21.11.2024
Wie der Frauenfußball in der DDR begann

Langer Weg zum Länderspiel

In der DDR durften Frauen zunächst nur in Betriebssportvereinen kicken. Erst 1987 wurde eine eigene Oberliga genehmigt, 1990 fand das einzige Länderspiel statt.

Von Ende der sechziger Jahre: Martin Luther King wurde ermordet. Apollo 11 landete auf dem Mond. Das Woodstock-Festival elektrisierte die US-amerikanische Jugend und in New York City wehrten sich Schwule und Lesben militant gegen eine Razzia der Polizei. Gleichzeitig formierte sich hinter dem Eisernen Vorhang in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ebenfalls eine emanzipatorische Bewegung.

»Damals sind überall Frauenfußballmannschaften gegründet worden«, berichtete Dietmar Männel vor über einem Jahrzehnt im Interview mit dem MDR. Der Trainer gilt als einer der Pioniere des Frauenfußballs in der realsozialistischen Republik. Seit 1983 trainierte er die Frauen der Betriebssportgemeinschaft Rotation Schlema aus dem sächsischen Erzgebirge.

Mit Männel, der während seiner ehrenamtlichen Trainerarbeit gleichzeitig noch im Dreischichten-System als Hauer im Wismut-Schacht malochte, holte Schlema in den achtziger Jahren zweimal den Titel des DDR-Meisters. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Den fußballspielenden Frauen wurde in den sechziger Jahren der Zugang zu Trainingscentern und Sportclubs verwehrt. Sie mussten sich deshalb in Betriebssportgemeinschaften (BSG) organisieren. Finanziell waren somit die Trägerbetriebe für die Ausrüstung zuständig und mussten die betriebseigenen Sportplätze zur Verfügung stellen.

Die monatelange Vorbereitung – mit Adidas-Bällen, Kunstrasen, ZDF-Torwand und Joghurt aus dem Westen – brachte nicht den erhofften Erfolg. Das erste und letzte Spiel der Frauen-Fußballnational­mannschaft der DDR endete im Mai 1990 mit einer klaren 0:3-Niederlage.

Offiziell fiel Frauenfußball in die Kategorie Freizeit- und Erholungssport. Medaillen waren für die Sportfunktionäre der DDR das Einzige, auf das es letztlich ankam. Im Segment Frauenfußball war international aber einfach nichts zu holen. In der Bundesrepublik hatte der DFB 1955 beschlossen, den Frauenmannschaften im Rahmen des Verbandes das Fußballspielen zu verbieten. Die alten Herren behaupteten, dass Fußball als »Kampfsportart der Natur des Weibes im Wesentlichen fremd« sei und »im Kampf um den Ball die weibliche Anmut schwindet«. Trotz dieser Beschlusslage wurden in den fünfziger und sechziger Jahren über 70 inoffizielle Länderspiele ausgetragen.

Der Zuspruch der weiblichen Kicker in der DDR war damals enorm. Ende 1971 sollen es schon 150 Frauen-Teams verteilt auf die gesamte Republik gewesen sein. Nur drei Jahre später zählte der Deutsche Fußball-Verband (DFV) 300 aktive Frauenfußballmannschaften; 1968 hatte der Verband den Frauenfußball offiziell als Sparte aufgenommen.

Frauen, die im Minirock gegen den Ball treten

Um Spiele austragen zu können, wurden Gegner per Annonce gesucht. Die meisten Matches fanden anlässlich von Volksfesten oder vor den Ligaspielen der Männer statt. Fotos aus jener Zeit zeigen zumeist Frauen, die im Minirock gegen den Ball treten. Auch das Frauen-Fußball-Team der Orwo, der größten Filmfabrik der DDR, kickte bei seinem ersten Spiel 1971 in diesem außergewöhnlichen Outfit.

Die Spielordnung legte damals fest, dass nur zweimal 30 Minuten gespielt werden, das Mindestalter der Spielerinnen musste 16 Jahre betragen, außerdem hatte eine Schiedsrichterin gestellt zu werden. Als regionale Einschränkung wurde festgehalten, dass »der Wettspielbetrieb nicht über den Bezirksbereich hinausgehen« dürfe.

In den Vereinen stieg derweil die Zahl der weiblichen Mitglieder. Den Funktionären des DFV dämmerte allmählich, dass die Fußballsphäre nun auch von Frauen erobert wurde. 1979 beschloss der DFV deshalb die Einführung einer Bezirksbestenermittlung – und ganz bewusst keine offizielle Meisterschaft, dies hätte nämlich bedeutet, dass der Verband für die Bereitstellung von gesonderten Finanzmitteln zuständig gewesen wäre.

