05.12.2024
Bruce LaBruces Neuverfilmung von Pasolinis »Teorema« ist misslungen

Plakative Parolen

Der Filmemacher Bruce LaBruce hat weder sich noch Pier Paolo Pasolini einen Gefallen damit getan, »Teorema« unter dem Titel »The Visitor« als ermüdendes queeres Pamphlet neu zu verfilmen.

Neuauflagen großer Klassiker sind in der Regel ein riskantes Unterfangen – auch im Kino. Leider erfreuen sie sich immer wieder an Popularität, auch wenn sie nicht gelungen sind. Erst jüngst hat der italienische Regisseur Luca Guadagnino, der bereits Dario Argentos Giallo-Klassiker »Suspiria« hoffnungslos verhunzte, angekündigt, sich nun auch an »American Psycho« zu vergehen.

Und auch im queeren Nischenkino gibt es Neues von der cineastischen Wiederverwertung: Mit »The Visitor« versucht sich der kanadische Regisseur Bruce LaBruce an einer Neuinterpretation von Pier Paolo Pasolinis »Teorema« von 1968, in dem ein geheimnisvoller Gast das Leben einer großbürgerlichen Industriellenfamilie aus den Fugen geraten lässt, indem er zu allen Familienmitgliedern eine libidinöse Beziehung aufbaut – und dann ebenso plötzlich wieder abreist, wie er erschienen ist.

Bruce LaBruce, bekannt durch Underground-Filme mit Pornoanleihen wie »The Raspberry Reich« (2004), macht aus dem titelgebenden Besucher einen Einwanderer – der Film eröffnet mit Aufnahmen eines Hafengeländes, an dem ein Koffer angespült wird. Im Hintergrund sind fremdenfeindliche Radioansprachen zu hören, während sich der Koffer öffnet und aus ihm ein muskulöser, schwarzer Mann (Bishop Black) entsteigt.

Im Korsett der politischen Borniertheit erstickt der ganze Film und mit ihm alles, was »Teorema« einmal an Mehrdeutigkeit, Widersprüchen und Ambivalenzen eröffnet hat.

Der »Visitor« streift durch die Stadt und landet schließlich in der riesigen, luxuriösen Villa einer wohlhabenden Familie. Gemeinsam mit der Hausangestellten (Luca Federici) bereitet er für jene ein Abendmahl aus Blut, Urin und Exkrementen zu, das diese wie selbstverständlich in einer abstoßenden Ekelorgie verspeist. Derartige Szenen wurden bereits vor Jahrzehnten, als sie noch tatsächlich provozierten, inszeniert, unter anderem von Pasolini – heutzutage locken solche vermeintlichen Grenzüberschreitungen in der Regel weder die Kirche noch irgendwelche Zensurbehörden hinter dem Ofen hervor und haben ihren Stachel verloren.

Die Familie gibt sich derweil mit der Erklärung der Hausangestellten zufrieden, es handle sich bei dem Besucher um ihren Neffen – eine Einebnung des Rätselcharakters von Pasolinis »Teorema«, in dem der Gast ohne jene Begründung auftaucht und eben dadurch ein Symbol bleibt, das dessen Deutung dem Publikum überantwortet ist. Nach dieser pseudoprovokanten Ouvertüre unterteilt sich der Film in nach den Hausbewohnern benannte Kapitel, die mit grellen Schriftzügen und elektronischen Beats angekündigt werden und alle nach dem gleichen Schema ablaufen – der Verführung durch den Fremden.

Bemüht anstößige Ästhetik queerer Szene-Pornographie

Da ist zunächst das Hausmädchen, das von einem Mann in Frauenkleidern gespielt und nach anfänglicher Selbstzüchtigung wegen ihres Begehrens nach dem Gast von diesem mit einem Jesuskreuz anal pene­triert wird. Es folgen unter anderem eine Bondage-Session in einer überdimensionalen Einkaufstüte mit der Mutter (Amy Kingsmill), Spanking mit der bärtigen Tochter (Ray Filar) und ein ausgedehnter Dreier mit dem Vater (Macklin Kowal) und dem langhaarigen Sohn (Kurtis Lincoln). Das alles zu sehen – und man sieht es wirklich alles – ist genauso unangenehm und ermüdend, wie sich die Auflistung liest. Jede Erotik ersäuft in der bemüht anstößigen Ästhetik queerer Szene-Pornographie und von der sinnlichen Verwirrung in Pasolinis »Teorema« bleibt abgesehen von einigen oberflächlichen Zitaten nichts übrig.

