Armes Berlin
Im Berliner Haushalt für 2025 sind drei Milliarden Euro nicht durch Einnahmen gegenfinanziert. Da für Landeshaushalte noch strengere Regeln gelten als für den Bundeshaushalt, ist eine Kreditaufnahme für den Ausgleich des im Dezember 2023 beschlossenen Doppelhaushalts ausgeschlossen. Um die Deckungslücke zu schließen, plant die regierende Koalition aus CDU und SPD, die Einnahmen um eine Milliarde zu erhöhen, zum Beispiel durch erhöhte Besteuerung des Tourismus, und zwei Milliarden an Ausgaben einzusparen.
Die Kürzungen betreffen vor allem den Bereich Verkehr, Umwelt und Klimaschutz. Hier sollen 660 Millionen Euro, 18,5 Prozent des Verkehrsetats, eingespart werden – allerdings nicht bei großen Straßenbauvorhaben wie dem umstrittenen Weiterbau der Stadtautobahn A 100. Stattdessen sollen die Planungen für neue Straßenbahntrassen eingestellt, der Ausbau der Fahrradinfrastruktur ausgesetzt und Modernisierungen bei den Berliner Verkehrsbetrieben wie die Elektrifizierung der Busflotte aufgeschoben werden. Das 29-Euro-Ticket für die Benutzung des Berliner ÖPNV soll ebenfalls der Vergangenheit angehören.
Kritik von Umweltverbänden und Klimaschützer:innen
Umweltverbände und Klimaschützer:innen kritisieren diese Entscheidung als Ausdruck einer autofixierten Verkehrspolitik von CDU und SPD. So kommentierte Fridays for Future Berlin in einer Presseerklärung, die Beschlüsse zeigten, »dass CDU und SPD keine Zukunftsvorstellung für ein klimaneutrales und soziales Berlin haben«.
Neben den Einsparungen sind im Haushalt auch Einnahmesteigerungen geplant. So soll sich das Sozialticket für Empfänger:innen sozialer Transferleistungen um zehn Euro auf monatlich 19 Euro verteuern. Für viele der Betroffenen stellt die Verdopplung dieses Preises eine merkliche finanzielle Herausforderung dar.
»Die Tickets werden teurer und die Menschen ärmer«, schreibt Leonard Ihßen von der Initiative Freiheitsfonds der Jungle World. Die Initiative kauft Menschen aus Gefängnissen frei, die Haftstrafen verbüßen, weil sie den öffentlichen Nahverkehr ohne gültigen Fahrschein genutzt haben. Ihßen ist sich bereits sicher, wozu die Teuerung führen wird: »Noch mehr Menschen müssen wegen fehlender Tickets im ÖPNV ins Gefängnis.«
Mehr Schwarzfahrer:innen in den Knast
Sparsam sei das allerdings nicht, sondern eine Regelung, die »die Betroffenen weiter destabilisiert und den Staat Millionen kostet«. Stattdessen schlägt er vor, den Paragraphen 265a des Strafgesetzbuchs streichen zu lassen, der den Straftatbestand des Erschleichens von Leistungen definiert, worunter auch das Fahren ohne Ticket fällt. »Seine Streichung würde 114 Millionen Steuergelder sparen«, so Ihßen, denn Strafprozesse und Gefängnisaufenthalte sind teuer.
Daneben müssen arme Menschen vor allem den Wegfall von Unterstützungsangeboten befürchten. Der Sozialbereich gehört anteilsmäßig zwar nicht zu den Ressorts mit den meisten Kürzungen: Hier sollen knapp vier Prozent des Gesamtbudgets, 75 Millionen Euro, eingespart werden. Doch die kurzfristige Haushaltsentscheidung, die schon in wenigen Wochen greifen wird, könnte die Arbeit vieler sozialer Träger gefährden.
»Die Kürzungen werden drastische Konsequenzen für viele Berlinerinnen und Berliner haben.« Gabriele Schlimper, Paritätischer Wohlfahrtsverband Berlin
»Die Kürzungen werden drastische Konsequenzen für viele Berlinerinnen und Berliner haben«, sagt Gabriele Schlimper, die Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin, der Jungle World. Die Kürzungen in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Kinder- und Jugendarbeit würden dazu führen, dass Angebote in Schulen und Jugendeinrichtungen und die Arbeit von Beratungsstellen eingeschränkt oder ganz eingestellt werden müssten. Das habe »unweigerlich mittel- und langfristig Auswirkungen, die wir heute noch nicht abschätzen können«.
Schlimper berichtet, Mitarbeiter:innen bei einigen Trägern hätten »jetzt überraschend, nach vorherigen Zusagen, erfahren, dass sie nicht mehr finanziert werden«. Besonders folgenschwer ist ihrer Ansicht nach »die vollständige Streichung der vorgesehenen Mittel, mit denen die tarifliche Entwicklung der Bezahlung von Mitarbeitenden freier Träger abgesichert werden sollte«. Die eigentlich angestrebte tarifliche Bezahlung der dort angestellten Beschäftigten sei so kaum realisierbar.
Protestdemo am 5. Dezember
Auch den Kulturetat trifft es. Hier muss mit 130 Millionen Euro, knapp zwölf Prozent der bisher geplanten Summe, weniger gerechnet werden. Die Berliner Schaubühne hat bereits Alarm geschlagen und fürchtet, wegen der Kürzungen bereits vor Ende 2025 in die Insolvenz gehen zu müssen.
Die ersten Proteste von Beschäftigten im Sozial- und Kulturbereich gegen die Senatsentscheidung fanden in den vergangenen Tagen bereits statt. Für den 5. Dezember, wenn das Abgeordnetenhaus die Sparpläne diskutieren will, ruft der DGB zu einer Kundgebung auf unter dem Motto »Berlins Zukunft sichern: Investieren statt Kürzen!«
Lasten auf Arme und Nichtautofahrer abgewälzt
Von einigen Kundgebungen allein wird sich der Senat jedoch kaum beeindrucken lassen. Die Handlungsfreiheit der Landesregierung in Sachen Haushalt ist tatsächlich rechtlich eingeschränkt, auch wenn man mal davon absieht, dass die Lasten fast schon aus Prinzip auf Arme und Nichtautofahrer abgewälzt werden.
Dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) scheint dies sogar klar zu sein. Im Zusammenhang mit den Kürzungen forderte er erneut eine Reform der sogenannten Schuldenbremse, die allerdings nur der Bundestag beschließen könnte; ein Ansinnen, das die Bundesspitze seiner Partei bisher zurückweist. Ob sie diese Position auch in Zukunft durchhalten kann, erscheint immer zweifelhafter, deutet es sich doch bundesweit an, dass in den kommenden Jahren immer mehr Länder in die gleiche Situation wie Berlin kommen werden.