28.11.2024
Politiker stellen immer öfter Strafanzeige wegen Beleidigungen im Internet

Eine schwachköpfige Durchsuchung

Ein Rentner beleidigte den Vizekanzler Robert Habeck als »Schwach­kopf«, der erstattete Anzeige, die Polizei beschlagnahmte das Tablet des Rentners – die Geschichte sorgte für einige Aufregung. In Wirk­lich­keit war es aber komplizierter.

Im frühen Morgengrauen des 12. November stand die Polizei vor der Tür von Stefan N. – sie war für eine Hausdurchsuchung angerückt. Gegen den 64jährigen Rentner aus Unterfranken wird unter anderem wegen einem Post ermittelt, den er ein halbes Jahr zuvor auf X »retweetet«, also weiterverbreitet, hatte. Es handelte sich um ein Foto vom Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit dem Logo der Shampoo-Firma »Schwarzkopf Professional« versehen. Das Wort »Schwarzkopf« war jedoch ausgetauscht: »Schwachkopf Professional« hieß es stattdessen.

Die Polizei nahm das Tablet des Verdächtigen mit, darüber hinaus durchsuchte sie seine Wohnung Medienberichten zufolge nicht. Drei Tage später erklärte die Staatsanwaltschaft Bamberg in einer Pressemitteilung, es bestehe Tatverdacht wegen einer gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung. Außerdem sei man wegen eines anderen Posts dem Anfangsverdacht einer Volksverhetzung nachgegangen.

Robert Habeck erstattete seit April 2023 mehr als 700 Anzeigen wegen Hassnachrichten.

Insbesondere konservative und rechte Medien stürzten sich mit sichtlichem Genuss auf die Geschichte. »Habeck wirft Schmutz auf sein Opfer«, titelte die Zeitschrift Cicero. Der Vorgang stehe »beispielhaft für den Hochmut der Grünen« und sei ein »Sinnbild der Entfremdung der politischen Elite und ihrer Verachtung gegenüber jenen Menschen, die nicht zu den glücklichen Erleuchteten auf dem Pfad der erlösenden Transformation gehören«.

Der Chefredakteur der Welt, Ulf Poschardt, postete auf X ein Bild von Stefan N. gemeinsam mit dessen erwachsener Tochter, die das Down-Syndrom hat und in N.s Haushalt lebt. Dazu schrieb Poschardt: »Wenn der Elfenbeinturm nach unten blickt, sieht er jenen Teil der Bevölkerung, den er immer schon abgrundtief verachtet hat. Das spüren all jene, die den kulturellen, moralischen Klassenkampf von oben satt haben. Sie wenden sich ab. Was sonst?«

Rechte Deutung war gesetzt

Die Deutung war also gesetzt: Die grüne »Elite« nutzt die Justiz, um einfache Menschen zu verfolgen, nur weil diese ihren Unmut ein wenig gröber kundtun. Dabei fiel unter den Tisch, dass zum Beispiel auch der CDU-Vor­sitzende Friedrich Merz regelmäßig solche Strafanzeigen wegen Beleidigungen stellt. Auch in diesen Fällen kam es in mindestens zwei Fällen zu einer Hausdurchsuchung, berichtete der Stern. So bei einem Mann, der auf X einen Post von Merz zur Legalisierung von Cannabis mit den Worten »Fresse Drecks Suffkopf« beantwortet hatte.

Auch waren einige Aspekte des »Schwachkopf«-Falls immer noch unklar – zum Beispiel, ob die »Schwach­kopf«-Beleidigung überhaupt der zen­trale Grund für die Beschlagnahme bei Stefan N. war und nicht vielmehr der Anfangsverdacht von Volksverhetzung. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft fand die Beschlagnahme im Rahmen des 11. nationalen Aktionstags gegen strafbare Hass-Postings statt, der dieses Mal den Schwerpunkt Antisemitismus hatte.

Außerdem berichtete die Staatsanwaltschaft zwar in ihrer ersten Pressemitteilung am 15. November, dass Habeck wegen der »Schwachkopf«-Beleidigung Anzeige erstattet habe – doch in einer zweiten Mitteilung ergänzte sie sechs Tage später, die Hausdurchsuchung sei schon lange vorher beantragt gewesen.

