Globaler Trend, lokales Versagen
Klagenfurt. Die FPÖ war nicht zu bremsen. Dass gegen 18 steirische Politiker der rechtsextremen Partei und Personen aus ihrem Umfeld wegen des Verdachts der nationalsozialistischen Wiederbetätigung, der Geldwäsche, der Urkundenfälschung, der Nötigung, der falschen Beweisaussage oder der Untreue staatsanwaltlich ermittelt wird, störte die Wähler und Wählerinnen im österreichischen Bundesland Steiermark offenbar ebenso wenig wie die Kinderpornographie, die bei zwei Verdächtigten im Zuge einer Hausdurchsuchung gefunden wurde, oder der mysteriöse Suizid eines möglichen Belastungszeugen. Die FPÖ stieg mit 34,8 Prozent zur mit Abstand stärksten Kraft im Landtag auf. Sie gewann im Vergleich zur vorigen Wahlen 17,3 Prozentpunkte dazu. Die bisher regierende ÖVP-SPÖ-Koalition hat ihre Mehrheit verloren.
Landeshauptmann (entspricht einem deutschen Ministerpräsidenten) Christopher Drexler, dessen ÖVP mehr als neun Prozentpunkte verlor und mit 27 Prozent auf den zweiten Platz verwiesen wurde, wollte die Schuld für seine katastrophale Niederlage ausgerechnet Bundespräsident Alexander Van der Bellen geben. Der den Grünen nahestehende Politiker habe ihn mit seiner Weigerung, den FPÖ-Vorsitzenden Herbert Kickl mit der Bildung einer Bundesregierung zu beauftragen, zu einem »Bauernopfer der Bundespolitik« gemacht. Mit dieser Einschätzung, die bereits an Zustimmung innerhalb der ÖVP gewinnt, dürfte bei den Konservativen der innerparteiliche Druck, die Regierungsbildung auf Bundesebene doch lieber mit der FPÖ statt mit der SPÖ und den liberalen Neos zu versuchen, in den kommenden Wochen steigen.
Die Verdopplung des Stimmenanteils in der Steiermark beflügelte sogleich den FPÖ-Bundesvorsitzenden Herbert Kickl. Er forderte erneut, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden.
Die Sozialdemokraten wiederum sahen einen »globalen Trend« gegen sich, so SPÖ-Landesgeschäftsführer Florian Seifter. Die SPÖ verlor unter ihrem Spitzenkandidaten, dem bisherigen stellvertretenden Landeshauptmann Anton Lang, zwar nur 1,6 Prozentpunkte, doch tat sie das von einem bereits niedrigen Niveau aus und erreichte 21 Prozent. Sie büßte gerade in ehemaligen Hochburgen Stimmenanteile ein. In den meisten Industriegebieten in der Nordsteiermark dominiert nun die FPÖ.
Dabei spielte wohl neben einem »globalen Trend« auch die sehr lokale Unfähigkeit, aus den Skandalen der FPÖ etwas zu machen, eine Rolle, ebenso wie der Zustand der SPÖ insgesamt. Die machte zuletzt unter anderem damit Schlagzeilen, dass der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer ausgerechnet mit dem gescheiterten Investor René Benko, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt, auf eine vergnügliche Wildjagd ging und sich dabei fotografieren ließ, obwohl gegen Dornauer ein Waffenverbot besteht.
Mit Umwelt- und Klimaschutz war nichts zu gewinnen
Auf alle Fälle spielte die Arroganz eine Rolle, mit der die ÖVP-SPÖ-Landesregierung ihren Plan verfolgte, die Krankenhäuser in den Orten Rottenmann, Schladming und Bad Aussee zu schließen und durch ein »Leitspital« zu ersetzen. Dagegen machte die Opposition seit Jahren Stimmung und 2019 sprach sich die Bevölkerung in einem Referendum klar gegen das Projekt aus. In den betroffenen Bezirken und Städten konnte die FPÖ die Wut der Bevölkerung darüber in atemberaubende Gewinne ummünzen. Sie bekam in der Kleinstadt Rottenmann 63,23 Prozent, die Sozialdemokraten verloren dort 19,83 und die ÖVP 9,60 Prozentpunkte.
Die Grünen verloren 5,9 Prozentpunkte, obwohl sie nicht in der Koalitionsregierung waren. Mit den Themen Umwelt- und Klimaschutz war nichts zu gewinnen. Die KPÖ, für die wegen der unsicheren wirtschaftlichen Aussichten und des an Arbeitsverweigerung grenzenden Unwillens von SPÖ und ÖVP, die Skandale der FPÖ auszuschlachten, beste Voraussetzungen bestanden hatten, verlor 1,6 Prozentpunkte und kam nurmehr auf 4,4 Prozent. Sie schaffte es wegen eines Direktmandats in Graz, wieder in das Landesparlament einziehen. Die Neos gewannen marginal dazu und werden mit knapp sechs Prozent ebenfalls wieder im Landtag vertreten sein.
Vormarsch von Rechtspopulisten
Die Verdopplung ihres Stimmenanteils, den die FPÖ in der Steiermark schaffte, beflügelte sogleich Herbert Kickl. Er forderte erneut, vom Bundespräsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden, und riet dem ÖVP-Vorsitzenden Karl Nehammer, »noch heute Abend seinen Hut zu nehmen«. Die »vernünftigen Kräfte in der ÖVP« sollten den »Mut aufbringen, den Linksschwenk Nehammers in Richtung Austro-Verliererampel zu korrigieren«.
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim sah hingegen die Welt gegen sich und sprach ähnlich wie sein Steiermärker Parteifreund Seifter von einem »internationalem Trend des Vormarsches von Rechtspopulisten«.
Das sogenannte Ausländerthema spielte bei den Landtagswahlen übrigens nicht die wichtigste Rolle. Nur elf Prozent der FPÖ-Wähler gaben bei einer Umfrage des Instituts Hajek an, sie hätten die Partei wegen des Themenkomplexes Migration gewählt.
Soziale Frage ad acta gelegt
Das ist freilich ein bisschen zu relativieren, da 19 Prozent angaben, die FPÖ gewählt zu haben, weil sie die Werte und Interessen der Partei teilten. 41 Prozent der FPÖ-Wähler sagten, sie hätten diese Partei gewählt, weil sie mit den anderen unzufrieden seien, weil sie protestieren wollten oder weil sie »einen Wunsch nach Veränderung« hätten.
Die Unzufriedenheit, die das Land seit der Pandemie im Griff hat und die sich mit den Inflationsschocks seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine noch erheblich verstärkt hat, kam der FPÖ sicherlich zugute. Auch die deutliche Feindschaft der FPÖ gegen Windkraft und Elektromobilität kam in einem Bundesland gut an, in dem Zulieferbetriebe für Verbrennungsmotoren viele Menschen beschäftigen.
Ein bisschen überraschend ist es, dass weder die SPÖ noch die KPÖ die Lebenshaltungskosten und die ökonomischen Ängste mit ausreichender Vehemenz thematisierten. Fast scheint es, als hätten die verbliebenen linken bis linksliberalen Parteien die soziale Frage ad acta gelegt – was sich wahltaktisch als Riesenfehler entpuppte.