28.11.2024
Der Berliner Kulturetat wird zusammengestrichen: Jetzt hilft nur Eskapismus

Innere Einkehr

Popkolumne. Christian Schoppik, »Vena« von Chiara Fleischhacker und Musik vom Nebengleis.

»Fingerkuppe, Fluss und Feldwand« – was sich nach Hexenspruch anhört, ist der Titel eines Stücks des Musikers Christian Schoppik a.k.a. Läuten der Seele. Manche kennen ihn vielleicht als Part des Würzburger Bandprojekts Brannten Schnüre, das er zusammen mit Katie Rich betreibt, die auch für das Label Quirlschlängle verantwortlich ist.

Auf diesem geheimnisumwitterten Label, auf dem sowohl spannende Neo-Folk- als auch Dark-Ambient- und Post-Krautmusik ein Zuhause findet, ist dieser Tage ein Sampler mit dem schönen Titel »Musik vom Nebengleis« erschienen, der solche Nischenklänge auf eine Schallplatte bringt. Es gibt eigene exklusive Stücke, Aufnahmen alter Held:innen wie Vox Populi! oder Limpe Fuchs und Material geistesverwandter Künst­ler:in­nen aus aller Welt.

Chiara Fleischhacke starkes Spielfilmdebüts »Vena«

Sozusagen ein Mixtape auf Vinyl zur inneren Einkehr. Eskapismus als Chance! Der Kosmos kennt schließlich keine Schuldenbremse. Die Zeit fließt ungefragt dahin und das Universum expandiert täglich munter weiter.

Auf dem Abstellgleis des Lebens bewegt sich dagegen Jenny, die Prot­agonistin des starken Spielfilmdebüts »Vena« von Chiara Fleischhacker. Die junge Mutter ist wieder schwanger und genau wie ihr Freund abhängig von Crystal Meth. Zudem muss sie demnächst eine Haftstrafe antreten. Schwer erträglich sind die Szenen, in denen die Schwangere sich zudröhnt.

Das Kabinett von Donald Trump verspricht Halloween-Stimmung everyday, das politische Schmierentheater in Deutschland erreicht immer neue Höhepunkte mit Fremdschamga­rantie, der Kulturetat der Kulturstadt Berlin wird um zwölf Prozent gekürzt und 6.000 internationale Schrift­stel­ler:in­nen wollen israelische Kultureinrichtungen boykottieren.

Dennoch entwickelt man Sympathien für Jenny, die aufwühlend von Emma Drogunova verkörpert wird. Sie ist zutiefst misstrauisch gegenüber allen Institutionen, dennoch fasst sie leises Vertrauen zu einer Hebamme, die ihr auf Augenhöhe begegnet. Allmählich begreift sie, dass ihr Ungeborenes über die titelgebende Nabelschnurvene unmittelbar mit ihr verbunden ist. Jenseits von Sozialkitsch wird man in die ­Gefühlswelt einer jungen Frau hineingezogen, der die Rückkehr zu dem, was wir Normalität nennen, enorm erschwert wird.

Diese Normalität treibt allerdings immer absurdere Blüten: Das Kabinett von Donald Trump verspricht Halloween-Stimmung everyday, das politische Schmierentheater in Deutschland erreicht immer neue Höhepunkte mit Fremdschamga­rantie, der Kulturetat der Kulturstadt Berlin wird um zwölf Prozent gekürzt und 6.000 internationale Schrift­stel­ler:in­nen wollen israelische Kultureinrichtungen boykottieren.

Marx’ Gedanke, dass die Kunst kein Spiegel ist, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet, scheint wohl endgültig passé. Eine guter Tag, um nochmal das »Weckerlied« auf dem Nebengleis zu hören.