Putins hybride Aktionen
Mitte November sind zwei wichtige Unterseekabel in der Ostsee beschädigt worden. Eine der Leitungen übertrug Daten zwischen Rostock und Helsinki, die andere zwischen Litauen und Schweden. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sprach von »Sabotage«. Ein Schiff unter chinesischer Flagge, das von einem russischen Hafen abgelegt hatte, wurde von der dänischen Marine festgesetzt.
Die Außenminister von Deutschland, Polen, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien warfen kurz nach dem Vorfall in einer gemeinsamen Erklärung Russland vor, »systematisch die europäische Sicherheitsarchitektur anzugreifen«. Weiter hieß es: »Moskau verstärkt seine hybriden Aktivitäten gegen Nato- und EU-Staaten in bisher nicht gekanntem Ausmaß und Vielfalt, was erhebliche Sicherheitsrisiken mit sich bringt.«
Es gibt bislang keine konkreten Hinweise dafür, dass Russland hinter der mutmaßlichen Sabotageaktion steckt. Doch der russische Staat versucht schon seit einer Weile mit allerlei Maßnahmen, in EU-Ländern das politische Klima zu beeinflussen, auch durch Sabotageakte.
Es scheint eine neue Strategie der russischen Geheimdienste zu sein, für relativ wenig Geld Menschen über das Internet anzuheuern.
Die Bedeutung der sogenannten hybriden Kriegführung skizzierte Walerij Gerassimow, der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, in einer berühmt gewordenen Rede am 2. März 2019 in der Russischen Akademie der Militärwissenschaften. Neben den bekannten Bereichen der Kriegführung Land, See, Luft und Weltraum sei, so Gerassimow, auch die »informationelle Sphäre« bedeutend. Dort gebe es »die Möglichkeit, auf Distanz und verdeckt nicht nur auf wichtige informationelle, kritische Infrastruktur einzuwirken, sondern auch auf die Bevölkerung des Landes«.
Dass Russland diese Möglichkeit zu nutzen versucht, auch gegen EU-Staaten wie Deutschland, zeigte zum Beispiel die sogenannte Doppelgänger-Kampagne. Websites, die bis ins Detail den Online-Auftritten von Medien wie Bild, Spiegel oder Welt imitieren, verbreiteten jahrelang russische Propaganda: Berichte von Ukrainern, die »unsere Frauen« vergewaltigten, oder dass die ukrainische Gegenoffensive »Deutschland am härtesten« treffe. Los ging die Kampagne nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine Ende Februar 2022. Im September hat das US-Justizministerium Dutzende dieser Internet-Domains abgeschaltet.
Ziel: Schwächung der »liberalen Globalisten«
Hinter der Kampagne steht unter anderem die russische Firma Social Design Agency (SDA). Im September berichteten deutsche Medien über interne Dokumente der SDA. Darin prahlte die Firma mit Bezug auf die Europawahlen im Juni damit, »dass die Social-Media-Kampagne ein großer Erfolg war«. Diese Kampagne umfasste demnach Memes, Videos und Internetkommentare in allen wichtigen sozialen Medien. Das Ziel sei die Schwächung der »liberalen Globalisten« und die Stärkung rechtsextremer Parteien wie der AfD gewesen.
Doch der russische Staat beschränkt sich bei solchen Kampagnen offenbar nicht auf den virtuellen Raum. Im Mai wurde in Paris das Holocaust-Mahnmal mit roten Handabdrücken beschmiert. Die französische Polizei macht drei Bulgaren dafür verantwortlich und vermutet, dass die Aktion aus Russland gesteuert worden sei, berichteten französische Medien. Im Oktober 2023 hatte es bereits eine ähnliche Aktion gegeben: Zwei Paare aus Moldau malten damals in Paris Hunderte Davidsterne an Hauswände. Die französischen Behörden stuften das als russische Operation ein.
Im September wurden drei Männer festgenommen, nachdem sie in Paris vor dem Eiffelturm Särge abgelegt hatten mit der Aufschrift »Französische Soldaten der Ukraine«. Es handelte sich um einen Bulgaren, einen 16jährigen Ukrainer und einen Berliner palästinensischer Herkunft, alle drei waren arbeitslos. Sie sollen für die Aktion bezahlt worden sein, rekrutiert wurden sie der Polizei zufolge über das Internet. Europäische Geheimdienste vermuten dahinter den russischen Staat, berichtete die Zeit.