Verharmlosung des Nationalsozialismus

Der »Schwachkopf«-Post war nämlich über ein Meldeportal des Bundeskriminalamts gemeldet worden. Mehr als einen Monat vor Habecks Anzeige sei deshalb ein Durchsuchungsbeschluss wegen besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung beantragt worden, sagte die Staatsanwaltschaft. Schließlich gehe es bei Habeck um einen Bundesminister und den deutschen Vizekanzler. Hinzugekommen seien »Verdachtsmomente einer antisemitischen Gesinnung« bei N.

Damit bezieht sich die Staatsanwaltschaft auf die Ermittlungen wegen Volksverhetzung. Stefan N. habe, so die Staatsanwaltschaft, im Frühjahr bei X ein Bild hochgeladen, auf dem ein SA-Mann ein Schild mit der Aufschrift »Deutsche kauft nicht bei Juden!« hochhält. Dazu habe er kommentiert: »Wahre Demokraten! Hatten wir alles schon mal!« Anlass hierfür war ein Boykottaufruf gegen die Firma Müller, ihres Zeichens Hersteller bekannter Milchprodukte, deren Inhaber Nähe zur AfD nachgesagt wird.

Mit dem Post rief N. also nicht zu ­einem Boykott im Sinne der SA auf, sondern warf anderen vor, Ähnliches gegen deutsche Rechte anzustreben. Als Volksverhetzung strafbar wäre das ­Aufstacheln zum Hass gegen jüdische Menschen oder die »Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung des Nationalsozialismus«. Hohe Anfor­derungen also, bei denen bezweifelt werden kann, ob der Post sie erfüllt – dass der darin enthaltene Vergleich den Nationalsozialismus verharmlost, kann man hingegen als gegeben annehmen.

»So ein Pimmel«

Kann all das einen Durchsuchungsbefehl rechtfertigen? Der Strafprozessordnung zufolge können Durchsuchungen prinzipiell wegen jeder Straftat erfolgen. Doch auch hier gilt, wie überall im Strafrecht, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Nicht wegen jeder Bagatelle darf die Polizei Privatwohnungen durchsuchen, denn dabei handelt es sich um einen Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.

Der Hamburger Justiz fiel das bereits beim sogenannten Pimmelgate auf die Füße. Auf Twitter (wie X damals noch hieß) hatte 2021 ein Nutzer einen Tweet des Innensenators Andy Grote (SPD) mit der Aussage »Du bist so 1 Pimmel« kommentiert. Grote stellte Anzeige wegen Beleidigung. Die darauffolgende Hausdurchsuchung erklärte das Landgericht Hamburg später für rechts­widrig. Schon bei der Durchsuchung sei klar gewesen, dass nur eine geringe Strafe in Betracht käme. Ein so schwerwiegender Eingriff wie eine Hausdurchsuchung sei deshalb unverhältnismäßig, so das Gericht.

Allerdings begründete die Staatsanwaltschaft den Durchsuchungsbeschluss gegen N. mit einer Beleidigung gegen »eine Person des politischen ­Lebens«. Im Fall Andy Grote ging es nur um eine einfache Beleidigung. Die Höchststrafe erhöht sich dadurch von einem auf drei Jahre.

Gewalt­taten gegen Kommunalpolitiker:innen

Der entsprechende Paragraph 188 des Strafgesetzbuchs wurde just 2021 geändert, so dass er neben Verleumdungen und übler Nachrede gegen Politiker:innen auch Beleidigungen erfasst. In der damaligen Gesetzesbegründung hieß es, man wolle dadurch einer »Vergiftung des politischen Klimas durch Diffamierungen und Verunglimpfungen« entgegenwirken.

Die Zahl von Diffamierungen und Bedrohungen gegen Politiker:innen scheint seit Jahren zuzunehmen. Immer häufiger kommt es gerade in ländlichen Gegenden, wo die Anfahrtswege der Polizei lang sind, auch zu Gewalt­taten gegen Kommunalpolitiker:innen ohne Personenschutz.

Arnd Focke (SPD), damals Bürgermeister im niedersächsischen Estorf (Weser), trat 2020 zurück. Als Begründung nannte er »massivste persönliche rechte Anfeindungen, Bedrohungen und Diffamierungen«. Die gleiche Begründung nannte Martina Angermann (SPD), die Ende 2019 ihr Amt als Bürgermeisterin im sächsischen Arnsdorf aufgab.

Morddrohungen gegen Wanderwitz

Ein anderer SPD-Bürgermeister, Christoph Landscheidt aus dem nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort, kündigte 2020 an, sich zu bewaffnen, weil er Angriffe von Rechtsextremen fürchte. Sein Antrag auf einen Waffenschein wurde zwar abgelehnt, doch Landscheidt erhielt kurz darauf Personenschutz – eine Prüfung des Staatsschutzes hatte ergeben, dass er gefährdet sei.

