05.12.2024
Stoyo ­Tetevenski, NGO Levfem, im Gespräch über Homosexuellenfeindlichkeit in Bulgarien

»Die Rhetorik richtet sich gegen die ›EU-Gays‹«

In Bulgarien wurde im Spätsommer ein Lehrverbot für Schulen erlassen, das alle nichttraditionellen Vorstellungen von Geschlecht und Identität umfasst. Vorbild sind ähnliche Gesetze in Ungarn, Georgien und Russ­land. Ein Gespräch mit Stoyo Tetevenski von der NGO Levfem über die weitverbreitete Homophobie in Bulgarien und die Ablehnung zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Im August stimmte das bulgarische Parlament mit großer Mehrheit einer von der putinfreundlichen und rechtsextremen Partei Wasrasch­dane (Wiedergeburt) vorgeschlagenen Änderung des Bildungsgesetzes zu. 159 Abgeordnete sprachen sich für ein Verbot der Verbreitung von »nicht traditionellen Orientierungen« und von Vorstellungen einer »vom biologischen Geschlecht abweichenden« Identität in Schulen aus. Was fällt darunter?
Die Definition im Gesetzestext bezieht sich auf vermeintliche »Propaganda« und »Werbung«. Das ist sehr ungenau. Alles könnte darunterfallen. Diesem Gesetz sind eine Menge Ereignisse vorausgegangen, die von Medien und rechtskonservativen Akteuren aufgebauscht wurden. Das sorgte für eine aufgebrachte Grundeinstellung in der bulgarischen Öffentlichkeit. Und was innerhalb dieses gesellschaftlichen Klimas alles als »Propaganda« oder »Werbung« gelten kann, haben wir bereits vor der Gesetzesänderung gesehen. Es war beispielsweise ein Aufreger, als ein Anmeldeformular für staatliche Kindertagesstätten ein »Elternteil 1« und ein »Elternteil 2« aufführten. Danach hieß es dann: »Wollt ihr, dass eure Kinder ein ›Elternteil 1‹ und ein ›Elternteil 2‹ haben oder eine Mutter und einen Vater?«

Welche Konsequenzen wird die Gesetzesänderung für den Unterricht haben?
Ich gehe davon aus, dass es vor Gericht bestraft werden könnte, wenn ein Lehrer über Homosexualität aufklärt – das könnte Konsequenzen bis zur Kün­digung haben. Wenn Diskussionen in Schulen über Homosexualität verboten sind, ist das bedenklich für die Demokratie. Dennoch denke ich nicht, dass das die wichtigste Folge des Gesetzes ist. Wir kennen ein ähnliches Gesetz zwar aus Russland und wissen daher auch, dass es ernste Konsequenzen für Menschen hat, die dagegen verstoßen. Gefährlicher ist aber die Normalisierung von Homophobie und Transphobie in der bulgarischen Gesellschaft. Und genau die fördert das Gesetz.

»Wir hatten in den vergangenen drei­­einhalb Jahren sieben Wahlen in Bulgarien, weil die Regierungs­bil­dung immer wieder scheiterte. Jedes Mal war Homosexualität eines der zentralen Themen im Wahlkampf.«

Schon jetzt ist die Situation queerer Teenager einer Studie der bulgarischen NGO Single Step zufolge dramatisch. Jeder zweite hatte demnach im vergangenen Jahr Suizidgedanken. Ein Viertel der Befragten berichtete von körperlichen Angriffen in der Schule. Was könnte noch unter diese Normalisierung fallen?
Das Gesetz wird auch als Vorwand in­strumentalisiert, um andere Menschen zu bedrohen. Wir vermuten, dass eine häufige Folge sein wird, queerfeindliche Online-Kampagnen zu ­starten oder Eltern für einen Protest zu versammeln – etwa für den Schutz der »traditionellen bulgarischen Familie«. Das Gesetz leistet Vorschub für ein homophobes gesellschaftliches Klima. Das ist nicht neu. Alltägliche homophobe Bemerkungen gibt es wohl überall auf der Welt. Aber hier sind sie normalisiert. Die Ablehnung der Istanbul-Konvention im Jahr 2018 hat das nochmals legitimiert.

Bulgarien hat die Konvention nicht ratifiziert, also das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Für Rechtskonservative ist der Schutz von Frauen wie auch von queeren Menschen beliebtes Angriffsziel. Wie äußert sich das in Bulgarien?
Queerness ist eines der größten politischen Themen. Es wird immer und immer wieder aufgegriffen. Wir hatten in den vergangenen dreieinhalb Jahren sieben Wahlen, weil die Regierungsbildung immer wieder scheiterte. Jedes Mal war Homosexualität eines der zentralen Themen im Wahlkampf. Die Schüler gehen nach Hause, hören queerfeindliche Desinformation im Fernsehen und wiederholen sie in der Schule. Genau das ist die normalisierte Homophobie, die wir hier haben. Es ist unerträglich geworden, sich als queere Person in Bulgarien auf offener Straße zu zeigen – selbst im Zentrum von Sofia. Die meisten Menschen, die zur Zielscheibe werden, sind sehr jung – Schüler, die von ihren eigenen Klassenkameraden angegriffen werden. Was wir auch gesehen haben: Viele Menschen, die nicht offen queer sind, werden zur Zielscheibe – schlicht, weil sie nach Meinung der Angreifer queer aussehen. Was das auch bedeutet: Wenn queere Jugendliche in Bulgarien ihre sexuelle Orientierung verstecken, müssen sie davon ausgehen, dass sie identifiziert und bedroht werden.