Seinen Tiefpunkt erreicht »The Visitor« in den plakativen Parolen, die in greller Leuchtschrift während der Sexszenen eingeblendet werden. Von der »sexuellen Revolution des Proletariats« ist da die Rede, von »analer Befreiung«, von »offenen Grenzen und offenen Beinen«. Dazu kommen Hinweise, dass Sex keine Grenzen habe, es wird dazu aufgerufen, revolutionären Sex statt kolonialer Kriege zu betreiben, bevor dann die Parole »Black is beautiful« endgültig einen exotisierenden Kitsch beschwört, wie man ihn selbst in Kreisen queerer Antikolonialer kaum für möglich gehalten hätte.

Das ist alles so dermaßen daneben, dass man es mit viel gutem Willen für eine Persiflage der politischen Urteilskraft jener Szene halten könnte, würde ihr Bruce LaBruce nicht so durch und durch angehören. Nimmt man die Parolen hingegen ernst, laufen sie auf die Forderung nach einer sexuellen Unterwerfung des Westens durch den als unvermittelt und tierhaft triebfixiert halluzinierten »Globalen Süden« hinaus und sind darin an Rassismus und Zivilisationsverachtung schwer zu überbieten.

In diesem niederträchtigen Korsett der politischen Borniertheit erstickt der ganze Film und mit ihm alles, was »Teorema« einmal an Mehrdeutigkeit, Widersprüchen und Ambivalenzen eröffnet hat. Das beginnt schon mit den erwähnten Radioansprachen aus der Eröffnungsszene. Diese sind derart menschenverachtend – Migranten werden als Ungeziefer bezeichnet, das es auszurotten gelte –, dass man sie dieser Tage allenthalben in irgendwelchen neonazistischen Online-Piratensendern zu hören bekommen könnte. Mit den westlichen Migrationsdebatten haben sie nichts zu tun und das Bedürfnis, diese dennoch in die Nähe der antisemitischen Vernichtungshetze der Nationalsozialisten zu rücken, verrät mehr über das Innenleben des queeren Aktivistenregisseurs als über die Realität.

Verhältnis von kapitalistischer Produktion, bürgerlicher Vergesellschaftung und familiärer Triebökonomie

Hinzu kommt die innere Inkohärenz dieses verstiegenen Versuchs, aus Pasolinis Klassiker ein manifestartiges queeres Pamphlet zu zimmern und dem Angedeuteten, Sperrigen und Vagen die Eindeutigkeit politischer Gewissheiten entgegenzustellen. Denn abgesehen von den Wohnverhältnissen erinnert in der dargestellten Familie nichts an bürgerliche Zurückgenommenheit und Prüderie, wo doch der Cast bereits sorgfältig nach dem Gesichtspunkt einer Transgression der Geschlechtergrenzen ausgewählt wurde.

Wozu bedürfen diese Leute der Erschütterung durch die sexuellen Avancen eines ungebetenen Gasts, um ihnen abermals die queere Befreiung nahezubringen? Um diese noch einmal antikolonial zu wiederholen? Das sind Fragen, an denen man das Inter­esse verloren hat, bevor sie überhaupt gestellt werden. Nichts haben sie gemein mit den Fragen nach dem Verhältnis von kapitalistischer Produktion, bürgerlicher Vergesellschaftung und familiärer Triebökonomie, wie sie Pasolini einst aufwarf, ohne ihre Antwort in plakativen Slogans mitzuliefern.

Gegen Ende reist der Gast mit Verweis auf seine Mission als pansexueller Revolutionär plötzlich ab – und gibt mit »I am not your magical negro« der Familie einen Satz mit, den er ebenso gut an den Regisseur hätte richten können. Zwar nähert sich »The Visitor« hier zaghaft der Vorlage Pasolinis an und zeigt, wie die Familienmitglieder auf ihre je eigene Art an der sich nun einstellenden inneren Leere verzweifeln. Wenn aber dann der Vater statt in die Wüste durch die überdimensionalen, umgeworfenen Buchstaben der Worte »government« und »capitalism« wandelt, landet »The Visitor« unweigerlich wieder auf dem Niveau eines Antifa-Flugblatts. Da könnte man auch dem schwarzen Block eine Kamera geben. Folgerichtig findet der Sohn nicht, wie in »Teorema«, zur abstrakten Malerei, sondern zum naturhaften Konkretismus des Wiener Aktionismus, wenn er mit allen denkbaren Körperflüssigkeiten auf der Leinwand herumsaut, um sie sodann wieder abzulecken – ein treffendes Bild für das selbstbesoffene Programm des ganzen Films.

The Visitor (UK 2024). Buch: Bruce LaBruce, Alex Babboni, Victor Fraga. Regie: Bruce LaBruce. Darsteller: Bishop Black, Macklin Kowal, Amy Kingsmill, Ray Filar, Kurtis Lincoln, Luca Federici