28.11.2024
Standortkonkurrenz und koordinierte Klimapolitik widersprechen einander

Der Planet als Schadstoffsenke

Die Erderwärmung ist ein Nebenprodukt der kapitalistischen Produktionsweise und entsprechend widersprüchlich fallen die Versuche aus, sie im Rahmen dieser zu bekämpfen. Derweil gewinnen Rechtspopulisten an Einfluss, die mit internationalen Klimaabkommen ganz Schluss machen wollen.

Jahr für Jahr treffen sich Zehntausende Teilnehmer und zahlreiche Staats- und Regierungschefs auf den UN-Klimakonferenzen (Conference of the Parties, COP). Sie lauschen Prognosen, diskutieren Maßnahmen, bekunden ihre guten Absichten und wiederholen das Prozedere ein Jahr später an einem anderen Ort. Zwischen den Treffen gelangten in den vergangenen Jahren jeweils rund 40 Milliarden weitere Tonnen CO2 in die Atmosphäre.

Das Erdklima verzeichnet im Durchschnitt 1,5 Grad Erwärmung im Vergleich zum Niveau vor Beginn der Industrialisierung. In den zehner Jahren war das als kritischer Schwellenwert ermittelt worden, der nicht überschritten werden solle, was im Pariser Klimaabkommen von 2015 auch als Ziel vereinbart wurde. Mittlerweile erweist sich das als bloßes Wunschdenken.

Die weltweiten Treibhausgasemissionen, die eigentlich längst hätten sinken sollen, um die Erderwärmung zumindest zu verlangsamen, steigen munter weiter. Nach neuesten Prognosen des internationalen Global Carbon Project werden sie 2024 mehr als zwei Prozent höher ausfallen als im Vorjahr.

Die internationale Klimabewegung, die in den zehner Jahren die Erderwärmung an die Spitze der politischen Tagesordnung setzte, ist erlahmt.

Die Ursachen für dieses politische Versagen sind vor allem in der kapitalistischen Produktionsweise zu suchen. Bei jeder Produktion fallen neben den erwünschten Gütern auch unerwünschte Produktionsrückstände an. Wo kapitalistische Unternehmen nicht durch Gesetze daran gehindert werden, nutzen sie die herrenlose Umgebung als Gratismüllkippe (Senke) für ihre Abfälle, die oftmals schädlich für Mensch und Natur sind. Wird etwa Kohle in einer Fabrik verfeuert, so machen sich Ruß und Luftverschmutzung zunächst in der näheren Umgebung bemerkbar. Wo Umweltpolitik regulierend gegen solche Verschmutzung vorging, tat sie es zunächst im nationalstaatlichen Rahmen und widmete sich dementsprechend lokalen oder regionalen ökologischen Problemen. Unter kapitalistischen Verhältnissen war ihr Spielraum dabei von den Erfordernissen der Kapitalverwertung begrenzt.

Erst in den siebziger Jahren wurden Umweltfragen zum Gegenstand der internationalen Politik. Die materielle Grundlage dessen lieferte eine beispiellose Entwicklung der gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die umwelthistorisch mit dem Epochenbegriff der »Großen Beschleunigung« gefasst wird. Die umgesetzten Material- und Energiemengen werden immer gewaltiger, ebenso wie die nichtintendierten ökologischen Nebenfolgen, die immer deutlicher transnationale und globale Ausmaße annahmen.

Hexenmeister, der die Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag

All dies folgte keinem bewussten Plan. Schließlich untersteht die Produktion im Kapitalismus der privaten Kontrolle konkurrierender Eigentümer, die primär auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Marx und Engels schrieben bereits 1848 im »Kommunistischen Manifest«: »Die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.« Nun zeigten sich die ökologischen Auswirkungen dieser Verselbständigung gesellschaftlicher Verhältnisse im globalen Maßstab. Auch die indus­trielle Aufholjagd realsozialistischer Staaten ging mit verheerenden ökologischen Folgen einher.

Der räumlich ausgreifende Charakter der neuen ökologischen Krisen erschwerte deren politische Regulation zusätzlich: Globale stoffliche Zusammenhänge müssten von Hunderten Nationalstaaten reguliert werden, die untereinander in Wettbewerb stehen.

Gleichwohl konnten multilaterale Beherrschungsversuche zunächst einige Erfolge verzeichnen. So wurde 1979 mit dem internationalen Übereinkommen über weiträumige grenzüberschreitende Luftverunreinigung ein völkerrechtlicher Vertrag für die Bekämpfung eines drängenden transnationalen Umweltproblems geschaffen, das seinerzeit unter dem Schlagwort des »sauren Regens« diskutiert wurde. Staaten aus beiden Lagern des Kalten Kriegs verpflichteten sich, die Emissionen ausgewählter Luftschadstoffe einzudämmen und einen gemeinsamen Überwachungsmechanismus einzurichten.

Pariser Abkommen von 2015

Ein weiterer Meilenstein war das 1987 verabschiedete, von 198 Staaten ratifizierte Montreal-Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen. Diese Schicht in der Stratosphäre absorbiert besonders energiereiche und daher für Organismen schädliche Anteile der Sonneneinstrahlung. Weil verschiedene industriell genutzte Gase, insbesondere Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), die Ozonschicht zerstörten, wurden verbindliche Ziele für Emissionssenkungen festgelegt. Das Ziel war es, solche Stoffe vollständig zu ersetzen. Das Abkommen wurde ein großer umweltpolitischer Erfolg. Der sogenannten Staatengemeinschaft war es gelungen, ein wichtiges Umweltproblem von planetaren Ausmaßen kooperativ anzugehen und weitgehend einzudämmen.