Hat die Gesetzesänderung auch Konsequenzen für eure Organisation?
Levfem ist eine linke feministische ­Organisation. Allein das ist schon sehr problematisch. Denn der allgemeine Diskurs ist konservativ. Raum für progressive Ideen gibt es kaum. Die gesellschaftliche Meinung richtet sich außerdem gezielt gegen NGOs und zivil­gesellschaftliche Organisationen, es gibt starke Ressentiments gegen vermeintlich US-finanzierte Initiativen. Homophobie und das Ablehnen einer vermeintlichen Gender-Ideologie werden von Politikern als zentraler Kampf angesehen. Hier werden grundlegende soziale und wirtschaftliche Fragen verhandelt. Der Kampf gegen das Recht auf queere Existenz versucht, neu zu definieren, wie wir als Gesellschaft insgesamt funktionieren – etwa in Bezug auf die Ungleichheit der Geschlechter, die Rolle der Frau innerhalb einer Familie, Nationalismus. Es ist politische Rhetorik gegen die »EU-Gays«. Und dabei wird ein Schwerpunkt auf Kampagnen gegen den NGO-Sektor gelegt. Der gemeinsame Vorwurf: Viele von ihnen würden »von außen« finanziert. Gleichzeitig beziehen ironischerweise sehr ­viele rechtsextreme und konservative Akteure in Bulgarien in Wirklichkeit selbst Geld aus dem Ausland, etwa von konservativen Geldgebern.

… so wie Kosta Stojanow von ­Wa­srasch­dane, der bis Ende 2022 Geschäftsführer einer lokalen NGO in der Schwarzmeerregion war, die EU-Fördermittel für kommunale Infrastrukturprojekte erhielt. In den Tagen und Wochen nach der Gesetzesänderung kam es zu Protesten?
Das Gesetz wurde innerhalb eines Tages verabschiedet, was sehr selten vorkommt. So war es zwar fast unmöglich, Widerstand zu organisieren. Aber wir haben es geschafft, innerhalb der ersten darauffolgenden Tage Demonstrationen zu organisieren. In den Wochen danach organisierten insbesondere Trans-Aktivisten mehrere Sitzstreiks. Was sich aber an den Protesten abermals gezeigt hat: Diejenigen, die Gewalt schürten und provozierten, waren Jungs im Teenager-Alter. Dabei handelt es sich um eine sehr große Gruppe, die durch die feindselige politische Rhetorik im Zusammenhang mit diesem Gesetz mobilisiert wurde. Dieser Diskurs ermutigt sie.

In Ungarn gibt es ähnliche homophobe Regelungen. In Georgien wurde kürzlich ein »Propaganda«-Gesetz verabschiedet, das die Rechte queerer Menschen beschneidet. Russland erließ 2023 gar ein Verbot der »internationalen LGBT-Bewegung« wegen »Extremismus«.
Wir sprechen hier definitiv von einer konservativen Welle, die verschiedene Länder erfasst. Jedoch stellen wir uns entschieden gegen die Annahme, es handle sich um ein rein osteuropä­isches Problem. Selbstverständlich ­sehen wir aber, dass die Konservativen in einigen osteuropäischen Staaten erfolgreicher sind, wenn es darum geht, Gesetze durchzusetzen.

In Italien sieht man ähnliche Entwicklungen. Die postfaschistische Regierung schränkte dort die Rechte gleichgeschlechtlicher Eltern ein, basierend auf Lücken in bestehenden Gesetzen. Was braucht es für Reak­tionen auf internationaler Ebene?
Schaue ich mir die internationalen Reaktionen auf die Gesetzesänderung hier in Bulgarien an, bin ich nicht zufrieden. Gleichzeitig glaube ich nicht, dass die Lösung darin besteht, dass die Europäische Union Sanktionen gegen Bulgarien verhängt. Das könnte zwar dabei helfen, dieses spezielle Gesetz loszuwerden, was in erster Linie positiv wäre. Aber wir stehen vor dem großen Problem, dass wir anfangen müssen, eine progressive internationale Koalition aufzubauen. Wir brauchen mehr ­internationale Zusammenarbeit. Nicht im Sinne von Regierungen, die andere Regierungen unter Druck setzen, sondern eher im Sinne einer sozialen Bewegung mit gemeinsamen Zielen, geeint durch den gemeinsamen und länderübergreifenden Kampf für sichere Abtreibungen und die Unterstützung der Rechte von queeren Menschen.

Stoyo Tetevenski

Stoyo Tetevenski ist ein queerer Aktivist für die linke feministische Initiative Levfem in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Er promoviert in Soziologie an der Universität Sofia mit dem Forschungsschwerpunkt Geschlecht und Sexualität im realsozialistischen Bulgarien. Tetevenski ist Mitglied des Sofioter Frauenkomitees, das Proteste und Veranstaltungen für die Geschlechtergleichstellung und die Rechte der Frauen organisiert.

Bild:
lefteast.org