Viele Politiker:innen dürften den Fall Walter Lübcke vor Augen haben. Der CDU-Politiker war jahrelang Hassfigur für Rechtsextreme, bevor ein Nazi ihn 2019 ermordete. 2015 war die parteilose Henriette Reker einen Tag vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin von Köln von einem Rechtsextremen niedergestochen und lebensgefährlich verletzt worden.

Zuletzt hat der sächsische Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz (CDU) angekündigt, dass er bei der anstehenden Neuwahl nicht erneut kan­didieren werde. Zur Begründung sagte er der Freien Presse: »Ich muss meine Familie und mich körperlich und seelisch schützen.« Wanderwitz war unter der Bundeskanzlerin Angela Merkel Ostbeauftragter der Bundesregierung und hatte immer wieder den in Ostdeutschland erstarkenden Rechtsextremismus kritisiert. Er erhält seit Jahren Morddrohungen, in der Silvesternacht 2021/2022 gab es einen Brandanschlag auf sein Büro.

Beleidigungen und Drohungen sind Legion

Die Beleidigung als »Schwachkopf« nimmt sich dagegen aus wie eine Petitesse. Doch die Online-Beleidigungen und Drohungen gegen prominente, vor allem als links wahrgenommene Politiker:innen sind Legion. Viele lagern deshalb die Bearbeitung aus. Robert Habeck arbeitet mit der Nicht­regierungsorganisation Hate Aid und dem auf Online-Hass spezialisierten Start-up »So Done« zusammen. Seit April 2023 erstattete er über sein Büro und das Wirtschaftsministerium mehr als 700 Anzeigen wegen Hassnachrichten.

So Done wirbt sogar auf ihrer Web­site mit Habeck. Die Firma durchkämmt für ihre Kunden das Internet nach Beleidigungen oder Drohungen und übergibt »potentielle Online-Straftaten an eine Kanzlei«, so die Mitgründerin und Geschäftsführerin Franziska Brandmann im Interview mit dem ­Cicero. Die Kanzlei nehme daraufhin »die rechtliche Bewertung vor und stimmt dann mit den Mandanten ab, ob diese sich mit Mitteln des Rechtsstaates gegen die Online-Straftaten wehren wollen«. Falls ein Täter Entschä­digung zahlen muss, erhält das Unternehmen die Hälfte davon.

Brandmann, die außerdem Vorsitzende des Jugendverbands der FDP ist, betonte allerdings, dass sie mit dem »Schwachkopf«-Fall nichts zu tun gehabt habe. Eine solche Beleidigung hätte ihre Firma auch nicht gemeldet, das geschehe nur in schwerwiegenden Fällen.

Es war die bayerische Polizei

Es war die bayerische Polizei, die Habeck den »Schwachkopf«-Post vorlegte und ihn fragte, ob er Anzeige erstatten wolle; Habeck habe sich dann dafür entschieden. Das berichtete jemand aus dem »Umfeld von Habeck« dem ZDF, später bestätigte es die Staatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung. Als der Minister im Interview mit dem ZDF auf den Fall angesprochen wurde, meinte er, er werde das nächste Mal genauer prüfen, ob eine Anzeige notwendig sei. Grundsätzlich aber verfolge er »eine Politik, wo Beleidigungen, Bedrohungen und Hass zur Anzeige gebracht werden«. Doch das, »was da passiert ist« – gemeint ist wohl die Durchsuchung bei Stefan N. –, sei eine gerichtliche Entscheidung, auf die er keinen Einfluss habe.

Teilweise ist das richtig: Auch ohne eine Anzeige Geschädigter kann die Staatsanwaltschaft eine Beleidigung von Politiker:innen aus »öffentlichem Inte­resse« verfolgen, was sie in diesem Falle auch getan hatte. Nur wenn der Beleidigte widerspricht, muss sie die Strafverfolgung beenden. Außerdem hat Habeck mit der Ermittlung wegen Volksverhetzung gegen N. nichts zu tun; Volksverhetzung stellt ein Offizialdelikt dar, das auch ohne Anzeige verfolgt wird. Auch darauf, ob die Staatsanwaltschaft sich zu einer Durchsuchung entscheidet, hat Habeck keinen Einfluss. Allerdings könnte er seine Anzeige wegen Beleidigung als »professioneller Schwachkopf« immer noch zurücknehmen.