Brand in einem DHL-Verteilerzentrum
Es scheint eine neue russische Strategie zu sein, für relativ wenig Geld Menschen über das Internet anzuheuern. Zum Beispiel wurde im März das Lager einer ukrainischen Firma in London angezündet. Die Staatsanwaltschaft warf den sechs Verdächtigen vor, im Auftrag Russlands gehandelt zu haben. Einer der Angeklagten, ein 20jähriger Brite, bekannte sich Ende Oktober schuldig und gab zu, im russischen Auftrag gehandelt zu haben. Ähnliche Fälle von mutmaßlichen Sabotageakten im Auftrag des russischen Geheimdiensts gab es in Lettland und Tschechien.
In Berlin brannte im Juni eine Fabrik des Rüstungskonzerns Diehl. Hinweise auf Sabotage wurden nicht gefunden, aber das Wall Street Journal berichtete einen Monat später, dass westliche Geheimdienste inzwischen von einer von Russland gesteuerten Aktion ausgingen. »Das ist wie die Gig-Economy für Sabotage und Terror – Täter werden wie Uber-Fahrer rekrutiert, aber der Effekt ist oft derselbe wie beim Einsatz von Profis«, zitierte die Zeitung einen hohen westlichen Sicherheitsbeamten.
Diesen Sommer gab es einen Brand in einem DHL-Verteilerzentrum in Leipzig. Kurz darauf warnten Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt vor Brandsätzen in Luftfracht an Unternehmen in Deutschland. Mehrere entsprechende Pakete seien abgefangen worden. Dass ein solches Paket nicht etwa in einem Flugzeug ein Feuer ausgelöst habe, sei einem »glücklichen Zufall« zu verdanken, sagte der damalige Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, Mitte Oktober im Bundestag. In Polen wurden Ende Oktober deswegen inzwischen vier Personen festgenommen. Sie sind wegen Beteiligung an Sabotage- oder Terrorakten im Auftrag eines ausländischen Geheimdiensts angeklagt. Am Montag (25.11.) stürzte ein DHL-Frachtflugzeug in Vilnius ab, das von Leipzig aus gestartet war. Über die Absturzgründe ist noch nichts bekannt.
Brandanschläge auf Bahntrassen
Im April wurden zwei Männer in Bayreuth verhaftet, denen der Generalbundesanwalt vorwirft, im Auftrag des russischen Geheimdiensts Sabotageoperationen in Deutschland vorbereitet zu haben. Sie sollen unter anderem Brandanschläge auf Bahntrassen geplant haben, über die Waffen an die Ukraine geliefert werden. Im Juli berichtete zudem der US-amerikanische Fernsehsender CNN, dass deutsche und US-amerikanische Geheimdienste einen Anschlag auf Armin Papperger vereitelt hätten, den Vorstandsvorsitzenden des größten deutschen Rüstungskonzerns, Rheinmetall.
Staatliche Stellen in Deutschland warnen regelmäßig vor solchen russischen Aktivitäten. Bruno Kahl, der Präsident des Bundesnachrichtendiensts, sagte im Oktober, die »Bereitschaft Moskaus zu weiteren Aktivitäten im Feld der hybriden und verdeckten Maßnahmen« habe ein »bisher ungekanntes Niveau erreicht. Putin wird ›rote Linien‹ des Westens austesten.«
Zu den dabei »eingesetzten Instrumenten«, teilte der Bundesverfassungsschutz auf Anfrage der Jungle World mit, »gehören beispielsweise Desinformation, Cyberangriffe auf staatliche Stellen und Unternehmen, Spionage, wirtschaftliche Einflussnahme, zum Beispiel durch gezielte Investitionen in Schlüsselindustrien, und Sabotageaktionen«.
Ein Beispiel für einen Cyberangriff gab es im Frühjahr. Damals berichtete das Bundesinnenministeriums von einem Hacking-Angriff der Gruppe APT 28, die dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeordnet wird, gegen »die SPD-Parteizentrale sowie gegen deutsche Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Rüstung, Luft- und Raumfahrt, IT-Dienstleistungen sowie gegen Stiftungen und Verbände«.