

Der Stromausfall Mitte Oktober, der auf ganz Kuba für drei, teilweise vier und auch fünf Tage herrschte, war eine Folge zahlreicher Versäumnisse. Zum einen besteht ein chronischer Mangel an Erdöl, das benötigt wird, um die acht Kraftwerke mit insgesamt 20 Blöcken und einer Leistung von rund 2.600 Megawatt am Laufen zu halten. Zum anderen ist dieser Kraftwerkspark überaltert. »Die großen Erdölkraftwerke sind 30 Jahre alt und älter, haben ihre Nutzungsdauer meist überschritten«, so der Ökonom Omar Everleny Pérez aus Havanna. Zu lange habe die Regierung ihre Investitionen auf den Tou­rismus konzentriert, statt große Arbeitgeber wie die Zuckerindustrie zu erhalten und den Energiesektor der Insel zu modernisieren, sagt er.

Das sind bekannte Probleme der ­Inselökonomie und beide hat die Regierung in den vergangenen zwei Dekaden nicht in den Griff bekommen: Die Zuckerindustrie, einst der wichtigste Wirtschaftssektor der Insel, ist ökonomisch kaum mehr wahrnehmbar. Heutzutage muss das Land Zucker importieren, produziert werden kaum mehr als 250.000 Tonnen Rohrzucker im Jahr. Ein ökonomisches Desaster, denn der Zuckersektor hat auch ein erhebliches energetisches Potential. Aus der anfallenden Biomasse, dem Zuckerstroh und den ausgepressten Halmen, lässt sich viel Energie gewinnen.

Strom zu 95 Prozent aus fossilen Energieträgern

Das hat das kubanische Institut für Zuckerderivate (ICIDCA) schon in den neunziger Jahren nachgewiesen und Pilotanlagen für die Verstromung der Bagasse entwickelt, aus der sich nach damaligen Schätzungen rund 20 Prozent des Energiebedarfs der Inselbewohner generieren ließen. Doch das erste Kraftwerk auf Basis der bagazo genannten Zuckerrohrhalme wurde erst im Januar 2023 in der mit einer Kapazität von 60 Megawatt ausgestatteten Zuckerfabrik Ciro Redondo in der Provinz Ciego de Ávila eingeweiht. Fünf weitere derartige Anlagen sind zwar geplant, es stellt sich allerdings die Frage, woher das Geld dafür und für die Biomasse kommen soll.

Der auf der Insel erzeugte Strom stammt auch in diesem Jahr zu 95 Prozent aus fossilen Energieträgern. Gerade fünf Prozent entfallen auf regenerative Energien wie Wind, Biomasse, Sonne oder Wasserkraft. Ein energiepolitischer Offenbarungseid, denn 2005 hatte niemand Geringeres als der damalige Staatschef Fidel Castro zur »energetischen Revolution« aufgerufen.

Damals wurden in einem ersten Schritt alte Kühlschränke, Waschmaschinen und andere energieintensive Haushaltsgeräte durch moderne chinesische Gerätschaften ersetzt. Möglich machten das günstige staatliche Kreditprogramme. Zugleich erdachten Experten kubanischer Forschungsinstitute wie Cubaenergía Konzepte für die Nutzung regenerativer Energieträger.

Windparks könnten die Erdölkraftwerke ent­lasten

Eine erste Pilotanlage, der Demonstrationswindkraftpark in La Loma de Turiguanó, wurde 1998 installiert, allerdings mit lediglich zwei Windkrafträdern, die jeweils 225 Kilowatt generierten. Für mehr reichte das Geld nicht, erinnern sich die Experten des Vereins zur Förderung alternativer Energien in der Karibik Karen e. V., die von Berlin aus beraten und mit Ausbildung und kleineren Projekten an Ort und Stelle helfen. Doch das reichte oft nur für lokale und oftmals punktuelle Lösungen in abgelegenen Regionen. Der große Wurf blieb aus, obwohl Erfahrungen mit größeren Anlagen da sind.

Zwei von derzeit vier Windkraftparks stehen in Gibara, im Osten der Insel nahe Holguín – einer aus chinesischer, der andere aus spanischer Produktion. Davon profitiert die Kleinstadt, die seit Jahren auf einen Tourismusboom wartet. Die entsprechende Prognose dürfte auch der Grund sein, weshalb 2008 der erste von zwei Windparks dort errichtet wurde. Vor allem an der Küste und auf der Insel der ­Jugend könnten Windparks die Erdölkraftwerke ent­lasten, so schrieben Experten von Cuba­energía bereits 2005.

Doch damals hatte die politische Führung anscheinend nicht den Mut, die energetische Infrastruktur der Insel regenerativ zu erneuern. Um die latente Überlastung des Systems einzudämmen und die wiederkehrenden Stromabschaltungen zu reduzieren, wurde in kleine, dezentrale Generatorenparks investiert. Grupos electrógenos heißen die, und das hat auch eine Weile funktioniert. Allerdings laufen sie mit Diesel oder mit Erdöl, den Ausbau der regenerativen Energieerzeugung schob die politische Führung letztlich auf die lange Bank.

Verschärftes US-Embargo

Aus heutiger Perspektive ein gravierender Fehler, denn Lösungen im Kleinen, wie auf der Finca del Medio, mit Biogasanlagen oder Solarpanels, gibt es zwar, aber nur in abgelegenen Regionen oder dort, wo experimentierfreudige Menschen die Sache selbst in die Hand nehmen. Generell fällt der Regierung von Miguel Díaz-Canel die wenig innovative Investitionspolitik der vergangenen Dekaden auf die Füße. Immer öfter havarieren Kraftwerke und müssen repariert werden, immer häu­figer fehlt es sowohl an Ersatzteilen als auch an Personal.

»Das eine ist unter anderem auf das US-Embargo zurückzuführen, welches unter US-Präsident Donald Trump zwischen 2017 und 2021 maximal verschärft wurde«, meint ­Pavel Vidal, ein kubanischer Sozialwissenschaftler aus dem kolumbianischen Cali. Unter Trumps Nachfolger Joe Biden wurden die Restriktionen nur teilweise zurückgenommen. »Hinzu kommt die Abwanderung von Per­sonal, das den prekären Lebens- wie Arbeitsbedingungen auf der Insel gen USA entflieht«, so Vidal, der Kuba selbst 2012 verlassen hat, weil er dort für sich keine Zukunft sah.

Nicht weniger als 26 Solarparks seien derzeit im Bau; sie sollen den Anteil der regenerativen Energien von derzeit fünf Prozent auf 37 Prozent im Jahr 2028 steigen lassen.

Immerhin scheint die Regierung mittlerweile mit chinesischer und russischer Hilfe nachzurüsten. So gibt es Fortschritte bei der Nutzung von Photovoltaik. Bis 2028 sollen, so die offi­zielle Planung, 2.000 Megawatt in Solarparks generiert werden. Nicht weniger als 26 Solarparks seien derzeit im Bau, sagte Anfang Oktober Alfredo ­López Valdés, der Direktor der Unión Eléctrica, des staatlichen Versorgers auf der Insel. Sie sollen den Anteil der regenerativen Energien von derzeit fünf Prozent auf 37 Prozent im Jahr 2028 steigen lassen.

Das wäre ein riesiger Erfolg und wichtig für die Insel und ihre Bevölkerung. Das Projekt dürfte allerdings ­kreditfinanziert sein. Doch das wird die Bevölkerung kaum interessieren, denn die ist es leid, im Dunkeln zu sitzen.