Bälle »schwer wie Wackersteine«

Der Impuls, eine eigene Meisterschaft auszutragen oder zumindest einen Pokalwettbewerb zu veranstalten, kam dagegen immer wieder aus den Vereinen heraus. Ende der achtziger Jahre war es dann so weit. Mit der Saison 1987/1988 nahm die DDR-Frauenfußball-Oberliga ihren regelmäßigen Spielbetrieb auf. Unangefochtene Spitzenteams waren zu dieser Zeit die BSG Rotation Schlema und Turbine Potsdam; der Verein zählt heute noch zu den ersten Adressen im deutschen Frauenfußball.

»Mit Ideologie hatte das nichts zu tun, fast alles scheiterte am Geld«, ordnete Männel das Verhalten des DFV ein. Busse gab es nicht. Gespielt wurde mit Bällen, die, wenn es regnete, laut dem Trainer »schwer wie Wackersteine« waren. Die meisten Fußballerinnen kamen von anderen Sportarten: zumeist aus der Leichtathletik, vom Handball oder Volleyball.

Eine ganz besondere Karriere hatte dabei die Olympiateilnehmerin und Weltrekordlerin Christine Spielberg hingelegt. 1966 errang sie den Europameistertitel im Diskuswerfen für die DDR, nur zwei Jahre später holte sie den ersten Weltrekord für die DDR überhaupt in einer Wurfdisziplin. Nach Beendigung ihrer Leistungssportkarriere spielte sie Fußball bei der Betriebssportgemeinschaft EAB Lichtenberg 47, einer der besten Frauenfußballmannschaft aus Ostberlin zu jener Zeit.

800 Zuschauer:innen im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion

Als Höhepunkt des Frauenfußballs in der DDR gilt das einzige offizielle Länderspiel der Frauennationalmannschaft. Gespielt wurde es im Mai 1990 gegen die Tschechoslowakei vor 800 Zuschauern im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion. Ein Jahr zuvor war der Bergarbeiter Männel zum Nationaltrainer berufen worden.

Gemeinsam mit dem ebenfalls zum Auswahltrainer nominierten Bernd Schröder, zu dieser Zeit nebenberuflicher Trainer von Turbine Potsdam, berief er über 20 Spielerinnen für den ersten Lehrgang im Oktober in die Sportschule Leipzig. »Von Frauennationalmannschaften, wie es sie in Dänemark, Schweden oder England gab«, berichtet Männel, »davon konnten wir nur träumen.« Der Lehrgang forderte von den Spielerinnen körperliche und mentale Höchstleistung.

Die zuvor nur in Betriebssportgemeinschaften aktiven Frauen wurden mit einem Trainingspensum konfrontiert, dass sie bis dato nicht ansatzweise kennengelernt hatten. Es kamen auch merkwürdige Übungsgeräte zum Einsatz: »Dann gab es da so eine Torkanone«, berichtet Männel, die »Flanken wie am Lineal gezogen« schoss. Die monatelange Vorbereitung – mit Adidas-Bällen, Kunstrasen, ZDF-Torwand und Joghurt aus dem Westen – brachte trotzdem nicht den erhofften Erfolg. Das erste und letzte Spiel endete für die DDR-Auswahl 0:3.

Bernd Schröder war enttäuscht

»Ich muss sagen, wir haben heute unseren Gegner selbst stark gemacht, indem wir nicht die Leistung individuell gebracht haben, die wir unseren Spielerinnen eigentlich zutrauen können«, musste der Trainer Bernd Schröder nach dem Spiel enttäuscht feststellen. Die tschechoslowakische Frauennationalmannschaft blickte zu diesem Zeitpunkt bereits auf 183 Länderspiele zurück. Der Vertreter des DFV, der Generalsekretär Klaus Petersdorf, verkündete nach dem Spiel, dass gerade das nächste Länderspiel in Cottbus mit dem Gegner Schweden oder Norwegen vorbereitet werde. Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.

Die Auswahl der Frauen aus der Bundesrepublik konnte zu diesem Zeitpunkt weitaus größere Erfolge vorweisen. In der Qualifikation zur Europameisterschaft 1989 blieb die Mannschaft ungeschlagen und ohne Gegentor. Bei der EM wurde die erstmalige Teilnahme an der Endrunde der letzten vier Mannschaften perfekt gemacht. Und das Spiel gegen Italien im Halbfinale war das erste Länderspiel einer deutschen Frauennationalmannschaft überhaupt, das live im Fernsehen übertragen wurde.