Der Kampf gegen das Ozonloch hätte die Blaupause für den Kampf gegen den Klimawandel werden können. Beide Krisen weisen strukturelle Ähnlichkeiten auf: Auch im Fall des Klimawandels ist mit dem Treibhauseffekt ein wichtiges Element des Erdsystems an­thropogen gestört; auch dieser Prozess geht auf mit bestimmten industriellen Verfahren verbundene Emissionen von Gasen (in diesem Fall hauptsächlich Kohlenstoffverbindungen) zurück; auch hier sind die Ursachen und Folgen nicht territorial begrenzbar, da die entsprechenden Gase frei in der Atmosphäre des Planeten zirkulieren; auch hier handelt es sich um ein kollektives Gut, dessen Schutz eigentlich im Interesse aller wäre, jedoch mit Kosten verbunden ist; und auch hier entsteht ein Problem kollektiven Handelns, weil unzählige miteinander konkurrierende Nationalstaaten sich um Emissionsreduktion bemühen müssten.

Doch haben fossile Brennstoffe eine unvergleichlich größere ökonomische Bedeutung als die Stoffe, die das Ozonloch bewirkten. Es ist nicht nur schwierig und kostspielig, sie durch erneuerbare Energiequellen zu ersetzen, sondern läuft vor allem den Interessen mächtiger Kapitalfraktionen zuwider. Die politische Regulierung der Erderwärmung folgte deshalb nicht dem Erfolgsmodell des Montreal-Protokolls: Etwa die Hälfte aller klimawirksamen Emissionen des industriellen Zeitalters gelangte erst nach der klimapolitisch wegweisenden Rio-Konferenz von 1992 in die Atmosphäre, auf der auch die jährlichen COP institutionalisiert wurden. Auf der COP 3 wurde 1997 zwar das sogenannte Kyoto-Protokoll verabschiedet, mit dem sich Industriestaaten verpflichteten, ihre Emissionen in einer ersten Periode von 2008 bis 2012 zu senken – jedoch lediglich um fünf Prozent im Vergleich zum Stand von 1990. Der inzwischen maßgebliche Folgevertrag, das Pariser Abkommen von 2015, enthält keine verbindlichen Verpflichtungen zur Emissionsverminderung mehr.

1,5-Grad-Ziel festgeschrieben

Ironischerweise war es der als progressive Lichtgestalt gehandelte Barack Obama, der als US-Präsident erfolgreich diplomatischen Druck ausübte, um den verbindlichen Status der UN-Klimaabkommen zurückzunehmen. Nun firmierten zwar weitaus mehr Staaten als Vertragspartner und bekannten sich zu ambitionierten Absichtserklärungen: Das 1,5-Grad-Ziel wurde festgeschrieben. Doch die Emissionsminderungen der einzelnen Staaten blieben deren Gutdünken anheimgestellt. Das Pariser Abkommen wurde so zu einem getreuen Spiegel des allgemeinen Widerspruchs liberaler Politik, deren wolkige Ideale einer weltlichen Grundlage widersprechen, die von stummen Zwängen, Ausbeutung und Konkurrenz geprägt ist.

Die populistische Reaktion von Donald Trump und Co. gegen die liberale Klimapolitik hält sich dagegen mit Widersprüchen gar nicht erst auf: Ihre Vertreter behaupten einfach, es gebe in Wahrheit kein Problem mit dem Klimawandel, weshalb sich auch nichts ändern müsse. Oder, in einer neueren, fatalistischen Spielart: Zwar mag es einen Klimawandel geben, doch lasse sich daran ohnehin nichts (mehr) ändern.

In beiden Fällen wird das Festhalten am fossilen Energiesystem nicht etwa kaschiert, sondern direkt als sachgemäß oder unvermeidlich behauptet. Auch die Spannung zwischen nationalem Interesse und der klimapolitischen Notwendigkeit transnationaler Kooperation und Regulierung wird zugunsten eines rücksichtslosen partikularen Egoismus aufgelöst, wie Trump während seiner ersten Amtszeit durch den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen bewies.

»Climate Behemoth«

Für das Szenario eines Zusammenbruchs der international koordinierten Klimapolitik, in dem Nationalstaaten nur ihre eigenen kurzfristigen Interessen verfolgen, haben die Politikwissenschaftler Geoff Mann und Joel Wainwright den Begriff »Climate Behemoth« geprägt. Sollte es dazu kommen, würden die einzelnen Staaten vor allem militarisierte nationale »Sicherheitspolitik« angesichts kommender Naturkatastrophen, Rohstoffkriege und Mi­grationsbewegungen betreiben, ohne jedoch die Ursachen des Klimawandels anzugehen.

Hoffnung macht derzeit wenig. Ein ökologischer Sozialismus, der einen vernünftig regulierten gesellschaftlichen Stoffwechsel mit der Natur an die Stelle des profitgetriebenen Kapitalismus setzte, ist nirgendwo in Sicht. Doch auch fernab der Utopie schienen die Zeiten schon einmal rosiger.

Die internationale Klimabewegung, die in den zehner Jahren die Erderwärmung an die Spitze der politischen Tagesordnung setzte, ist erlahmt, das keynesianische Reformprogramm eines Green New Deal hat angesichts der Wahlerfolge konservativer und rechtspopulistischer Kräfte an Bedeutung verloren: Während ein Extremwetterereignis das nächste jagt, wird der Klimawandel wieder als politischer Nebenschauplatz behandelt.