Ein bisschen Frieden
Es könnte einer der schnellsten Aufstiege einer Partei in der bundesrepublikanischen Geschichte sein. Sollte nichts dazwischenkommen, wird das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bald in zwei Landesregierungen vertreten sein, knapp ein Jahr nach der Parteigründung.
Am Mittwoch vergangener Woche gaben die Brandenburger SPD und das BSW bekannt, dass sie sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt hätten. Eine Woche zuvor hatten CDU, BSW und SPD in Thüringen beschlossen zu koalieren.
Die dortige Regierungsbildung hatte bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt, weil es während der Verhandlungen zu Konflikten zwischen der Parteigründerin Sahra Wagenknecht und der Thüringer BSW-Spitze um die ehemalige Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf gekommen war.
Im thüringischen Koalitionsvertrag finden sich Forderungen des BSW wieder, etwa die nach einem Handyverbot an Schulen.
Es ging vor allem um die Frage der Unterstützung der Ukraine – diese zu beenden, ist ein zentrales Anliegen von Wagenknecht. Wolf hingegen hatte sich mit CDU und SPD auf einen Kompromiss geeinigt. Es sollte im Koalitionsvertrag festgestellt werden, dass es in der Frage von Waffenlieferungen Differenzen gebe. Gleichzeitig sollte betont werden, dass gemeinsam »eine diplomatische Lösung des Krieges« und ein Friedensschluss »im Sinne der Charta der Vereinten Nationen und des Budapester Memorandums« unterstützt würden.
Wagenknecht hatte das als »Fehler« kritisiert. Die BSW-Vorsitzende hatte im Sommer Bedingungen für eine BSW-Regierungsbeteiligung aufgestellt: Eine zukünftige Landesregierung müsse sich auf Bundesebene – etwa durch Initiativen im Bundesrat – gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland und für Verhandlungen mit Russland einsetzen.
Wagenknecht begrüßte den Koalitionsvertrag
In dem nun beschlossenen Koalitionsvertrag finden sich diese Punkte nicht. Zwar fällt 28mal das Wort »Frieden«, doch in der Substanz unterscheidet er sich kaum von dem ursprünglichen Kompromiss. Die Koalitionäre betonen, dass viele Menschen »in Sorge um die aktuelle geopolitische Lage« seien. Sie unterstützten deshalb »alle diplomatischen Bemühungen, den von Russland gegen die Ukraine entfesselten Angriffskrieg zu beenden«. Hinsichtlich der Waffenlieferungen für die Ukraine heißt es immer noch, man sei »unterschiedlicher Auffassung«.
Wagenknecht begrüßte den Koalitionsvertrag trotzdem. Wolfs Hausmacht in Thüringen war wohl groß genug, um zu verhindern, dass sich Wagenknecht durch bloße Anweisung durchsetzt. Eine andere Interpretation wäre, dass Wagenknecht den Konflikt schnell ruhigstellen wollte, um sich auf die bald anstehende Bundestagswahl konzentrieren zu können. Gescheiterte Koalitionsverhandlungen hätten diesem wohl eher geschadet.
Im Koalitionsvertrag finden sich einige Forderungen des BSW wieder, etwa nach einem Handyverbot an Schulen. In einer gemeinsamen Erklärung von Wolf, Wagenknecht und anderen BSW-Spitzenpolitikern reklamierte das BSW einen weiteren Erfolg für sich: Der Koalitionsvertrag legt fest, dass der Verfassungsschutz »strikt und ausschließlich seinen verfassungsgemäßen Aufgaben gemäß § 4 Thüringer Verfassungsschutzgesetz« nachkommen solle. Der Tatbestand der Delegitimierung des Staates, der vor allem auf Verschwörungstheoretiker und Pandemieleugner angewandt wird, lässt sich dort nur schwer einordnen. Das BSW rechnete es sich als Erfolg an, dass der Verfassungsschutz künftig nicht mehr »zur Einschränkung der Meinungsfreiheit tätig werden darf«.
Mit Russland verhandeln - und handeln
Im Brandenburger Koalitionsvertrag konnte das BSW in puncto Ukraine-Unterstützung etwas mehr durchsetzen. Mit Russland wolle man nicht nur verhandeln, heißt es dort, sondern bald auch wieder handeln: »Diplomatische Friedensbemühungen müssen auch die Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen zum Ziel haben.« Die »geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden« sehe man kritisch.
Es zeichnet sich zudem ab, dass das BSW in den Ländern mit dem Thema Gesundheitspolitik Wahlkampf machen will. So kündigten in Brandenburg BSW und SPD an, alle Krankenhäuser zu erhalten. Die Gesundheitspolitik sorgte auch für einen letzten Eklat in der noch amtierenden Landesregierung aus SPD, CDU und Grünen. Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) wollte sich am 22. November bei der Abstimmung im Bundesrat über die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) enthalten. Das ist üblich, wenn sich die Koalitionäre nicht einigen können: Nonnemacher und die Grünen waren für die Reform, die Brandenburger SPD lehnte sie ab.
Doch im letzten Moment entließ Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) Nonnemacher kurzerhand auf dem Flur des Bundesrats aus ihrem Amt. Angesichts entschiedener Ablehnung des Gesetzes durch die kommunale SPD-Basis, weil dieses zur Schließung von Krankenhäusern führen werde, und der Aussicht auf einen Koalitionspartner, der diese Position teilt, sah Woidke offensichtlich keine Notwendigkeit mehr, auf die Grünen Rücksicht zu nehmen. Lauterbachs Reform fand im Bundesrat trotzdem eine Mehrheit.
Förderung der lokalen Industrie
Einer der Schwerpunkte des Brandenburger Koalitionsvertrags ist die Förderung der lokalen Industrie, die durch die Russland-Sanktionen mit enormen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Die IG Metall begrüßte den Koalitionsvertrag denn auch als »positives Signal für die Brandenburger Industrie in diesen Zeiten«. So soll der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung nicht vorgezogen werden, wie es unter anderem die Grünen fordern, sondern erst 2038 stattfinden. Das Ziel der Wirtschaftsförderung hat für die Koalition im Zweifelsfall auch Priorität vor dem nach außen gekehrten Pazifismus. So soll die Rüstungsmesse ILA – die einzige Industriemesse in Ostdeutschland – auch in Zukunft vom Land finanziert werden.
Ein militärisches Thema war es auch, das zum ersten öffentlichen Streit innerhalb des Brandenburger BSW führte. Der BSW-Abgeordnete Sven Hornauf weigert sich, Dietmar Woidke zum Ministerpräsidenten zu wählen, solange der einer Stationierung des US-amerikanisch-israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 auf einem Bundeswehrstützpunkt in Südbrandenburg zustimme. Der Brandenburger BSW-Vorsitzende Robert Crumbach legte ihm daraufhin nahe, sein Landtagsmandat niederzulegen. Hornauf weigerte sich und deutete an, er werde aus der Fraktion austreten.
Derartige Konflikte dürfte es in nächster Zeit öfter geben. Viele der BSW-Landtagsabgeordneten in Thüringen, Brandenburg und Sachsen sind ehemalige Linkspartei- und SPD-Mitglieder. Sie stammen nicht aus einer Tradition politischer Fundamentalopposition, sondern eher des pragmatisch-sozialdemokratischen Mitregierens. Die Diskrepanz zwischen dieser Haltung und dem populistischen Gepolter, mit dem Wagenknecht und andere in der Partei den anstehenden Bundestagswahlkampf bestreiten dürften, könnte das BSW in nächster Zeit vor große Herausforderungen stellen.